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Berlin: Kellerluft mit Frühlingsfrische

Vitaminlieferant in dunkler Zeit: Unsere Probierrunde verkostete Sauerkraut aus Dosen und Beuteln.

Es ist schon einige Zeit her, dass sich in einem Kochbuch eine Karikatur fand, die zwei Köche zeigte, die sich offensichtlich eben in der Vorratskammer mit Dosen versorgt hatten und sie nun verstohlen zum Herd trugen. Erschrocken wandten sie sich zu einem Revolverhelden um, der jedoch an Stelle der üblichen Waffen zwei pralle Senftuben im Anschlag hielt. In einer Sprechblase über seinem Cowboyhut stand: „Dosen runter, Männer!“ Diese Parole möchte man auch heute noch vielen Köchen an den Kopf werfen, bei denen Dosen wie gespannte Büchsen im Regal stehen, allzeit bereit, dem arglosen Gast daraus ein Mahl zu bereiten. Denn die Beliebtheit von Lebensmitteln, die in Weißblech konserviert wurden, scheint ungebrochen.

Dass Köche große Mühe darauf verwenden, die Herkunft ihrer Zutaten zu verschleiern, indem sie ihnen den Anschein des Frischgekochten verleihen, trägt keineswegs zum Ruf eines Behältnisses bei, für das in jedem Haushalt ein Öffner bereitliegt. Dabei müsste das nicht sein. Denn für die dauerhafte Aufbewahrung hat die Dose längst nicht ausgedient – nennen wir nur Sardinen oder Tomaten. Oder Rotkohl. Und natürlich Sauerkraut, das ja immer Saison hat.

Sauerkraut repräsentiert nicht nur einen Grundgeschmack, sondern gehört zu den wichtigsten Nahrungsmitteln Zentraleuropas. Seine fast schon symbolische Bedeutung erkennt man, wenn man es aus der Perspektive des Mittelmeers betrachtet. Dort, wo niemand einen Vitaminlieferanten aus gehobeltem und milchsauer vergorenem Kraut benötigt, wirkt es naturgemäß exotisch, wenn nicht barbarisch. In den Ländern der Zitronen sorgen stets verfügbare Früchte für den Eindruck von Frische und Saft. Es beansprucht kulturgeschichtlich gesehen nur eine kurze Zeitspanne, dass Südfrüchte das auch bei uns tun – und man Sauerkraut nunmehr um seines Geschmacks und seiner Kombinierfähigkeit willen zu sich nehmen kann.

Genau da beginnt das Problem. Seit Sauerkraut nur noch höchst selten in Barrique, will sagen in Bottichen aus Lärchenholz von nackten Kinderfüßen gestampft und gemächlich ausgebaut wird, herrscht der Eindruck vor, es sei im Grunde austauschbar. Mit diesem Befund wollte sich die monatliche Testrunde nicht zufrieden geben. Es gehört zu den Ironien des Zufalls, dass sie nur wenige Häuser vom Sitz der Stiftung Warentest entfernt zusammentrat.

Gastgeber Andreas Lochner vom gleichnamigen Restaurant am Lützowplatz öffnete quasi als Einleitung eine Dose „Hengstenberg Mildessa“. Als Erstes sticht ein scharfer Duft die Nase, der jedoch keine Entsprechung im Geschmack findet. Das Kraut des Marktführers trägt den Namen zu Recht – die leichte Säure wirkt neutral, der Biss ist umstandslos, und nach einigem Kauen kann man sogar einen Anflug von Kohl entdecken. Allerdings kam Mildessa dem Koch doch ein bisschen zu wässrig vor. Aber es hält den Vergleich mit „Spreewaldhof“ gut aus, denn der schmeckte trotz Wein- und Kümmelzusatz eher zitronig und die Konsistenz erinnerte Gastgeberin Gerlinde Lochner-Kern an das Weißpelzige in der Orangenhaut.

Etwas aufregender fand die Sommelière „Kühne Fasskraut“. Dessen Duft geht augenblicklich die Nase hoch, beinahe im Meerrettich-Tempo, aber außer einem an Ascorbinsäure erinnernden Zitrusaroma entwickelt sich dann im Mund nicht viel. Geradezu als störend empfand Juror Peter Frühsammer die Struktur. Feste Strunkteile wechseln sich ab mit ziemlich weichem Blattgemenge.

