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Keiner fliegt am BER: Deutschlands peinlichste Baustelle

Der Hauptstadtflughafen BER liegt am Boden – dennoch sprechen die Eigentümer Brandenburg, Berlin und der Bund dem Airport-Chef Hartmut Mehdorn bei einem Krisentreffen ihr Vertrauen aus. Was ist das noch wert? Eine Bestandsaufnahme.

Die Tage, Wochen und Monate verfliegen: Fast ein Jahr ist es her, seit der frühere Air-Berlin-Manager Hartmut Mehdorn seinen Job antrat, um den unvollendeten neuen Berliner Airport in Schönefeld fertigzustellen. Und fast zwei Jahre sind vergangen, seitdem im Mai 2012 kurz vor dem Eröffnungstermin der Start für BER abgesagt wurde. Auf der Baustelle, auf der einmal der „modernste Flughafen Europas“ (Eigenwerbung) entstehen sollte und die längst als peinlichste Deutschlands gilt, ist seitdem wenig passiert.

Dafür fliegen am BER wieder einmal die Fetzen. Am Freitagmorgen trafen sich im Roten Rathaus Berlins Regierender Klaus Wowereit, sein Brandenburger Kollege Dietmar Woidke (beide SPD), der Verkehrsstaatssekretär des Bundes, Rainer Bomba (CDU), mit Mehdorn zu einem Krisentreffen, nachdem die Konflikte in der vergangenen Woche eskaliert waren.

Flughafenchef Hartmut Mehdorn hatte erst den von ihm ab 1. Juli angekündigten Testbetrieb am Nordpier des BER abgesagt, am Montag dann gleich noch die Sanierung der Nordbahn, die bislang vom alten Schönefelder Flughafen genutzt wird. Für beide Pleiten machte er in Briefen andere verantwortlich. Er beklagte fehlende Unterstützung des Aufsichtsrates, aber auch rigide Schallschutz-Auflagen von brandenburgischen Behörden. Überhaupt macht Mehdorn seit Monaten gar kein Hehl daraus, dass er auch in der Politik – Eigentümer sind Berlin, Brandenburg und der Bund – einen Risikofaktor für die Fertigstellung des Flughafens sieht. So kam es zur großen Aussprache, zum Donnergrollen. Schon vor Beginn des Treffens hatte Bomba erklärt, dass „Klartext“ geredet werde.

Nach dem gut zweistündigen Gespräch stellten sich Wowereit und Woidke hinter den Flughafenchef. „Herr Mehdorn hat unser Vertrauen. Und er ackert mit allen Kräften, dass tatsächlich dieses Projekt zum Erfolg geführt wird", sagte Wowereit. Und Woidke betonte: „Wir haben uns offen ausgesprochen. Herr Mehdorn hat unsere volle Unterstützung.“ Und: „Die Gesellschafter sind sich einig, dass das Projekt so schnell wie möglich zum Erfolg geführt wird.“ Woidke fügte hinzu: „Briefeschreiberei wie in den letzten Wochen ist da überflüssig.“

Eröffnungstermin:

Die Eröffnung des neuen Hauptstadtflughafens ist in den letzten Jahren bereits vier Mal offiziell verschoben worden. Wenn sich Anfang April der Aufsichtsrat zu seiner nächsten Sitzung trifft, wird Flughafenchef Hartmut Mehdorn immer noch keinen Eröffnungstermin nennen können. Dies hat Aufsichtsratchef Klaus Wowereit (SPD) am Freitag nach dem Krisentreffen eher nebenbei erwähnt. „Wir sind uns einig, dass wir ein gemeinsames Ziel haben: den Flughafen so schnell wie möglich fertigzustellen. Da gibt es keinen Dissens.“ Und Woidke sagte: „Alle sind sich einig, dass ein Eröffnungstermin nur genannt wird, wenn er zu 99,9 Prozent belastbar ist.“ Dennoch sollte eigentlich schon Ende 2013 klar sein, wann der neue Flughafen ans Netz gehen kann. Doch Mehdorn musste gegenüber dem Aufsichtsrat passen. Allerdings hatte Mehdorn in den letzten Monaten selbst Erwartungen geweckt, als er den von ihm angekündigten Testbetrieb am Nordpier vorantrieb oder schon die bauliche Fertigstellung des Airports noch im Jahr 2014 ankündigte. Als er jetzt die Sanierung der Nordbahn auf März 2015 verschieben musste, bestätigte Mehdorn, dass damit auch die von ihm bislang angepeilte Gesamteröffnung 2015 kaum noch möglich wird. Neuerdings droht Mehdorn auch damit, dass der Schallschutz die Gesamteröffnung verzögern kann, was Brandenburg für „Unfug“ hält.

