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© ddp/Christine Bärlocher

Kirchenkritiker Eugen Drewermann: ''Katholische Sexualmoral ist repressiv''

Eugen Drewermann, katholischer Theologe und Psychotherapeut, sprach mit dem Tagesspiegel über den Druck des Priesteramts und Missbrauchsfälle in der Kirche.

Herr Drewermann, vor wenigen Wochen wurden Fälle von sexuellem Missbrauch am katholischen Canisius- Kolleg in Berlin öffentlich. Die katholische Kirche in den USA kämpft seit geraumer Zeit mit einer Flut von Klagen wegen Missbrauchs. In Irland wurden über Jahrzehnte hinweg vermutlich tausende Schüler von ihren geistlichen Lehrern und von Priestern sexuell missbraucht und misshandelt. Sind dies alles Einzelfälle oder gibt es einen Zusammenhang mit der katholischen Kirche?

Die katholische Kirche hat das Bild einer von Gott gesetzten, heiligen Institution. Alle Fehler, die passieren, gehen zurück auf das Konto fehlbarer Menschen – nie auf die Kirche. Die Abspaltung von Institution und Person erlaubt nicht die geringste Erfahrungskorrektur. Es gibt keine Rückkopplung. Es gibt nur zwei Ebenen, die miteinander nicht zusammenkommen können. Das ist ein monolithischer und nach unten hierarchisch organisierter, heiliger Apparat, der Gottes Gnade vom Himmel auf die Erde herab- führen soll. Ganz sicher wird nicht in diesem System darüber nachgedacht werden, wie es selber als System und als Idealsetzung die Ursache für so viel Leid ist. Das kann nicht gedacht werden. Dies ist undenkbar, oder das ganze System würde gesprengt werden durch die Erkenntnis, dass die Sexualmoral verkehrt ist, dass das Papsttum verkehrt ist, dass die Spaltung zwischen Gott und Mensch verkehrt ist, dass der Unfehlbarkeitsanspruch verkehrt ist, dass die Unterdrückung der freien Meinung durch das Gehorsamsgebot menschlich und religiös nicht zu halten ist. Es ist nicht irgendwas, was da falsch läuft, die Frage der Sexualität ist ein schweres Symptom, aber sie ist nur ein Thema. Ein Oberflächensymptom für eine Grundstruktur, die im Ganzen nicht stimmt.

Die eigentliche Wurzel in der Häufung der Missbrauchsfälle durch Geistliche liegt also in der katholischen Sexualmoral?

Die katholische Sexualmoral ist ohne Zweifel repressiv und rigide. Für Außenstehende schwer vorstellbar, aber moraltheologisch gilt nach wie vor, dass jede Erregung sexueller Lust, willentlich oder außerhalb der Ehe, als schwere Sünde zu betrachten ist. Diese Anschauung wird pädagogisch in der Kindererziehung für die Jugendlichen verpflichtend gemacht und, bereits in der Erstkommunion unterrichtet, grundgelegt. Dementsprechend stark sind die Abwehrmechanismen gegen eine natürliche Entwicklung.

Was bedeutet das für den Gläubigen?

Es sind zwei Faktoren, die sich daraus ergeben: Zum einen wird die Gestalt der Frau in etwas Unberührbares, Heiliges gesetzt. Es gibt hier keine Lernschritte der natürlichen Annäherung. Zum anderen kann das Verbot der Frau zur Fixierung von entwicklungs-homosexuellen Phasen führen. Nicht verboten scheint eine Weile lang Kontakt unter Jungen; wie es ja normal ist im Jugendalter. Aber dann kann da die reifende Sexualität hinein- drängen, mit all ihrer Triebstärke und Grenzen wegsprengend, die zu neuen Ängsten und Schuldgefühlen führen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass aus Flucht vor diesen Gefahren eine ganze Reihe von Leuten den Priesterberuf erstreben.

Sie meinen, der Weg in den Priesterberuf ist eine Flucht vor der eigenen Sexualität?

Ja. Sie fliehen vor der Sexualität, die sie nie haben kennenlernen dürfen, und diese Flucht wird dann sogar noch heilig gesprochen. Das Fatale ist, dass die ganzen, von der Kirche selber verursachten neurotischen Abwehrhaltungen, kirchlicherseits ideologisch als besondere Berufung Gottes interpretiert werden. Es wird unter Eid jemand, der mit 25 oder 28 Jahren sich weihen lässt, für sein ganzes weiteres Leben auf diesen Entwicklungszustand festgeschrieben. Und die Ausbildung in den Konvikten und Priesterseminaren leistet eigentlich keinerlei Beitrag zur Weiterentwicklung und Reife. Das Ganze bleibt ein heiliges Tabu. Dementsprechend sind diejenigen, die sich an Kindern vergangen haben, selbst noch halbe Kinder. Sie sind festgeschrieben in ihrer Erfahrung aus ihrer Jugend, zeitlich begrenzt auf die Phase kindlicher bzw. jugendlicher Zuneigung. Nicht umsonst erlöscht meist das Interesse an den Objekten der Begierde, sobald diese dem Alter entwachsen sind, in dem der Kleriker in seiner Fixierung stecken geblieben ist.

Wie lebt der Priester im Zölibat mit seinem Sexualtrieb?

Das geht einher mit ständigen Schuldgefühlen, Schuldumkehrungen, Dennochdurchbrüchen, Reueaktionen und Selbsterniedrigung. Eine endlose Mühe im Teufelskreis. Der Sünder muss beichten und bereuen, sich der heiligen Mutter Kirche unterwerfen. Das ist der einzige Weg der Kirche, damit umzugehen. Dass es in Wirklichkeit wieder anders ausgeht, ist klar. Dafür gibt es endlose Rechtfertigungen. Das ist es, was man jetzt in Canisius mit Sicherheit wird betrachten können. Die lange Kette der Entschuldigungen der Kirche für sich selber.

Solange die katholische Kirche an ihren Moraldogmen festhält, wird sich also nichts ändern?

Das, was wir jetzt erleben, ist eine Momentaufnahme von etwas, was sich in über 500 Jahren nicht verändert hat. Nicht durch die Reformation, nicht durch die Aufklärung, nicht durch die Frauenemanzipation, nicht durch die Demokratie als politischer Kultur im westlichen Abendland. Durch gar nichts! Es ist gegen jede Erfahrung resistent! Das muss es sein, weil es als Solches von Gott gegeben verstanden ist. Der Mensch hat daher gar nicht das Recht, daran etwas zu ändern. Es wäre eine neue Sünde, überhaupt für möglich zu halten, daran etwas zu ändern. Es hat einmal jemand gesagt, die katholische Kirche wäre gar nicht so schlecht beraten, wenn sie lutherisch werden wollte. Da ist was dran.

Das Gespräch führte Erwin Starke.

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