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Kinder mit Schweinegrippe: Ein Besuch in der Notfallpraxis - der einzigen, die offen war

Nur eine Kinderarztpraxis behandelte gestern Patienten. 80 Prozent von ihnen zeigten Symptome der Schweinegrippe.

Eigentlich müsste es in der schmalen Steglitzer Flotowstraße zwischen den gründerzeitlichen Häusern am Sonntagvormittag ruhig zugehen. Tatsächlich sind hier aber fast so viele Autos auf der Suche nach einem Parkplatz unterwegs wie abends in den Szenevierteln von Mitte. Und auf den Bürgersteigen ist auch einiges los. Mütter und Väter streben mit Buggies oder ihrem Nachwuchs an der Hand dem Haus Nummer 1 zu, als gäbe es dort ein größeres Kinderfest. Stattdessen hängt an der Tür ein Schild: „Versorgungszentrum für akut kranke Kinder.“ Hier sind die einzigen niedergelassenen Pädiater in Berlin im Einsatz, die ihre Praxis sonntags geöffnet haben. Jetzt, in den Tagen der Schweinegrippe, haben sie besonders viel zu tun.

Punkt 11 Uhr beginnt die Sprechstunde. Als eine Helferin aufschließt, haben sich die Familien schon in einer langen Schlange vor der Tür aufgereiht. Peter Iblher aus Schöneberg steht weit vorne. Er ist mit seiner zweijährigen Sarah gekommen, weil sie nachts Atemnot hatte. Sonntag früh rief er dann zuerst in der Nothilfestelle für Kinder des Tempelhofer St. Joseph-Krankenhauses an. Aber dort konnte der einzige eingesetzte Kinderarzt den Andrang kaum bewältigen, weshalb Peter Iblher „einige Stunden Wartezeit“ in Aussicht gestellt wurden. Deshalb packte er Sarah ins Auto und fuhr zur Flotowstraße, wo drei Ärzte zugleich in Praxisgemeinschaft arbeiten.

Rund 180 Kinder hat das Medizinertrio Peter Hauber, Sigrid Schründer und Hansjörg Schmelzle am Sonntag von 11 bis 13 Uhr und 17 bis 19 Uhr in Steglitz versorgt, nahezu alle Eltern kamen ohne Terminabsprache – und kaum jemand wartete länger als eine Stunde.

Florian (12) aus Charlottenburg kommt noch flotter dran. Er hockt auf einer Treppenstufe vor der Anmeldung und starrt apathisch zu Boden. In der Nacht habe ihr Junge starkes Fieber bekommen, berichtet die Mutter. Nun fürchtet sie wie fast alle Eltern, deren Nachwuchs hier hustet und schnupft, dass ihn die Schweinegrippe erwischt hat. Die Sorge ist nicht unbegründet. Bis zu 80 Prozent aller Mädchen und Jungen, die ihm am Sonntag vorgestellt wurden, hätten deutliche Symptome einer H1N1-Infektion gehabt, sagt Kinderarzt Peter Hauber. Die meisten Eltern seien aber inzwischen gelassen. Der meist harmlose Verlauf der Krankheit spreche sich herum. Hauber: „Wir hatten noch keinen einzigen ernsten Fall.“

Dennoch betreten viele Mütter und Väter zögerlich das Wartezimmer, während sich ihre Kleinen aufs Spielzeug stürzen. „Hier fliegen die Viren doch in Geschwadern herum“, meint ein Vater und nimmt gerne das Angebot wahr, eine Weile spazierenzugehen, bis seine Tochter an der Reihe ist. Etliche Eltern kommen von weither, aus Falkensee oder Pankow. „Besser eine lange Anfahrt“, sagen sie, „als ewig mit nörgeligen Kindern in einer Klinikaufnahme herumzusitzen.“

Wie berichtet, gibt es an den Berliner Kliniken nur vier von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) organisierte Erste-Hilfe-Stellen für Kinder: am DRK Klinikum Westend, St. Joseph-Krankenhaus, Kinderkrankenhaus Linderhof und DRK Klinikum Mitte. Dort arbeitet an Wochenenden nur je ein von der KV eingeteilter niedergelassener Kinderarzt. Langes Warten ist die Folge, zumal die Notaufnahmen der anderen Kliniken gleichfalls überlastet sind. Bliebe noch der Hausbesuchsdienst der KV, den man bestellen kann. Aber dort sind keine Pädiater im Einsatz.

Weshalb öffnen also nicht mehr Kinderarztpraxen an Sonn- und Feiertagen? Die Gesundheitsverwaltung würde mehr Notfallpraxen begrüßen, sagt deren Sprecherin. Das Arbeitsschutzgesetz untersagt zwar die reguläre Öffnung von Praxen an Sonntagen, bietet aber Möglichkeiten für Ausnahmegenehmigungen. Niedergelassene Mediziner dürfen sonntags arbeiten, wenn sie nur akute Notfälle versorgen. Die Pädiater an der Steglitzer Flotowstraße haben sich eine solche Erlaubnis von der Behörde besorgt. Doch Peter Hauber sieht wenig Chancen, dass bald mehr Praxen hinzukommen. Die meisten Kollegen wollten am Sonntag frei haben, sagt er. Außerdem fehlten finanzielle Anreize. „Sonntags sind die Kassenhonorare nicht höher, obwohl wir dem Personal Zulagen zahlen müssen.“Christoph Stollowsky

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