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Kinderarmut: In vielen Haushalten bleibt die Küche kalt

Weil Kinder hungern, bieten immer mehr freie Träger Mittagstische an. Selbst die Sozialverbände sehen das kritisch. Ein Pro & Contra

Die Berliner Tafel und die kirchliche Einrichtung Arche haben das Rezept entwickelt – und andere tun es ihnen nach: In Berlin und Brandenburg gibt es einen Boom bei den sogenannten Tafeln. Immer mehr Wohlfahrtsverbände, freie Träger, Vereine und Initiativen decken den Frühstückstisch oder bereiten das Mittagessen für Kinder und Jugendliche.

Die Not sei eben groß, sagt Vorstandschef Gerd Häuser vom Bundesverband Deutsche Tafel: „Wir können die Bedürftigen nicht im Stich lassen, das wäre menschenverachtend.“.

„Das exponentielle Wachstum der Tafelbewegung ist ein Alarmzeichen“, argumentiert jetzt aber Diakonie-Präsident Klaus-Dieter Kottnik. Und auch der deutsche Caritas-Vorstand will sich „mit der wachsenden Normalität von Lebensmittelausgaben nicht abfinden“.

Diese Überzeugung teilte auch der Tagesspiegel-Spendenverein, der sich jetzt – anders als in den Vorjahren – dagegen entschied, ausschließliche „Kinderküchen“-Bewerbungen mit Leserspenden zu bedenken: Letztlich würde man die Familien aus ihrer Verantwortung entlassen und es ihnen immer leichter machen, die Kinder mit Geld in der Hand zu einer Suppenküche oder zu einem Schnellrestaurant zu schicken. Natürlich berücksichtigen wir aber dutzende anderer Hilfsprojekte für benachteiligte Kinder und Jugendliche.

Dieses Jahr bewarben sich jedenfalls auffallend viele und aufwendig organisierte Projekte mit Kinderspeisungsprojekten. „Das KiReLi Kinderrestaurant Lichterfelde ist ein Kooperationsprojekt des Stadtteilzentrums Steglitz und der Berliner Tafel“, heißt es etwa in einem Schreiben: „Kinder aus dem Kiez bekommen für einen Kostenbeitrag von 1 Euro jeden Tag ein warmes und gesundes Drei-Gang-Menü“. Wenn die von der Berliner Tafel gespendeten Lebensmittel mal nicht reichen, springe ein Bio-Supermarkt als Sponsor ein.

Auch das Deutsche Rote Kreuz will jetzt eine neue Küchenzeile in seinen Räumen installieren, um im Lichtenberger Weitlingkiez „eine tägliche Mahlzeit für Kinder und Jugendliche“ anzubieten. Ebenso plant die Caritas für ihren „Carisatt-Laden für arme Familien in Neukölln“ die Anschaffung eines eigenen Pkw-Transporters mit Kühlvorrichtung für Lebensmittel. Für die Begründerin der Tafel-Bewegung Sabine Werth sowie Arche-Pfarrer Bernd Siggelkow sind das alles Zeichen, dass der Bedarf auch infolge der Arbeitslosigkeit gestiegen sei. In Kreuzberg gibt es auch in der Tafel-Einrichtung „Gelbe Villa“ ein Kinderrestaurant. In Potsdam lädt die Stadtverwaltung im Januar zu einem Workshop rund um das Phänomen Tafel-Boom.

Bei der Berliner Sozialverwaltung fallen Sprecherin Karin Rietz mehrere Gründe für diese gesellschaftliche Entwicklung ein: Immer weniger Familien nähmen sich Zeit für ein gemeinsames Essen mit Gesprächen. Immer weniger Mütter und Väter könnten kochen: „Fast Food ist die Versuchung schlechthin“. Gleichzeitig würden immer mehr freie Träger den Trend ausnutzen und in diese soziale und Markt-Nische vorstoßen.

Laut Sozialverwaltung gelten in Berlin rund 175 000 Kinder als arm. Nicht alle Schulen, so Rietz, würden eine gesunde Ernährung anbieten, Kinder säßen hungernd und unaufmerksam im Klassenzimmer. Die Berliner Tafel bietet schon Ernährungsberatungen für Eltern an. Und „Mitkoch“-Zentralen gibt es nicht nur in Deutschland: Auch Starkoch Jamie Oliver zeigt unwilligen Eltern, wie man preisgünstig Gesundes kochen kann.

Annette Kögel

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