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Berlin: Kennzeichen CD - Die Welt in Berlin (Teil 6): Mexiko: Diplomatin in eigener Sache

Würde Patricia Espinosa beim "Heiteren Beruferaten" im deutschen Fernsehen auftreten, hätte das Rateteam keine leichte Aufgabe. Die 43 Jahre alte Mexikanerin spricht fließend Englisch, Französisch und Deutsch.

Würde Patricia Espinosa beim "Heiteren Beruferaten" im deutschen Fernsehen auftreten, hätte das Rateteam keine leichte Aufgabe. Die 43 Jahre alte Mexikanerin spricht fließend Englisch, Französisch und Deutsch. Fremdsprachensekretärin? Völlig falsch. Dann bitte eine typische Handbewegung. Vielleicht würde Espinosa die Geste des Schreibens andeuten. Um herauszufinden, dass sie staatstragende Papiere unterzeichnet, müsste man sich allerdings ein wenig den Kopf zerbrechen. "Wenn eine junge Frau in Mexiko einen wichtigen Posten bekommt, heißt es gleich: Die hat bestimmt ganz spezielle Beziehungen zu ihrem Chef", sagt Espinosa, die seit März Botschafterin in Berlin ist.

Solche Reaktionen ist die Diplomatin seit langem gewöhnt. Sie begann ihre Karriere als 24-Jährige in der Vertretung Mexikos bei den Vereinten Nationen in Genf. Die Absolventin des renommierten "Colegio de México" hatte das Stellenangebot schon bekommen, als sie noch mit ihrer Diplomarbeit über die Ölkrise beschäftigt war.

"Genf war ein Sprung ins kalte Wasser", erzählt Espinosa. Sie hatte bis dahin mit fünf Geschwistern bei ihren Eltern in Mexiko-Stadt gewohnt und sprach kaum Französisch. Dafür hatte sie bereits Goethe und Kleist im Original gelesen: Auf der deutschen Schule "Alexander von Humboldt" in der mexikanischen Hauptstadt, an der sie das Abitur gemacht hat. "Fast alle Fächer wurden in Deutsch unterrichtet." Für Espinosa war das kein Problem, denn sie hatte als 11-Jährige ein Schuljahr in Schleswig-Holstein verbracht.

Befremdliches Frühstück

Ahrensburg, wo sie als Austauschschülerin bei einer deutschen Gastfamilie wohnte, war für die kleine Mexikanerin ein exotischer Ort. "Als ich am ersten Tag Wurst und Käse auf dem Frühstückstisch sah, war ich so überrascht wie ein Deutscher, dem man morgens Zucchini serviert." Mexikaner frühstücken gern süße Früchte wie Papaya und Melone. "Es war das erste Mal, dass ich - wie später so oft - in ein völlig fremdes Land kam und mich alleine zurechtfinden musste."

Anders als viele ihrer Landsleute hat Espinosa keine deutschen Vorfahren. Ihre Eltern schickten sie auf eine deutsche Privatschule, weil die staatlichen Schulen keinen guten Ruf haben. "Ich war Stipendiatin, sonst hätte meine Familie die 350 Mark Schulgeld monatlich nicht bezahlen können."

In Deutschland begann Espinosa, damals fast noch ein Kind, über die Unterschiede zwischen den Kulturen nachzudenken. "Nach dem Frühstück sagten meine Gasteltern, nun sollte ich mit dem Fahrrad zur Schule fahren. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus." In Mexiko-Stadt durfte das Mädchen das Haus nicht alleine verlassen - und erst recht nicht mit dem Fahrrad zur Schule fahren. "Dass in Deutschland Kindern in der Öffentlichkeit keine Gefahr droht, war mein erster prägender Eindruck von diesem Land. Es war ein ganz neues Gefühl der Freiheit und der Sicherheit."

Einen zweiten Eindruck bekam sie fünf Jahre später in der geteilten Stadt Berlin, die sie auf einer Klassenfahrt kennen lernte. "Am Checkpoint Charlie beobachtete ich DDR-Grenzbeamte, die gar nicht zu meinem Bild der offenen Deutschen passten." Die mexikanischen Schüler mussten ihre westdeutschen und amerikanischen Zeitschriften abgeben und wurden lange festgehalten, bevor sie Ost-Berlin betreten durften. "Ich hatte das Gefühl, den Alltag des Kalten Krieges zu erleben. Das hat mich berührt."

Als Espinosa 27 Jahre später als Botschafterin nach Berlin zurückkehrte, wurde sie wieder nachdenklich, aber dieses Mal aus anderen Gründen. Vom Flughafen brachte sie der Chauffeur direkt zur neuen mexikanischen Botschaft in Tiergarten, einem jener imposanten und architektonisch auffälligen Neubauten, die seit dem Regierungsumzug in der Stadt entstehen. Der mittelamerikanische Staat hat in seine Berliner Auslandsvertretung eine für seine Verhältnisse beträchtliche Summe investiert. "Als ich vor der Botschaft stand, kamen mir Zweifel: Werde ich die hohen Erwartungen an meine Arbeit in der deutschen Hauptstadt erfüllen können?"

Deutschland ist Mexikos wichtigster europäischer Handelspartner, und umgekehrt ist Mexiko der zweitgrößte lateinamerikanische Handelspartner der Deutschen. Der 1999 gewählte Staatspräsident Vicente Fox will die Wirtschaftsbeziehungen weiter ausbauen, und dabei spielt die Botschaft eine strategische Rolle. "Ich reagierte nach meiner Ankunft in Berlin wie ich immer auf berufliche Herausforderungen reagiert habe: Ich stürzte mich in die Arbeit", sagt Patricia Espinosa.

Gleich nach ihrem Amtsantritt empfing sie hintereinander drei parlamentarische Delegationen aus Mexiko in der Botschaft. Vier Wochen nachdem sie ihre Residenz in Berlin bezogen hatte, fand sie zum ersten Mal Zeit, in der Stadt einkaufen zu gehen. "Meine mexikanische Köchin spricht nur Englisch und versteht im Supermarkt die Beschriftungen nicht. Mein Mann kümmert sich nicht um den Haushalt."

Die bessere Berufschance

Vor fünfzehn Jahren heiratete Espinosa in Genf den argentinischen Buchhalter Juan Luis, der sie seitdem auf ihre Missionen begleitet. Auch der elfjährige Sohn Juan Luis Junior und seine neunjährige Schwester Maria sind schon oft umgezogen. "Wir haben uns vor der Hochzeit geeinigt: Wir ziehen dorthin, wo einer von uns beiden die besseren Berufschancen hat", erzählt Espinosa. Bislang fiel die Wahl immer auf die Angebote, die der Ehefrau gemacht wurden. Als das junge Paar in die Flitterwochen fuhr, blickte Patricia bereits auf eine eindrucksvolle diplomatische Karriere zurück. Juan Luis dagegen war soeben mit einem Geschäft Pleite gegangen, das er in Argentinien eröffnet hatte.

"Psychologisch ist das nicht einfach", räumt Patricia Espinosa ein. Ihr Ehemann hat nie die deutsche Sprache gelernt und kann daher in Berlin auch nicht arbeiten. "Aber ich habe mich für einen Kurs am Goethe-Institut angemeldet", sagt Juan Luis. Wenn die beiden ins Kino gehen, setzt die Botschafterin ihre diplomatischen Talente ein, um Juan Luis nicht zu kränken. Sie sagt: "Ich würde die Filme gern auf Deutsch sehen, um die Sprache zu üben. Aber für meinen Mann suche ich immer Filme in Originalversion."

Andrea Exler

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