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Berlin: Keine zwei Euro die Stunde

Wie schlecht geht es den Berliner Taxifahrern? Zwei Fahrer berichten, warum sie allmählich die Lust an ihrem Job verlieren

Das war der absolute Tiefpunkt. 6,20 Euro für fünfeinhalb Stunden „Arbeit“ in der Nacht. Genauer: für Nichtarbeit. Wolfgang Mierdel hatte zwischen 19 Uhr und 0.30 Uhr einen Kunden in seinem Taxi. Dann gab er das Warten am Steubenplatz in Charlottenburg entnervt auf. Kein Einzelfall im Berliner Taxigewerbe, wie der Chef der Innung, Wolfgang Wruck, sagt. Die Lage sei besch… Auch deshalb wehre sich das Gewerbe gegen die von der Flughafengesellschaft erhobene Gebühr für den Aufstellplatz in Tegel.

Gerhard Uhlig, der seit 1965 Taxi fährt, hat ebenfalls einen persönlichen Rekord aufgestellt. Am 31. Juli habe er auf seiner siebenstündigen Tour 1,78 Euro pro Stunde eingefahren. Brutto. Danach hatte Uhlig die Schnauze gestrichen voll. Seither wartet er – nach Absprache mit seinem Chef - nur noch montags und dienstags auf Kunden. Er wolle seine Kraft nicht sinnlos verpulvern, sagt der 60-Jährige.

Seine Buchführung gibt ihm Recht. Am vergangenen Montag war er neuneinhalb Stunden unterwegs, davon hatte er exakt 1,52 Stunden einen Fahrgast an Bord. Insgesamt hatte er sechs Fahrten, darunter eine besonders lange – sogar mit anschließender Rückfahrt. Allein dies brachte etwa 60 Euro in die Kasse. Am Dienstag sah es schon wieder schlechter aus. Nun fährt er wieder gar nicht und lebt vom Ersparten.

Vor knapp zwei Jahren hat Uhlig seine Selbstständigkeit aufgegeben. Als alleinfahrender Unternehmer habe sich das Geschäft überhaupt nicht mehr gelohnt. Jetzt ist er Angestellter bei einem Unternehmen, das zuletzt aber auch seinen Fuhrpark verringert habe. Firmen mit mehreren Fahrzeugen kommen etwas besser über die Runden. Sie können die Fahrzeuge zumindest in zwei Schichten einsetzen. Offiziell sind die Fahrer jeweils acht Stunden am Steuer, doch die meisten fahren länger, um auf ihre Einnahmen zu kommen. Auch angestellte Fahrer arbeiten auf Provisionsbasis.

Wie kann man aber mit diesen Einnahmen leben? „Sparsam“, sagt Uhlig, und Mierdel bestätigt ihn. Restaurantbesuche fallen flach, Reparaturen werden selbst erledigt, um Handwerkerkosten zu sparen, und eingekauft wird beim Discounter. Auch Urlaub ist gestrichen. Mierdel hat sich, um über die Runden zu kommen, vor Jahren seine Lebensversicherung auszahlen lassen. Spaß mache der Beruf nicht mehr. Eine Alternative gebe es aber auch nicht. „Für den Arbeitsmarkt bin ich in meinem Alter doch nur noch Schrott und Müll“, sagt Uhlig.

Seit fünf, sechs Jahren geht es dem Gewerbe richtig schlecht, sagt Innungs-Chef Wolfgang Wruck. Die Arbeitslosigkeit schlage voll durch, der Motorisierungsgrad in der Stadt habe seit der Wende zugenommen, gut verdienende einstige Kunden seien ins Umland gezogen, Geschäftsleute, die früher mit dem Flugzeug nach Berlin kamen und sich dann ein Taxi nahmen, nutzten heute bei Autobahnen ohne DDR-Kontrollen gleich den Firmenwagen und und und. Begründungen für das schlechte Geschäft gibt es viele.

Vor allem gebe zu viele Taxis in der Stadt, so Wruck weiter. Knapp 7000 sind es derzeit. Ein Konzessionsstopp, wie ihn das Gewerbe gefordert hatte, ist vom Verwaltungsgericht nicht mitgetragen worden. Und so gibt es weiter Interessenten, die ins Gewerbe drängen. „Sie wissen nicht, auf was sie sich einlassen“, ist Mierdel überzeugt. „Ein Arbeitsloser, der sich zum Taxifahrer ausbilden lässt, bleibt arbeitslos, weil er keine Kunden findet“, so Mierdel, der selbst Prüfer ist.

Und die wenigen Kunden, die es noch gibt, werden dann auch noch zum Teil von den Fahrern selbst vergrault, gibt Wruck zu. Die Beschwerden haben in diesem Jahr zugenommen. Er ermuntert Fahrgäste sogar, sich nicht alles gefallen zu lassen. „Wen wir einmal als Kunden verloren haben, haben wir oft für immer verloren“, so Wruck.

Ähnlich war es am vergangenen Freitag, als sich die meisten Taxifahrer drei Stunden lang weigerten, Fahrgäste vom Flughafen Tegel wegzubringen. „Die Aktion war nicht glücklich“, sagt Wruck. Gesteuert worden sei sie von außen. Die Innung will jetzt mit anderen Mitteln protestieren.

Wie es grundsätzlich weitergehen soll, weiß auch Wruck nicht. Uhlig will eine Konsequenz ziehen. Er bleibt Taxifahrer – aber in einer anderen Stadt. Für die Ortskenntnis dort lernt er bereits. Klaus Kurpjuweit

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