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Kirsten Heisig: "Die Angst überwiegt alles andere"

Auszüge aus dem Buch der Jugendrichterin Kirsten Heisig.

In einer Woche erscheint Kirsten Heisigs Buch „Das Ende der Geduld“, in dem die Jugendrichterin ihre Erfahrungen verarbeitet hat. Der „Spiegel“ druckt in dieser Woche einen Auszug vorab, aus dem wir zitieren. Zu den türkischen und arabischen Großfamilien, die in Neukölln die meisten Intensivtäter stellen, schreibt Heisig: „Das System: Eine Familie, Vater, Mutter, 10 bis 15 Kinder, wandert aus dem Libanon zu. Einige Kinder werden noch in der Heimat geboren, andere in Deutschland. Bevor die Mütter das letzte eigene Kind gebären, haben sie bereits Enkelkinder. Deshalb vergrößert sich der Clan in atemberaubender Geschwindigkeit. (…) Man bezieht staatliche Transferleistungen und Kindergeld.“ Die Familien hätten sich auf bestimmte Regionen in Deutschland verteilt. Man finde sie vor allem im Ruhrgebiet, in Bremen und Berlin. Es gebe in Deutschland zehn bis zwölf Clans mit einigen tausend Menschen, die nur nach ihren eigenen Gesetzen lebten und sowohl nach außen als auch nach innen kriminell seien.

Die Kinder, die aus diesen Strukturen stammten, begännen ihre kriminellen Karrieren früh: „Die Mütter (…) überlassen ihre Jungen früh sich selbst, wobei dies nicht auf mangelnde Fürsorge, sondern eher auf kulturelle Traditionen zurückzuführen ist. Söhne sind kleine Männer (…), sie treiben sich im Kiez herum und begehen erste Straftaten. Was geschieht daraufhin? Manchmal wird seitens des Jugendamts eine Familienhilfe eingerichtet. Wegen der Größe der Familien werden bis zu drei Sozialarbeiter benötigt. Deren Bemühungen werden von den Familien häufig abgelehnt.“

Dann geschehe staatlicherseits nicht mehr viel, nur dass sich Schulwechsel aneinanderreihten. Heisig: „(…) Die Schulen werfen die Jugendlichen einander zu wie heiße Kartoffeln. Sie beklagen, sie seien nicht in der Lage, mit Kindern aus diesen Familien umzugehen. Das Jugendamt sei hier gefragt. Seitens des Jugendamts höre ich, die Schulen müssten reagieren. (…) Irgendwann scheinen die beteiligten Behörden dann erschöpft darauf zu spekulieren, dass die Jungen 14 Jahre alt werden: ,Na, der ist ja bald strafmündig und dann endlich ein Fall für die Justiz.‘“ Heisig ist strikt gegen eine Absenkung der Strafmündigkeit auf zwölf Jahre. Dann würden demnächst Zehnjährige aus palästinensischen Flüchtlingslagern nach Deutschland geschleust.

Heisigs deprimierende Theorie: Die Untätigkeit der Behörden habe noch einen anderen Grund: „Sozialromantische Verblendung gepaart mit blanker Angst. Ich bin zu der Auffassung gelangt, dass die Furcht vor den kriminellen Großfamilien alle anderen Aspekte bei weitem überwiegt.“ Tsp

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