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Berlin: Kennzeichen Liebe

In der Neuauflage von  „Schloss Gripsholm“ steht sie wieder – die Widmung „Für IA 47 407“ Kurt Tucholsky wollte damit etwas sagen, ohne gleich alles zu verraten

Widmungen, wie sie Dichter ihren Werken gern voranstellen, haben schon manchen Leser grübeln lassen: Wer mag nur dieser X, diese Y sein, dem das Buch „in Liebe“ oder sonst wie zugeeignet wurde? Kurt Tucholskys „Schloss Gripsholm“ macht da keine Ausnahme: „Für IA 47 407“ steht dort als Ziffernrätsel, eingeklemmt zwischen einem vorangestellten Storm-Gedicht und dem ersten Kapitel dieser erstmals 1931 im „Berliner Tageblatt“, kurz danach im Ernst Rowohlt Verlag, Berlin, publizierten „Sommergeschichte“. Ein Vexierspiel, zu dem sich Verlage noch nach 80 Jahren verpflichtet fühlen: Auch die neue Ausgabe des Romans, soeben in bibliophiler Aufmachung und illustriert von Hans Traxler erschienen, beginnt mit dem rätselhaften „Für IA 47 407“.

Kenner werden IA sofort einem Autokennzeichen des preußischen Landespolizeibezirks Berlin zuordnen. Und in der Tat: Hinter der seltsamen Widmung verbirgt sich ein Auto und hinter diesem wiederum eine Frau, der Tucholsky seinen Liebesroman widmen wollte, aber nicht so, dass ihre Identität sich jedem Leser erschlösse. In Berliner Literatenkreisen dürfte es freilich kein Geheimnis gewesen sein, wen er meinte: Lisa Matthias, Journalistin – und „mit Kurt Tucholsky vom 27. Januar 1927 bis Herbst 1931 so intim befreundet gewesen, wie man das als Frau mit einem Mann sein kann“. So schrieb sie selbst in der Einleitung zu ihrem Erinnerungsbuch „Ich war Tucholskys Lottchen“, in dem sie selbst das Geheimnis um IA 47 407 aufdeckte: „Das war meine Autonummer.“ Den Wagen hatte sie 1928 erworben und, wie sie betonte, selbst bezahlt, ein Chevrolet-Cabrio, schließlich wollte sie „einen ,halbstarken’ Wagen“, mit ordentlich PS unter der Haube.

Ihr 1962 veröffentlichtes Buch war der literarische Skandal der Saison, weniger, weil sie Tucholskys schriftstellerische Begabung als nur so la la abtat, sondern weil sie ihn als einen eigensüchtigen und unersättlichen Erotomanen schilderte, der zu allem Überfluss auch noch stark schnarchte. Dieser Blick missfiel manchem: „Große Leute aus der Perspektive des Kammerdieners, also in Unterhosen, gesehen – das ist schon nicht sehr erfreulich; sie in noch weniger als Unterhosen von der enttäuschten Geliebten präsentiert zu bekommen, geht über unseren wahrhaftig nicht gerade puritanischen Geschmack weit hinaus“, befand etwa Walther Karsch im Tagesspiegel.

Gleichwohl hat Lisa Matthias ihre Verdienste, nicht zuletzt weil sie Tucholsky zu seinen berühmten „Lottchen“-Feuilletons inspirierte, kurzen, meist monologischen Texten, die der Autor einer erfundenen Berlinerin in den Mund legte. Und auch an „Schloss Gripsholm“ hatte sie mehr Anteil als nur das Autokennzeichen. Kennengelernt hatten sich die beiden am 25. Januar 1927 auf einem Künstlerball in der Bayreuther Straße in Schöneberg, der die ganze Kulturprominenz angelockt hatte: Brecht etwa, Toller, Grosz, Herzfelde und eben auch Tucholsky. „Ein reizender Kerl. Furchtbar vergnügt und beinahe zu witzig“ und „ein bisschen zu dick“, vertraute die damals 33-Jährige ihrem Tagebuch an und war sich gleich sicher: „Er hatte sich in mich verliebt.“ Tucholsky brachte sie nach Hause in die Haberlandstraße, durfte auch zu ihr hoch, aber es sei, versicherte sie, „zwischen uns ,zu nichts’ gekommen“. Er habe nur auf dem breiten Sofa, ihrer „Sündenwiese“, gesessen und über seine missglückte Ehe geklagt. Die zweite Zusammenkunft wenige Tage später in Charlottenburg, wo Tucholsky eine Zweizimmer-Wohnung gemietet hatte, sah schon anders aus: Für alle Fälle hatte die flotte Lisa Nachtzeug mitgenommen.

An sich lebte Tucholsky damals in Frankreich, war aber nach dem Tod des „Weltbühne“-Herausgebers Siegfried Jacobsohn im Dezember 1926 nach Berlin gekommen, um die Redaktion des linkspazifistischen Blattes zu übernehmen, die er nach einem halben Jahr an Carl von Ossietzky abgab. Von März bis Mai 1927 wohnte er in der Duisburger Straße 16 in Wilmersdorf, zog dann weiter nach Dänemark und Hamburg, wo die Geliebte ihn besuchte. Auch die folgenden Jahre blieb es eine Fernbeziehung mit regelmäßigen Begegnungen, bei denen IA 47 407 gute Dienste geleistet haben dürfte.

Bei ihrer gemeinsamen Reise nach Schweden im Frühjahr 1929 blieb das Cabrio aber zu Hause. Das Paar mietete ein Sommerhaus nahe Schloss Gripsholm westlich von Stockholm, und wenngleich Lisa Matthias während Tucholskys monatelangem Aufenthalt dort nur zeitweise bleiben konnte, wurden die gemeinsamen Wochen doch die Vorlage zu dem Roman. Er schildert die Urlaubswochen eines Kurt Tucholsky, Schriftsteller, und seiner Geliebten Lydia, Sekretärin. Manches Detail dürfte der reale Tucholsky so erlebt haben, auch wenn er in einem Brief versicherte, es sei „so ziemlich alles in dieser Geschichte erfunden“.

Aber die reale Lisa hat den Dichter zu seiner Lydia doch inspiriert, so wie sie schon mit Lottchen nicht identisch war, aber zu dieser Figur zumindest den Anstoß gab. Und ebenso soll, laut Lisa Matthias, hinter Lydias lebenslustiger Freundin Billie zum Teil ihre reale Freundin Yvonne stecken, eine in erotischen Dingen offenbar großzügige Person. Während aber der Roman-Tucholsky in Schloss Gripsholm eine Nacht zu dritt genießen darf, musste sein Autor sich bescheiden – „weil ich mich an der ,Nacht zu dritt’ überhaupt nicht beteiligte“, wie Lisa später selbstzufrieden schrieb.

Der fertige Roman hat ihr übrigens nicht gefallen: „Kein Quäntchen wirkliches Gefühl, keine Spur von Zärtlichkeit, keine Liebe.“ Tucholsky wolle ihr das Buch trotzdem widmen, aber damit hätte alle Welt von dem fast beendeten Verhältnis erfahren – und das wollte sie nicht. „Um Tucholsky aber nicht direkt vor den Kopf zu stoßen, schlug ich ihm vor, meine Autonummer zu erwähnen“ – IA 47 407.

Kurt Tucholsky: Schloss Gripsholm. Eine Sommergeschichte. Mit Bildern von Hans Traxler. Edition Büchergilde, Frankfurt am Main. 176 Seiten, 24,90 Euro

 Andreas Conrad

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