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Alte Gewissheiten gehen verloren, das merkt Johannes Krug auch in seiner Gemeinde.

© Thilo Rückeis

Kirchentag in Berlin: Die Kirche ist unpopulär - Ein Pfarrer kämpft dagegen an

Die Kirche bekommt immer mehr Gegenwind, sagt Superintendent Johannes Krug – und kämpft dagegen. Als Pfarrer in Teltow-Zehlendorf übt er Standhaftigkeit, geht ins Internet und versöhnt Alt und Jung.

Vor einiger Zeit saß er an der Probebühne des Deutschen Theaters neben anderen Glaubensvertretern, und die Gäste durften sich aussuchen, zu wem sie gehen wollten. Der Schamane und die heidnische Hexe waren ziemlich gut besucht; Johannes Krug dagegen, Pfarrer und Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Teltow-Zehlendorf, war ein wenig unwohl. Mit ihm wollte keiner reden.

Krug erzählt die Geschichte mit einem Augenzwinkern. Kurz vor Beginn des Evangelischen Kirchentags an diesem Mittwoch steht er vor der Kirche St. Peter und Paul auf Nikolskoe in Wannsee und schaut auf die Havel. Braucht man Zeit und Muße zum Sinnieren über Gott und die Welt, gibt es keinen besseren Ort als eine Bank vor dem Gotteshaus.

Damals im Theater hat Krug sich gewundert, wie anziehend die Besucher die Erklärungen seiner Glaubenskonkurrenz fanden. So hatte diese Erfahrung eine ernste Seite: „Kirche wird zu oft unter Wert betrachtet.“ Was er noch schlimmer findet: „Die wenigsten kommen heutzutage auf die Idee, in der Kirche Verankerung zu suchen.“

Dabei gibt es immer mehr Menschen, die einen Anker brauchen, sich selbst suchen, sich danach sehnen, gesehen zu werden. Das Motto des Kirchentages nimmt diese Sehnsucht auf und zitiert aus dem 1. Buch Mose: „Du siehst mich.“ Dass das viele Menschen gerne so hätten, macht jedes Selfie deutlich oder die Bereitschaft, sich im Netz und den sozialen Medien detailliert zu offenbaren. Doch wirklich gemeint zu sein, wertgeschätzt zu werden, dazu braucht es mehr als Internetpräsenz. Braucht es dafür Kirche?

Die Kirche braucht "neuen Schub"

Johannes Krug ist 47 Jahre alt, er ist verheiratet und hat drei Kinder, und wenn er solche Erlebnisse hat wie im Theater, wenn also seiner Kirche misstraut wird, regt sich Widerstand in ihm, erwacht sein „Sportsgeist“, wie er sagt. Immer öfter passiert es ihm und den Seinen, dass sich Kritik unversöhnlich äußert: die Kreuzzüge, die Hexenverbrennungen, der Machtanspruch, die Predigten von der Kanzel herab. Wenn er so erzählt, sieht man, dass ihn Pauschalverurteilungen ärgern. Er sagt: „Die Leute müssen nicht glauben, nicht an Gott, an niemanden. Aber wir in der Kirche sind auch nicht doof.“

Wichtig ist ihm, dass man sich klarmacht, dass Kirche sich kritisch mit sich selbst auseinandersetze, Intellekt und Menschennähe schließen sich nicht aus. Allerdings gibt er zu, dass ein großer Reformer wie Martin Luther nun auch schon 500 Jahre her ist, und die Kirche brauche „einen neuen Schub“. Alle spüren, „dass wir in einem gewaltigen Veränderungsprozess sind“.

Die Kirchen stehen, aber der Zweifel am Glauben wird größer. Krugs erste Antwort darauf lautet: „Wir müssen Zweiflern mit der Würde des Selbstverständlichen begegnen. Und unsere Angebote müssen immer auch Beziehungsangebote sein.“

Geboren wurde er in Harenberg nahe Hannover, Volkskirche war dort noch selbstverständlich. Seine Eltern sind keine Geistlichen. Er ging auf ein altsprachliches Gymnasium, und vor der Konfirmation traf sich seine Jugendgruppe immer im Pfarrzimmer, das vollgestopft mit Büchern war.

