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Aus dem Koffer. Materialien wie der Sprachförderkoffer unterstützen die Erzieherinnen dabei, ihre Kinder besser auf die Schule vorzubereiten. Hier sieht man Kinder aus der Kita Bissingzeile in Tiergarten.

© Thilo Rückeis

Kita-Bildungsprogramm in Berlin: Im Kampf gegen die Spracharmut

Auch nach jahrelangem Kitabesuch können viele Kinder kein Deutsch. Damit sich das ändert, wurde jetzt das Berliner Kita-Bildungsprogramm überarbeitet. Aber das ist noch lange nicht alles.

Berlins Kitas sind besser geworden, aber noch nicht gut genug. Deshalb hat Jugendsenatorin Sandra Scheeres (SPD) am Montag eine deutlich überarbeitete Fassung des Berliner Bildungsprogramms präsentiert. Insbesondere auf die Sprachbildung soll künftig mehr Wert gelegt werden. Das ist allerdings nicht die einzige Neuerung, die anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Bildungsprogramms vorgenommen wurde. Neu ist auch die Einbeziehung der Tagespflege als „gleichwertiges Angebot“. Themenfelder wie die „Arbeit mit den Jüngsten“, Inklusion und Theaterspiel wurden vertieft oder ganz neu aufgenommen.

Die Jugendsenatorin will die Vorwürfe an die Kitas "nicht mehr hören"

Wie groß die Defizite bei der Sprachbildung in den Kitas noch immer sind, wird Jahr für Jahr bei den Einschulungsuntersuchungen deutlich. „Kinder mit Migrationshintergrund sprechen die deutsche Sprache in nicht ausreichendem Maße, obgleich mehr als die Hälfte von ihnen Kindertageseinrichtungen drei Jahre und länger besucht haben“, bilanzierte der jüngste Bildungsbericht Berlin-Brandenburg.
Senatorin Scheeres würde das nicht so ausdrücken. Sie könne die ewigen Schuldzuweisungen an die Adresse der Kitas „nicht mehr hören“, sagte sie beim Auftakt der Festwoche zum zehnjährigen Geburtstag des Bildungsprogramms. Man solle sich doch lieber vor Augen führen, wie die Kinder sprächen, wenn sie die Kita gar nicht besucht hätten.

Die Zahl der Kinder ohne Deutschkenntnisse halbierte sich

Tatsächlich sind die Unterschiede je nach Dauer des Kitabesuchs erheblich. Und es gibt auch deutliche Verbesserungen festzustellen, seitdem das Bildungsprogramm von den Kitas umgesetzt wird. Abzulesen sind diese Verbesserungen ebenfalls an den Einschulungsuntersuchungen. So sprachen 2005, also vor der Umsetzung des Bildungsprogramms, nur 55 Prozent der Fünfjährigen mit Migrationsstatus gut Deutsch; im Jahr 2012 waren es schon 68 Prozent. Im selben Zeitraum halbierte sich der Anteil der Kinder, die überhaupt kein oder kaum Deutsch sprechen, auf unter sieben Prozent. Eine leicht positive Tendenz gibt es auch bei den "Quasta"-Tests, die in den Kitas von den Erzieherinnen durchgeführt werden. "Im Vergleich 2010 zu 2013 hat der Anteil der Kinder ohne Sprachförderbedarf von 82,95 auf 84,14 Prozent zugelegt. Im gleichen Zeitraum ist der Anteil der Kinder mit Sprachförderbedarf von 17,05 auf 15,86 Prozent gesunken", teilte der Sprecher der Jugendverwaltung, Ilja Koschembar, mit.

In Marzahn spricht jedes fünfte deutsche Kind schlecht Deutsch

Allerdings haben die Erzieherinnen große Probleme, wenn es in den Kitas kaum deutschsprachige Kinder gibt. In diesen Fällen muss das Personal die alleinige Vorbildfunktion übernehmen, was nicht überall gelingt. Das zeigt sich insbesondere in den Bezirken mit hohem Migrantenanteil. So haben in Mitte 60 Prozent der fünfjährigen Migrantenkinder Sprachdefizite und in Neukölln 55 Prozent, obwohl fast alle eine Kita besucht haben. Große Probleme gibt es aber auch bei der Sprachförderung von deutschstämmigen Kindern aus bildungsfernen Familien. Insbesondere in Marzahn-Hellersdorf ist dies der Fall, wo 20 Prozent der Kinder ohne Migrationshintergrund Sprachdefizite haben. In ganz Berlin liegt der Anteil der deutschstämmigen Fünfjährigen mit Sprachproblemen bei 8,4 Prozent; bei den Migranten sind es in dieser Altersgruppe 44,8 Prozent.