Allerdings galt es inzwischen selbst im Aufsichtsrat als unrealistisch, den neuen Flughafen vor 2016 zu starten. Es läuft, in aller Vorsicht, auf eine Eröffnung frühestens in zwei Jahren hinaus. Mehdorn selbst schließt aber neue Rückschläge nicht aus. „Auf dieser Baustelle passiert jeden Tag etwas. Die Gefahr weiterer Verschiebungen ist gegeben.“ In einem Brief an die Belegschaft hat Mehdorn im Januar angekündigt: „Zwölf Monate vor der Inbetriebnahme werden wir einen Eröffnungstermin festlegen.“ Neun Monate vorher soll es das Umzugsszenario geben, sechs Monate vorher den Probebetrieb. Das aber kann noch dauern.

Bauprobleme:

Im Mai 2013 hatte Hartmut Mehdorn sein Beschleunigungsprogramm „Sprint“ gestartet. Heute sagt er dazu Sätze wie: „Wir sind in intensivem Dialog mit unseren Mitarbeitern über den Sprintprozess.“ Es geht nach wie vor schleppend voran auf der Baustelle. Das Hauptproblem ist das Terminal mit der Brandschutz- und Entrauchungsanlage, die in einen genehmigungsfähigen Zustand gebracht werden muss. So wie sie derzeit dasteht, weicht sie von den Baugenehmigungen ab, ist damit ein Schwarzbau. Nach den letzten Berichten von Mehdorn an den Aufsichtsrat vom November/Dezember 2013 sind im Terminal erst vier bis fünf Prozent der Arbeiten, die noch zu machen sind, erledigt. Neuerdings wird die Zahl nicht einmal mehr erfasst, offenbar wegen der verheerenden psychologischen  Wirkung. Allerdings gibt es inzwischen einen Fahrplan. So ist klar, dass der Siemens-Konzern, bereits verantwortlich für die Entrauchung, auch die Steuerung der Frischluftzufuhr im Brandfall übernimmt. Das ist mit neuem Aufwand verbunden. Dafür müssen hunderte Fenster und Türen punktgenau angesteuert werden. Zu den Fenster- und Türsteuerungen müssen im Terminal – der im Innenausbau eigentlich fertig ist – noch einmal kilometerlange Kabel verlegt werden. Doch auch das alte Problem der Kabeltrassen ist noch nicht gelöst: Im Chaos vor der abgesagten Eröffnung waren Kabel wild durcheinander verlegt worden, Starkstromkabel neben Computerleitungen, die völlig überbelegt sind. Und Siemens wiederum kann mit der Programmierung der Gesamt-Anlage überhaupt erst loslegen, wenn dafür vom Flughafen Voraussetzungen erbracht sind, die nötige Brandschutz-Matrix vorgelegt wird – also hunderte Szenarien für alle denkbaren Brand- und Notfälle. Die gibt es bislang noch nicht. Erst dann aber beginnt für Siemens die 18-Monate-Frist, die sich der Konzern im Vertrag vom Herbst 2013 für seine Leistungen ausbedungen hat. So richtig loslegen kann man noch nicht, weil immer noch Analysen und Planungen ausstehen. Laut Mehdorn sind 750 Mitarbeiter auf der Baustelle im Einsatz.

Wie es um die Finanzierung, den Schallschutz und die Kapazität steht

Finanzierung:

Niemand weiß, wie teuer es am Ende wird. Immer noch nicht. Im Jahr 2006, beim ersten Spatenstich für den neuen Flughafen der Haupstadtregion Berlin–Brandenburg, war der noch mit knapp zwei Milliarden Euro kalkuliert. Die Finanzierung stand damals noch nicht einmal, sondern wurde erst 2009 gesichert und verkündet: Seit damals standen für den Bau 3,4 Milliarden Euro bereit, wobei die Baukosten mit 2,5 Milliarden Euro angegeben wurden - bis zur geplatzten Eröffnung 2012.

Die Kosten waren da längst explodiert, die 3,4 Milliarden Euro fast aufgebraucht. Ende 2012 bewilligten Berlin, Brandenburg und der Bund weitere 1,2 Milliarden Euro. In den Flughafen-Unterlagen werden die inzwischen aufgelaufenen Baukosten für den BER auf 4,3 Milliarden Euro beziffert, wobei in der Zahl nicht nur bezahlte Rechnungen, sondern auch erteilte Aufträge und sichere Buchungen einkalkuliert sind. Allerdings, die 1,2 Milliarden Euro waren für eine Eröffnung des Flughafens zum 27. Oktober 2013 berechnet und bewilligt worden, was ebenfalls platzte. Jeder Monat, in dem kein Flugzeug fliegt, kostet laut Mehdorn 17 Millionen Euro.

Zwar flossen wegen des Stillstands auf der Baustelle 2013 von den 1,2 Milliarden Euro nur 299 Millionen Euro ab. „Während 2013 durch den schleppenden Baufortschritt weniger Mittel als geplant abgerufen wurden, geht die (Flughafengesellschaft) FBB für 2014 von einem deutlich höheren Bedarf (aktuell ca. 800 Mio Euro, hiervon allein 300 Mio für Schallschutz) aus“, schrieb Finanzgeschäftsführerin Heike Fölster jetzt an den Potsdamer Landtag. Ende 2014 ist das Geld also fast alle. Die Flughafengesellschaft ist nicht kreditfähig. Die drei Gesellschafter müssen nachschießen. Ein tragfähiges Endfinanzierungskonzept ist seit Monaten überfällig und nun für April angefordert. Im Flughafen und im Aufsichtsrat rechnet man damit, dass noch einmal eine Milliarde Euro fällig wird – dann wäre man bei 5,6 Milliarden Euro. Tendenz steigend.

