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Die Thomas-Dehler-Bibliothek in der Schöneberger Martin-Luther-Straße wird von Ehrenamtlichen betrieben. Aber bürokratische Regeln bremsen deren Engagement aus, kritisiert Eva Menasse.

© Kai-Uwe Heinrich

Kiezbücherei Schöneberg: Keine Bücher fürs Volk

Eine Schöneberger Kiezbücherei soll dichtgemacht werden. Begründung? Datenschutz! Für unsere Gastautorin ist das ein Symptom für vieles, was in Berlin schiefläuft.

Ja, es ist nur eine winzige, unscheinbare Stadtbücherei „hinterm Busch“, wie eine der Mitarbeiterinnen traurig sagt. Und dennoch ist sie ein peinigendes Symptom für so vieles, was schief läuft in dieser faszinierenden, brisanten, hochkomplizierten Millionenansammlung namens Berlin.

Da engagiert sich seit vielen Jahren, ohne jede Beanstandung, eine ganze Schar Ehrenamtlicher, um Kinder, Rentner und alle anderen lesehungrigen Menschen mit Büchern zu versorgen. Da haben sich diese fröhlichen und geduldigen Damen besonders auf die vielen umliegenden Grundschulen spezialisiert. Die Klassen kommen einmal im Monat mit ihren Lehrerinnen, und in diesem Kiez wissen schon die Sechsjährigen, wie man unkompliziert an Bücher gelangt, falls ihre Eltern zu arm sind, um welche zu kaufen oder das Wort „Bibliothek“ gar nicht verstehen.

Oder falls das Bücherangebot zu Hause nicht mehr reicht, weil sie sich zu Leseratten entwickeln. Direkter und billiger geht Leseförderung, geht das viel zitierte „Bildungsangebot“ gar nicht. Bücher ausleihen und lesen, regelmäßig, im Klassenverband.

Aber trotzdem wird es bald aus sein mit der Thomas-Dehler-Bücherei an der Martin-Luther-Straße in Schöneberg. Die schildbürgerhafte Begründung ist: Datenschutz!

Weil alle Mitarbeiter ehrenamtlich arbeiten, dürfen sie nicht mehr an die zentralen Daten des VOEBB (Verbund der öffentlichen Bibliotheken Berlins). Und der Computerterminal, an dem die Kunden selbst (kleine Kinder und Rentner natürlich eher nicht), ihre Bibliotheksgeschäfte erledigen sollen, funktioniert seit zwei Monaten auch nicht mehr richtig. Angeblich ist ein Baum zu hoch gewachsen und behindert die Verbindung zur Antenne auf dem Schöneberger Rathaus.

Eva Menasse, gebürtige Österreicherin, lebt seit zehn Jahren in Berlin.
Eva Menasse, gebürtige Österreicherin, lebt seit zehn Jahren in Berlin.

© dpa

Nein, das ist keine Satire, das ist bloß Berliner Realität. Während alle möglichen ausländischen Geheimdienste und globalen Konzerne die Bewegungsprofile, die Kontobewegungen und Personendaten von uns allen sammeln, speichern und weiß Gott was damit machen, was die deutsche Bundesregierung, durch nachweisliche Blockadepolitik etwa in den EU-Gremien, nicht einmal zu unterbinden versucht, können die Grundschüler in Schöneberg bald keine Bücher mehr, niederschwellig und ganz in der Nähe, ausleihen. Aus Datenschutzgründen. Und weil die Leitung defekt ist.

Und natürlich interessiert sich niemand dafür, bemüht sich keiner, denn die winzige Bibliothek ist einfach zu unbedeutend und nebensächlich. Ist sie das wirklich? Jetzt möchte ich sehen, ob nicht doch einer in dieser gelegentlich so unaushaltbar drögen Berliner Politikszene aufsteht und eine praktikable Lösung findet. Für die Kinder und die Bücher.

Eva Menasse

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