Große Qualitätsunterschiede zwischen den Kitas

„Die Kitas sind sich ihrer Verantwortung bewusst, aber die Qualität ist noch sehr unterschiedlich“, resümiert Christa Preissing, eine der Verfasserinnen des Bildungsprogramms. Deshalb habe man sich die Kitas mit den guten Ergebnissen angesehen und ihre Erfahrungen in die Überarbeitung des Bildungsprogramms einfließen lassen. Dort gibt es jetzt auf knapp 20 Seiten Tipps für die Verbesserung der Sprachbildung – etwa doppelt soviel wie im Bildungsprogramm von 2004.

Die Eltern erfahren nicht, wenn eine Kita durchfällt

Berlins Landeselternsprecher Norbert Heise würdigte das Bildungsprogramm am Montag als „unglaubliche Bereicherung“. Es sei im Jahr 2004 der „richtige Schritt zur richtigen Zeit“ gewesen. Dass die Sprachförderung jetzt eine wichtigere Rolle einnähme als noch vor zehn Jahren sei eine „logische Konsequenz“ aus der Tatsache, dass die Sprachbildung in der deutschen Erzieherausbildung noch nicht genügend Raum einnehme. Kritisch sieht Heise die Tatsache, dass die Elternschaft nicht erfährt, wenn Kitas bei der externen Beurteilung („Evaluation“) durchfallen. Abgesehen davon fordert der Landeselternausschuss, dass das Kitapersonal aufgestockt wird. Der Wunsch nach kleineren Kitagruppen wurde auch während der Auftaktveranstaltung am Montag immer wieder geäußert. Allerdings machte Sandra Scheeres keine Hoffnung, dass sie das gegenüber dem Finanzsenator durchsetzen könne: „Jedes Kind weniger pro Gruppe kostet 77 Millionen Euro pro Jahr“, rechnete sie vor.

Gefordert werden volle Stellen für Leistungsaufgaben - auch in kleineren Kitas

Auch das Kita-Leitungspersonal soll nicht aufgestockt werden. Deshalb bleibt es dabei, dass eine Leitungskraft nur dann von Betreuungsaufgaben frei gestellt wird, wenn die Kita mindestens 120 Kinder hat. Martin Hoyer vom Paritätischen Wohlfahrtsverband gehörte zu den vielen am Montag, die hier eine Verbesserung forderten, aber ebenfalls von Scheeres eine Absage erteilt bekamen.

Erst 50 Kitas wurden zu Familienzentren

Da die Kitas also bei der Quantität des Personals also auf der Stelle treten, setzen Scheeres und Preissing auf qualitative Verbesserungen. Eine Schlüsselrolle kommt dabei dem Bildungsprogramm zu, aber auch der Elternarbeit in den Familienzentren: Inzwischen sind berlinweit etwa 50 Kitas zu Familienzentren ausgebaut worden oder auf dem Weg dorthin, was allerdings noch nicht reiche, betonte Preissing. Angesichts der Vielzahl armer Familien müssten wesentlich mehr Kitas in die Lage versetzt werden, den Eltern intensive Hilfestellungen und Beratung zu geben, wie nur Familienzentren es können.

Deutlich wurde am Montag, dass die Tagesmütter und -väter bislang zu Unrecht im Bildungsprogramm ignoriert wurden. "Wir sind sehr glücklich, dass wir aufgenommen wurden", betonte Eveline Gerszonovicz als Vertreterin der Tagespflege. Zwei Drittel der Tagesmütter würden bereits nach dem Bildungsprogramm arbeiten. Und der Moderator des Gedankenaustauschs, Christian Füller, schaffte es dann auch noch, der Jugendsenatorin ein Kitaerlebnis zu entlocken: "Ich bin an meinem ersten Kita-Tag weggelaufen - und zwar nach Hause", gab Sandra Scheeres zum Besten.

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