Ein ganz anderes Konzept verfolgt Roger Karst mit seinem „Choucroute d’Alsace“ aus dem elsässischen Obenheim. Das in den Galeries Lafayette gekaufte Kraut im Beutel scheint längeres Kochen und Verfeinerung von sich zu weisen, indem es bereits mit einem merkwürdigen Duftgemisch aus saurem Bückling, Liebstöckel und Specksauce, das aus einer schlaffen Masse aufsteigt, zumindest den anwesenden Köchen den Elan nahm. „Spreewald Feldmann“ dreht sein Sauerkraut mit Hilfe von Möhrenstückchen ein bisschen ins Süße, doch Prinzipal Lochner empfand den Mixed-Pickles-Ton als derart vorherrschend, dass er gar von „gesträhnter Gewürzgurke“ sprach.

Die Beutelware „Neußer Stolz mildes Weinsauerkraut“ vermochte ebenfalls nicht zu überzeugen. Das lag vor allem an einem hefigen Geruch sowie einem etwas dumpfen Mundgefühl. Allerdings war dieser Stolz der linken Rheinseite der erste Prüfling, der originären Kohlgeschmack zum Ausdruck brachte – wenngleich am ehesten den von Rosenkohl. Das vielleicht ein wenig zu mürbe „Marschland Naturkost - Bio-Sauerkraut“ hinterließ einen zwiespältigen Eindruck. Zum einen kam es der Runde „altsauer“ vor, zum anderen wurde der Geruch als künstlich empfunden. Das wiegt umso schwerer, als der Geschmack während des Essens abzubrechen scheint.

Ob das bloß ein psychologischer Effekt ist oder die Folge überlieferter Rezeptur ließ sich auch an Hand von „Bio Fit Sauerkraut“ aus dem Naturkostladen nicht entscheiden. Hier trat noch ein an Silage erinnernder Ton hinzu. Rossmanns „Ener Bio“ bot sich da als übrigens salzarme Alternative an – übertreibt es allerdings mit der Eigenschaftsarmut. Und wer ohnehin nur schnell mal einen Cole Slaw zubereiten will, ist mit „Feldliebe Sauerkraut“ von Lidl, „Specht“ oder „Rabe Spreewälder Sauerkaut“ gut bedient.

Prinzipiell gehört Sauerkraut zu den Speisen, die niemals fertig werden. Vielleicht, weil Kraut Abwandlungen allzu geduldig erträgt. Noch im letzten Moment gibt es etwas zu verbessern – ob das ein Schuss Champagner sei, eine Prise Chili oder Ananas, das dürfte erst einmal unerheblich sein. Deshalb kommt es in erster Linie auf die Definition der Säure, eine möglichst unverkochte Textur sowie eine geschmackliche Abrundung an, in der die Herkunft aus dem Gemüsebeet zumindest angedeutet wird. Nettos „Beste Ernte Wein-Sauerkraut“ und „Stollenwerk Weinsauerkraut“ aus dem Ullrich-Hit-Markt überraschten mit schönem Feinschnitt und attraktivem Geruch, der wie von Senfkörnern und weißem Pfeffer zu kommen schien. Während ihrer Begutachtung ersetzte Andreas Lochner zum ersten Mal das Wort Säure durch Frische, die offenbar von einem marginalen Weinzusatz emporgetrieben wird.

Noch klarer in diese Richtung bewegte sich „green organic Sauerkraut“. Das Glas aus dem Biomarkt belegte den dritten Platz, weil es in den wesentlichen Belangen gleichmäßig gut bereitet war, wenngleich es auch ein wenig langweilig blieb. Als nicht ganz so mild und darum charaktervoller erwies sich der Zweitplatzierte. Es gibt jetzt Leute in der Stadt, die ihren Besuch der Filmfestspiele unterbrechen müssen für einen Besuch im KaDeWe. Von dort bringen sie ihren Freunden in München ein Säckchen „Leuchtenberg Gourmet Weinsauerkraut“ mit – fürwahr mehr als nur ein Mitbringsel. Quietschig zwischen den Zähnen wie rohe grüne Bohnen, entfaltet sich ein Aroma, das Kellerluft mit Frühlingsfrische zu vereinigen scheint.

Wem der Feinschnitt vom Niederrhein womöglich ein klein wenig grell vorkommt, kann immer noch zum Testsieger greifen. Einmut kehrte in der Runde ein, als Lochner sein Hauskraut „Mamminger Weinsauerkraut“ vorgestellt hatte. Das vom Gourmetservice Biewald in der Schwalbacher Straße 5 stammende Kraut ist zugleich rustikal und dezent, dazu relativ trocken und überaus knackig. Die Säure entfaltet sich sozusagen moussierend und öffnet einem verhaltenen Kohlgeschmack den Raum. „Ein Grundprodukt, wie man es in der Küche haben will“, bestimmte der Jurypräsident. Bei Lochner steht es auf der Karte: Als Rahmsauerkraut neben Winterkabeljau und gelbem Erbsen-Speckpüree.

Gastgeber: Restaurant Lochner, Lützowplatz 5, Tiergarten, Tel.: 23 00 52 20

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