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Berlin: Keinen Tag ohne

Die Stammgäste schwören auf ihr Prinzenbad. Viele kommen täglich. Was ist nur das Besondere?

Für ihr Glück braucht Jutta Störmer nicht viel. Nur zwei Handtücher. Eines zum Abtrocknen und eines zum Draufsitzen. Ihren Badeanzug zieht sie an, wenn sie ihre Wohnung verlässt. Dann schlurft sie mit ihren Schlappen über die Straße, wünscht an der Kasse einen „guten Morgen“, passiert das Drehkreuz und atmet auf. Sie ist wieder im Prinzenbad.

So oder so ähnlich beginnt jeder Sommertag der Erzieherin im Ruhestand, vorausgesetzt, es schüttet nicht aus Kübeln. Jutta Störmer ist Stammgast. Sie kennt alle Badewärter, natürlich auch die beiden Frauen vom Kiosk, bei denen sie morgens ihren Milchkaffee bestellt, später noch einen und mittags ein warmes Essen ordert. Am besten kennt Jutta Störmer jedoch die anderen Prinzenbad-Dauergäste, die wie sie seit Jahren immer wieder kommen. Für sie ist das „Sommerbad Kreuzberg“ nicht einfach ein Freibad. Es ist das Prinzenbad. Ihr Prinzenbad.

Tatsächlich ist das Prinzenbad so etwas wie ein Biotop. Die Kreuzberger Mischung, wie sie Gerhard Seyfried in seinen Comics einst zeichnete, oder das Grips-Theater in „Linie 1“ besang, hier lebt sie noch. Es klingt nach einem Klischee, aber es ist keines. Wenn Jutta Störmer ihren Kaffee trinkt, unterhält sie sich auch mit dem ehemaligen Hausbesetzer, der „Konkret“ liest, den Glauben an eine bessere Welt nicht verloren hat, und immer noch studiert. Sie plaudert auch mit den braun gebrannten Arbeitslosen aus Neukölln. Hier gibt es Punks mit rotem Irokesenschnitt, die ein Kaffeegedeck zu sich nehmen und sich noch artiger bedanken. Alle zusammen beobachten die Teenies, die ihre Ghettoblaster aufdrehen und die Mundwinkel nach unten ziehen – das Prinzenbad verdient noch die Bezeichnung „Volksbad“.

Zu diesem Bild passt, dass die Stammgäste sich anfreunden. Zum Beispiel Jörg Kramer, Polizist in Brandenburg, und Rudolf Buchholz. Kramer und Buchholz sind eigentlich jeden Morgen, punkt sieben zu Stelle, wenn das Bad öffnet. So sollte es auch am heutigen Sonnabend sein, wo Kramer mit 25 anderen Frühschwimmern den 85. Geburtstag von Rulle Buchholz, wie sie ihn nennen, feiern wollten. Doch Buchholz ist krank. Die Party ist verschoben.

Wenn die Stammgäste davon erzählen, fällt der immer zusammen mit den Wörtern „mein“ oder „unser“. Und als wäre das noch nicht Ausdruck der Verbundenheit genug, erzählen sie, auch wenn man sie gar nicht danach fragt, wie sehr sie mit den Berliner Bäder Betriebe hadern. Walter Lutz zum Beispiel, ebenfalls Vorruheständler aus Neukölln, ist „stinksauer“ auf das Management der Bäderbetriebe: „Dilettantismus und Inkompetenz“ wirft er ihm vor. Was ihn so aufregt, ist die ersatzlose Streichung der Sechs-Monats-Karte. Das bedeutet: Spätestens mit dem Ablauf dieser Sommersaison wird die Prinzenbad-Gemeinde für ihre Dauer-Besuche tiefer in die Tasche greifen müssen. Wer so oft da ist wie Jutta Störmer und Walter Lutz, den kann das zwischen 100 und 230 Euro mehr pro Saison kosten. „Ich werde wohl seltener hier sein“, glaubt er und befürchtet, viele andere Stammgäste werden das auch tun. Jutta Störmer hat jetzt schon weniger Dauer-Prinzen-Bader ausgemacht: „Viele liegen jetzt auf der Wiese am Urbanhafen.“

Natürlich könnte sie auch irgendwo anders in der Sonne liegen. Aber sie bleibt dem Prinzenbad treu. Warum ist das Bad so beliebt? Eine simple Antwort gibt es nicht. Für die Schwimmer sind es die zwei 50-Meter-Becken; für alle, die arbeiten gehen sind es die Öffnungszeiten, täglich ab sieben Uhr morgens; für alle, die nicht in der Nachbarschaft wohnen, ist es die U-Bahn-Station direkt vor der Tür. Die Stammgäste schätzen die Terrassen beim Kiosk oder legen sich vorzugsweise auf die gepflasterte Fläche rund um das Sportbecken. Von hier aus hat man alles im Blick: Wer kommt, wer geht, wie voll die Becken sind, was die Stunde geschlagen hat. Eine Studentin liegt auch lieber auf den Steinen statt auf den Wiesen weiter hinten. „Hier ist die Atmosphäre sehr entspannt, und wenn ich schwimmen gehe, gibt’s immer jemanden, der auf die Sachen achtet.“ Sie ist übrigens noch ein Neuling unter den Dauergästen. Es ist ihre zweite Saison. Auch sie ist schwer angetan, aber den Grund dafür kann sie auch nur diffus umreißen: „Es liegt wohl an Kreuzberg“, sagt sie. Vor einem Jahr ist sie hergezogen.

Doch nicht nur die Leidenschaft für das Bad verbindet die Gäste. Es verbindet sie auch die Tatsache, dass sie sich im restlichen Jahr nicht sehen. Spätestens Ende September ist die Zeit des miteinder Schwimmens und Sonnenbadens vorbei. Jutta Störmer ist dann ab und zu im Baerwald-Bad, oder sie bummelt durch das KaDeWe mit anschließendem Kaffeetrinken im Kranzler. Dort ist es ihr jetzt zu eng, die Zukunft des Baerwald-Bades noch nicht geklärt, bleibt das Kaufhaus. Wenn sie hier jemanden trifft, aus dem Prinzenbad, muss der sie schon direkt ansprechen: „So angezogen erkennt man die Leute ja gar nicht.“ Matthias Oloew

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