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Was haben Kinder vom Bildungspaket?

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Hartz IV: Kinder haben nichts vom Bildungspaket

Seit knapp drei Monaten ist das neue Hartz-IV-Gesetz in Kraft, mit dem Ursula von der Leyen Kindern aus einkommensschwachen Familien bessere Bildungschancen verschaffen will. Nur wenige Familien beantragten bisher rückwirkend Geld. Bald läuft die Frist dafür ab.

Noch kein Cent ist bei Ute Helene Bogun angekommen von dem Geld, das ihrem Sohn helfen soll. Die Mediengestalterin lebt von Hartz IV, und sie hat sich früh informiert über das Paket, das Ursula von der Leyen (CDU) durchgesetzt hat. Seit knapp drei Monaten ist das neue Hartz-IV-Gesetz in Kraft, mit dem die Bundesministerin für Arbeit und Soziales Kindern aus einkommensschwachen Familien bessere Bildungschancen verschaffen will.

Schon im März hat Bogun für ihren 14-jährigen Sohn alles beim Jobcenter Reinickendorf beantragt: Unterstützung bei Schulausflügen, Klassenfahrten, Schulmittagessen und BVG-Ticket. Bogun hat rückwirkend seit Januar Anspruch auf die Leistungen aus dem sogenannten Bildung- und Teilhabepaket. Doch im Jobcenter herrschte allgemeine Ratlosigkeit. Immer wieder ging Bogun zu der Behörde, immer neue Briefe schickte sie.

Erst vor zwei Wochen erhielt sie eine erste Bewilligung. Die gilt aber nicht für den gesamten Zeitraum, und Geld gab es noch gar nicht. Auch den Berlinpass für das warme Mittagessen in der Schule hat sie noch nicht bekommen, und den Antrag auf Zuschuss zu einem BVG-Ticket berücksichtigte das Jobcenter erst gar nicht. „Das hat man einfach unter den Tisch fallen lassen“, sagt Bogun. Wahrscheinlich hat die Verwaltung erst vor einigen Tagen das Rundschreiben bekommen, das diesen Zuschuss regelt.

Für Ministerin von der Leyen ist das Angebot an die Familien ein Prestigeprojekt – zum Wohl der Kinder und Jugendlichen. Das notwendige Geld für Nachhilfe, Schulessen, Klassenfahrten und Ausflüge, Mitgliedschaft in Vereinen oder Musikunterricht soll nicht direkt an die Eltern ausgezahlt werden, sondern zweckgebunden direkt an die jeweiligen Anbieter der Leistungen.

Rund 210 000 Kinder und Jugendliche in Berlin haben Anspruch auf die Extra-Unterstützung. Noch bis zum kommenden Donnerstag können ihre Eltern auch die rückwirkenden Leistungen beantragen. 170 000 dieser Kinder und Jugendlichen werden von den Jobcentern betreut, denn ihre Eltern beziehen Arbeitslosengeld II. Für die übrigen Familien sind Sozialämter und Wohngeldstellen zuständig. Vermutlich wird die überwiegende Zahl der Haushalte auf die Leistungen verzichten. Denn noch haben nur wenige Eltern einen Antrag gestellt, und am Mittwoch beginnen die Ferien.

Die jüngsten Daten der Senatsverwaltung für Integration und Arbeit stammen von Ende Mai, neuere Zahlen gibt es für ganz Berlin noch nicht. Im Mai lagen Anträge erst für 13 Prozent der Berechtigten vor. Dieser Anteil ist sicherlich gestiegen, aber bei wesentlich mehr als 20 Prozent liegt er wahrscheinlich noch nicht. Diesen Schluss legen Zahlen aus Neukölln nahe, wo die Verwaltung die Daten schon jetzt erhebt. Dort gibt es inzwischen für knapp ein Viertel der Kinder Anträge, gut die Hälfte davon ist nach Auskunft von Jobcenter-Geschäftsführer Konrad Tack schon bewilligt. Die Eltern beantragen demnach vor allem die Zuschüsse für Mittagessen, Klassenfahrten und Ausflüge sowie für die Mitgliedschaften in den Vereinen.

Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) hält das Antragsverfahren für „viel zu kompliziert“. Es sei „eine riesige Bürokratiemaschine“ nötig. Er hätte die ursprünglich von Ministerin von der Leyen vorgeschlagene Lösung mit Chipkarte bevorzugt; die war aber bundesweit nicht durchzusetzen. Die Idee, nicht den Eltern mehr Geld auszuzahlen, sondern die Leistung direkt zu finanzieren, hält Buschkowsky allerdings nach wie vor für richtig. „Nur so lässt sich umsteuern, damit die Bildungsangebote auch bei den Kindern ankommen“, sagt er.

Der Landessportbund berichtet, dass inzwischen bei den rund 2 700 Kindern, die früher durch das Programm „Kids in die Sportclubs“ gefördert wurden, die Jobcenter oder Bezirksämter die Kosten für die Vereinsmitgliedschaften übernehmen. Erst wenige Anfragen sind hingegen an den Schulen angekommen. Sie sollen beispielsweise Nachhilfeangebote und Klassenausflüge organisieren. Georg Krapp, Schulleiter des Neuköllner Albert-Schweitzer-Gymnasiums, hat erst einige wenige Anträge erhalten, die Kosten für eintägige Ausflüge zu übernehmen. Nachhilfe konnte er bisher noch nicht organisieren, erst im kommenden Schuljahr soll das möglich sein. Derzeit sei man mit einem Anbieter, dem Türkisch-Deutschen Zentrum, im Gespräch.

Sein Kollege Paul Schuknecht von der Friedensburg-Sekundarschule in Charlottenburg hält wenig von Nachhilfe-Angeboten privater Organisationen. Im Ganztagskonzept sei ohnehin Förderung vorgesehen, sagt Schuknecht. Deshalb sei er froh über eine neue Regelung, wonach die Schule keine private Nachhilfe mehr organisieren muss. Experten bezweifeln aber, dass dieses Verfahren bei möglichen Klagen vor dem Sozialgericht Bestand hätte.

Arbeitssenatorin Carola Bluhm (Linke) hat von dem Bildungspaket nie viel gehalten. Ihre Verwaltung soll in den Ferien ein erstes Fazit ziehen und prüfen, wie die Förderung überhaupt bei den Kindern und Jugendlichen ankommt. „Durch die unglaubliche Bürokratie ist es eine sehr teure Leistung“, sagt Sprecherin Karin Rietz. Sie klingt nicht, als würde sie noch hoffen, dass von der Leyens Idee zu einem Erfolg wird.

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