Schallschutz:

Der Schallschutz für die rund 11 400 Haushalte unmittelbar am BER ist ein Drama. Von 2008 bis 2013 hatte die Flughafengesellschaft systematisch gegen den Planfeststellungsbeschluss verstoßen – und bei der Bewilligung der Schallschutzfenster einen sechsfach geringeren Standard angesetzt, als vorgeschrieben ist. Im Etat waren bis 2013 lediglich 140 Millionen Euro angesetzt, was zu keinem Zeitpunkt auch nur im Ansatz für Schallschutz nach Recht und Gesetz ausreichte. Dem Flughafen war dies vor Start des Schallschutzprogramms bewusst. 2008 versuchte die Flughafengesellschaft FBB, sich für die eigenmächtige Abweichung vom Planfeststellungsbeschluss grünes Licht von Brandenburgs Behörden zu holen. Das bekam sie zwar nicht, aber Brandenburg duldete die Praxis. Der Planfeststellungsbeschluss schreibt vor, dass in den Wohnungen des Tagschutzgebietes – dort leben die Schwerstbetroffenen – kein einziges Mal ein Gesprächspegel von 55 Dezibel überschritten werden darf. Trotzdem mussten sich die Bewohner dies erst einklagen. Auch von Brandenburgs Regierung gab es keine Unterstützung, bis 2013 das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg den „systematischen“ Rechtsbruch stoppte. Der Schallschutzetat muss deshalb von 140 Millionen Euro auf 700 Millionen Euro aufgestockt werden.

Der Konflikt eskalierte jetzt beim Streit um die Sanierung der Nordbahn. In dieser Zeit sollen die Schönefeld-Flüge auf der fertigen BER-Südbahn starten und landen, und zwar laut Mehdorn notfalls ohne Schallschutz, was die Behörden verweigern. Mehdorn beklagte überraschende neue Auflagen, was Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) als falsch zurückwies. Das Vorgehen des Flughafens sei „reines Wunschdenken“. Bei den rechtlichen Rahmenbedingungen sei klar: „Wir würden keine 24 Stunden fliegen, dann gäbe es die einstweilige Verfügung.“

Kapazität:

Der Luftverkehr in der Hauptstadtregion wächst auch ohne BER rasant – so wie nirgendwo in Deutschland: Die Flughafengesellschaft meldet im Monatstakt neue Passagierrekorde, die auf den alten Flughäfen in  Tegel und Schönefeld abgefertigt werden. 2013 waren es 26,2 Millionen, 4 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Vor zwei Jahren, als Flughafenexperten bereits klar darauf hinwiesen, wurde das noch bestritten – von Wowereit, vom damaligen Brandenburger Regierungschef Matthias Platzeck (SPD), vom Flughafen selbst. Doch inzwischen ist klar: Der neue Hauptstadtflughafen wird, in der Form, wie er bisher geplant und fertiggestellt ist, schon zum Start zu klein sein. Das Terminal ist auf die Abfertigung von 27 Millionen Passagieren ausgelegt, nur mit leichten kleinen Puffern nach oben. In dieser Woche verkündete Mehdorn die neueste Prognose: Für das Jahr 2016 – derzeit das wahrscheinlichste Eröffnungsjahr – würden 30 Millionen Passagiere erwartet.

Wenn Management und Aufsichtsrat nicht handeln, würde nach Eröffnung des Flughafens automatisch Chaos drohen. Zwar sieht das BER-Konzept langfristig Erweiterungen vor, nämlich den Bau von zwei sogenannten „Satelliten“, kleineren Neben-Terminals. Die würden jedoch jeweils rund eine Milliarde Euro kosten, was derzeit nicht finanzierbar ist.

Deshalb verfolgt Mehdorn neuerdings den Plan, dauerhaft das alte Terminal des früheren DDR-Flughafens in Schönefeld zusätzlich zum BER für die Abfertigung von Billigfliegern zu nutzen. „Daran arbeiten wir mit Hochdruck.“ In Schönefeld/Alt werden derzeit jährlich rund sieben Millionen Passagiere abgefertigt, was Kapazitätsspielräume bringen würde. Allerdings steckt auch hier die Tücke im Detail. Es kollidiert etwa mit dem geplanten Umzug der Flugbereitschaft der Bundeswehr von Tegel nach Schönefeld, da das Terminal dann saniert werden müsste. Ab und zu hört man von Mehdorn auch schon, dass über eine dritte Start- und Landebahn nachgedacht werden müsse.

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