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Kindesmissbrauch: Politik sucht Strategie gegen Pädophile

Pädophile Täter locken mit Freizeitangeboten Jungen in Wohnungen. Jugendämter und Polizei sind jedoch oft in Beweisnot.

Sie wollen vor Besuchen in Wohnungen fremder Männer warnen. Also tauchen die „Berliner Jungs“ da auf, wo Pädophile versuchen, ihre Opfer anzulocken. „In der Regel finden wir die Jungen. Jeder Vierte von ihnen hat schon Erfahrung mit pädophilen Täterstrategien. Das heißt, er wurde beobachtet oder von einem Mann angesprochen“, sagte Ralf Rötten, Geschäftsführer des Vereins „Hilfe für Jungs“, der die Beratungsstelle „Berliner Jungs“ betreibt. Jeder Achte sei in engeren Kontakt mit einem Täter geraten.

„Wir fühlen uns hilflos, weil wir wissen, dass im Bezirk Dinge passieren, die wir nicht unterbinden können“, sagt Neuköllns Jugendstadträtin Gabriele Vonnekold (Grüne). Die Fälle der „offenen Wohnungen“, einer Art privater Jugendtreffs, in die Sexualtäter Heranwachsende locken, sind dem Jugendamt schon länger bekannt. Das Problem liege jedoch in der Beweislage. „Denn selbst wenn wir wissen, wer die Täter sind und wo sie wohnen, haben wir keine Möglichkeit einzugreifen, wenn die Opfer keine Anzeige erstatten wollen oder wir keine Zeugen haben“, sagte Vonnekold. Dass frühere Anbandelungsversuche der Täter in Lokalen mit Hilfe der Polizei unterbunden wurden, habe zu dem Verdrängungsprozess in die privaten Wohnungen geführt.

Von 30 Wohnungen in Berlin weiß Rötten, die Berliner Polizei von 14. Letztere könne jedoch nur auf konkrete Hinweise aus der Nachbarschaft, vom Jugendamt oder Beratungsstellen reagieren, heißt es von dort. Beim Landeskriminalamt gibt es die Abteilung 132, zuständig für „Sexualdelikte an Schutzbefohlenen und im sozialen Nahbereich“. Entsprechend bekannt werdende Wohnungen würden als mögliche Tatorte strafverfolgend behandelt, schreibt die Polizei auf Anfrage.

„Das Problem ist, dass die Täter nicht besonders auffällig sind und die Nachbarn es oft toll finden, dass sich jemand um die Kinder kümmert“, sagt Vonnekold. Die Täter würden vor allem unsichere, schüchterne Kinder aus armen, zerrütteten oder religiösen Elternhäusern auswählen. „Wir haben viele Kinder, die darauf anspringen, weil sie keine Aufmerksamkeit zu Hause bekommen, wo eine Vaterfigur fehlt oder Sexualität tabuisiert wird“, sagt Vonnekold. Die Täter lockten zunächst mit Freizeitangeboten, später kämen Alkohol und Pornos dazu, um die Hemmschwelle abzusenken. Schließlich blieben die Jungen über Nacht. Viele Opfer schwiegen aus Scham oder weil sie eingeschüchtert worden seien, sagte Rötten. „Die Jungen auf der Straße müssen die Täterstrategien und Auswege kennenlernen, denn es ist utopisch zu glauben, dass es eine Welt ohne Pädophile geben wird.“ Hinzu komme die Tatsache, das das Thema Missbrauch an Jungen zu lange verdrängt worden sei. Gerade deshalb sei die Präventionsarbeit so wichtig, von der es aber in Berlin zu wenig gebe.

Eckhard Pols (CDU) will das Thema jetzt in der Kinderkommission des Bundestages ansprechen. Die Beauftragte der Bundesregierung gegen sexuellen Missbrauch, Christine Bergmann (SPD), fordert, Beratungs- und Hilfsprojekte zu stärken. Sie schlägt vor, das Problem der „offenen Wohnungen“ in Schulen zu thematisieren. „Die vor Ort arbeitenden Beratungs- und Hilfsprojekte, wie die ,Berliner Jungs‘, müssen breite Unterstützung bekommen“, sagte Bergmann. „Die Zahl hat mich sehr überrascht“, sagte die Jugendexpertin der Linken, Margrit Barth.

Außerhalb Berlins scheint das Phänomen der „offenen Wohnungen“ von Pädophilen der Polizei kaum bekannt zu sein. Beim Bundeskriminalamt und dem Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen gibt es keine Erkenntnisse. Und bei der Hamburger Polizei heißt es, „so eine Szene wie in Berlin haben wir hier nicht“. Hadija Haruna, Johannes Radke

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