Das fand er inspirierend, ein Beruf mit Zeit zum Nachdenken; thematisch breit aufgestellt sein lag ihm näher als Spezialistentum. So studierte er Theologie. Ein Jahr in Jerusalem, in dem es um die Ökumene ging, gab ihm Gewissheit, dass er auf einem guten Weg war. Sein Vikariat, die praktische Ausbildung zum Pfarrer, führte ihn nach Brüssel und nach Ostfriesland, 2003 kam er als Pfarrer in die St.-Marien-Gemeinde am Alexanderplatz nach Berlin, bis er 2012 Superintendent wurde. In dieser ganzen Zeit, sagt er, habe eines massiv zugenommen: „Der Gegenwind, in dem wir stehen.“

Krugs zweite Antwort auf die Frage, was Kirche tun muss, lautet: „Anschlussfähig bleiben.“ Er will keine Strukturdebatten führen, sondern „Kirche über Themen“ attraktiv machen nach dem Prinzip Versuch und Irrtum. Manchmal geht das schief, wie beim Projekt „Rushhour des Lebens“. Krug dachte, gerade für Eltern, die beruflich eingespannt sind, ihre Kinder großziehen und oft noch die eigenen Eltern pflegen, wäre dies ein zeitgemäßes Thema. Kam nur kaum jemand. Krug grinst jetzt wie ein Schuljunge: „Vermutlich hatte keiner Zeit.“

Viele sind in Gottesdiensten unsicher

Nur nicht aufgeben also. Krug hat in seinem Kirchenkreis etwa das Internet für sich entdeckt. Er wird demnächst einen „Social-Media-Beauftragten“ einstellen, es wurden schon Andachten auf der Facebook-Seite hochgeladen, und er würde sich auch einer Diskussion darüber nicht verschließen, ob nicht die Pfarrer twittern sollten. Aber er weiß, er darf seine Gemeinde nicht überfordern.

Das Internet ist im besten Fall tatsächlich sozial, dennoch macht die analoge Arbeit, Auge in Auge, noch immer den Kern von Kirchenarbeit aus. Nicht nur in Steglitz-Zehlendorf wird die Flüchtlingsarbeit von der Kirche und ihren Ehrenamtlichen getragen. Krug probiert viel aus: Eine Schule betreut Hochbetagte, die ansonsten nicht mehr am sozialen Leben teilnehmen. Ein anderes Projekt mit dem Deutschen Theater läuft unter dem Luther-Satz: „Hier stehe ich …“ Es geht um Krugs Lieblingseigenschaft: Standhaftigkeit. Russische, deutsche und polnische Jugendliche besuchen jeweils die anderen Länder und lernen etwas über eine Person, die Widerstand geleistet hat.

Doch die Zeit drängt auch. Alte Gewissheiten gehen verloren. Bei der Trauung oder bei der Taufe wird immer häufiger von Partnern diskutiert, ob sie das „Kirchliche“ überhaupt wollen; viele sind in Gottesdiensten unsicher, sie kennen den Ablauf nicht, nicht einmal die bekanntesten Kirchenlieder können sie mitsingen. Gleichzeitig trauen sich viele nicht zuzugeben, dass sie ein Bedürfnis nach Seelsorge haben und heimlich beten.

Dass Kirche mittlerweile höchstens noch als nutzwertig betrachtet wird, als pure Sozialarbeit und nicht mehr als Bewahrer des Glaubens an sich, ist für Johannes Krug kein Problem. Er wehrt sich dagegen, dass man von Kirche immer Moral erwarte, also eine Art Erziehungsauftrag. Erziehungsberechtigter will Krug nicht sein, eher ein Medium für Erkenntnis.

Wenn Menschen sich verloren haben, dann kann ihnen vielleicht ein guter Arzt oder ein Psychologe helfen. Doch aus christlicher Überzeugung kann man Frieden nicht allein bei sich selbst finden. Um zu verstehen, was im Leben und im Sterben trägt, müsse man Gott, die Menschen und sich selbst zusammendenken. Es gebe auch ein Wort dafür: Liebe.

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