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Kitas in Berlin: „Viele Kinder ziehen sich zurück“

Im Interview mit dem Tagesspiegel spricht Katrin Hentze, Leiterin einer Kita im Berliner Bezirk Wedding, über die Folgen von Armut für Kinder.

Frau Hentze, ist Kindern Armut anzusehen?

Ja, sie haben oft schlechte Zähne, weil sie falsch ernährt werden. Viele sind übergewichtig, weil Geld für frische Produkte fehlt. Mangelerscheinungen gibt es auch. Einige Kinder kommen im Winter mit Sandalen an den Füßen in die Kita oder einer dünnen Windjacke mit zwei Pullis darunter. Vielen fehlt es an Schlaf, weil sie nicht oder zu spät ins Bett kommen. Auch die sprachliche Entwicklung bleibt oft zurück, weil sie zu viel Fernsehen schauen. Das wirkt sich dann negativ auf die Persönlichkeitsentfaltung aus.

Wie wirkt sich Armut noch aus?

Armut hat viele Gesichter – in den schlimmsten Fällen werden Kinder vernachlässigt oder Opfer von Gewalt. In Stadtteilen wie Wedding sieht man oft dreijährige Kleinkinder auf der Straße, die mitten in einer Horde von Geschwistern sich selbst überlassen sind – ohne Eltern oder Aufsicht. Andererseits gibt es Eltern, die sehr verantwortlich mit ihrer Armut umgehen. Und grundsätzlich gilt: Alle Eltern wünschen sich das Beste für ihre Kinder.

Aber doch wohl kaum, wenn sie ihre Kinder sich selbst überlassen?

In diesen Fällen sind die Eltern oft selbst resigniert oder depressiv, weil sie keine Arbeit haben und nur wenig Geld. Den Eltern fehlen oft Freunde oder Bezugspersonen. Sie kennen das öffentliche Leben vor allem aus den traurigen Begegnungen in den Jobcentern. In so einer Verfassung ist es schwer, ein zukunftsweisendes Umfeld zu schaffen und den Kindern Anregungen und Geborgenheit zu geben.

Was sind die Folgen?

Die Kinder sitzen oft vor dem Fernseher und werden von den Eltern kaum angesprochen. Das hat Folgen für die Persönlichkeit: Sie ziehen sich zurück und meiden Kontakt. Die natürliche kindliche Neugierde, die für das Lernen so wichtig ist, geht verloren. Andere Kinder kompensieren den Mangel, indem sie auf jeden beliebigen Fremden zugehen, ohne jegliche Vorsicht. Einige Kinder werden schnell wütend oder gewalttätig. Sie spielen kaum und wissen nicht, womit sie sich beschäftigen sollen.

Müsste eine wirksame Therapie dann nicht eigentlich bei den Eltern ansetzen?

So ist es, man müsste Familienzentren schaffen in Problembezirken wie dem Wedding, wo die Armut stetig wächst. Dafür gibt es keine öffentlichen Gelder. Wir versuchen das mit Spenden aufzubauen. Denn viele Eltern sind wenig gebildet und brauchen oft schon beim Ausfüllen von Anträgen Hilfe. Die Zentren könnten Sprachkurse und Krabbelgruppen, Ernährungs- und Sozialberatung anbieten. Aus der Arbeit in unserer Kita wissen wir, dass die Eltern solche Angebote annehmen würden. Denn viele versuchen, auch mit wenig Geld, mit ihren Kindern über die Runden zu kommen.

Andere sitzen in der Kneipe und bezahlen den Wirt mit ihren Hartz-Bezügen.

Auch das gibt es. Aber das ist nicht die Mehrheit.

Das Gespräch führte Ralf Schönball

Katrin Hentze

ist Leiterin der

Kita A 13 in Wedding. Die gelernte

Sozialarbeiterin ist

außerdem

beim Berliner

Kinderschutzbund

als Beraterin tätig.

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