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Berlin: Klaus Lüdcke (Geb. 1938)

Hundehalter brauchen einen Führerschein! Knut ist kein Kuscheltier!

Einer musste es den Berlinern sagen. Warum nicht Klaus Lüdcke, der Lospolterer, groß und kräftig. Nur die Morddrohungen auf seinem Anrufbeantworter waren zu viel. Nicht weil sie ihm Angst gemacht hätten. Er fand sie feige. Wenn kämpfen, dann offen und ehrlich. Wie früher, als der Judoka für die DDR-Jugendauswahl seine Gegner in den Würgegriff nahm.

Heftig wurde der Gegenwind, als er den Leuten vom Zirkus die Elefanten und Löwen verbieten wollte, einen Hundeführerschein forderte oder Knut-Fans verärgerte, weil er fand, dass der Eisbär kein Kuscheltier war. Tatsächlich konnte man Klaus Lüdcke, Berlins ersten ehrenamtlichen Tierschutzbeauftragten, jederzeit zu Hause anrufen, wenn tierisches Wohl in Gefahr war. Er rettete Katzen, Hunde, Schlangen und einmal sogar sechs Affen. Und er hatte immer Kot-Tütchen dabei, die er auch Kampfhundehaltern in die Hand drückte.

Nach sechs Jahren Amtszeit verkündete Lüdcke der Presse, dass der Berliner sein Tier zwar liebe, aber weder genügend Wissen noch Verantwortungsgefühl habe, richtig mit ihm umzugehen. Diplomatie war nicht seins. Nach dem Judo hatte er Boxen gelernt. Austeilen. Hart werden.

Wunden rissen die Szenen, die er als Kind im Bombenhagel erlebte. Darin sah er sich, seine kleine Schwester und seine schwangere Mutter durch die Straßen rennen, auf der Suche nach einem Keller. Oder, wie sie nach einer Bombennacht durch die Wilmersdorfer Straße gehen, Qualm, Trümmer, verstörte Menschen. Auf einmal entdeckt er Kinderleichen unter einer Straßenbahn, bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Aber das waren keine Kinder, sondern Erwachsene, die sich verstecken wollten und dann im Phosphor starben. Darüber sprechen konnte er mit der Männergruppe seiner Kirche. Sie schrieben ein Buch über ihre Erlebnisse.

Erst Evakuierung, dann Kriegsende, ein Glück, dass Vater, Mutter und Geschwister sich wohlbehalten in Blankenfelde wiedertrafen, wo Lüdckes tierisches Leben begann. Mit zehn kümmerte er sich um Hamster, Kaninchen, Wellensittiche. Nur für das Futter musste er selber sorgen. Er sammelte Samen und Körner, baute Mais an und half auf einem Bauernhof. Für seine Klassenkameraden war er einfach der Klaus mit der Krähe. Ein verletztes Tier, das er pflegte und zähmte.

Sein Abitur bestand er zweimal. Erst in der DDR und, nachdem die Familie Ende der Fünfziger nach West-Berlin geflohen war, noch einmal. Das musste sein, damit er an der Freien Universität Tiermedizin studieren konnte. Geld verdiente er zunächst als Müllmann, ein Studentenjob. Die echten Müllmänner nannten ihn den Ameisendoktor.

Als die Achtundsechziger gegen den Vietnamkrieg Schilder schwangen, schloss sich Klaus Lüdcke einer schlagenden Verbindung an – mit Trinkgelage, Wappen und Degen. Einmal, er hatte schon gesiegt, haute ihm der Gegner von hinten noch über den Kopf. Blut floss, Narben blieben. Als Studentenvertreter klebte er Plakate gegen die Linken, nachts und heimlich, zusammen mit seiner Verlobten. Kam jemand, knutschten sie. Sie war groß, blond und attraktiv. Er, stark, charismatisch, immer in Sakko mit Hemd, und vor allem wissbegierig. Nach einem Jahr heirateten sie.

Man kann sagen, dass sein Leben aus zwei weißen Hemden bestand. Eins für tagsüber, als er sich erst für Schering mit Umweltdaten beschäftigte und später Leiter der Bibliothek des Umweltbundesamtes wurde. Und ein zweites Hemd für abends, wenn er zur Versammlung ging. Ob in der Potsdamer Rudergesellschaft, der Friedrich-Ludwig-Jahn-Gesellschaft, dem Museumsdorf Düppel, der Tierärztekammer, dem Naturschutzbund. Überall war er Mitglied, überall redete er mit, oft wurde er gewählt. Dann hieß es nur: „Der Klaus, der übernimmt das schon.“ So wurde er noch als Pensionär zum Berliner Tierschutzbeauftragten vorgeschlagen. Senat, Tierschutzverbände, alle waren sich einig: „Der Dr. Lüdcke, der kann das.“

Er versank in Büchern, ein Raum reichte für seine Bibliothek nicht aus. Doch die Lebendigkeit, mit der er ausschmücken konnte, Freunde und Familie durch die Stadt führte, erst seiner Tochter vom Elefanten und den Trappern Jim und John erzählte und dann für seine Enkel Kasper spielte, wie er andere anstecken konnte mit seinem gestenreichen Elan, das war seine Gabe.

Es war auch der funkensprühende Klaus Lüdcke, der noch einmal eine Frau von sich überzeugte. Er: knapp 65 und geschieden, sie: drei Jahre älter, Witwe. Trafen sich zufällig, er fragte nach ihrer Telefonnummer und rief tatsächlich an. Er führte sie durchs Nikolaiviertel, brillierte, und sie war beeindruckt von diesem gut gekleideten, gut gelaunten Mann. Natur, Musik, Gespräche, all das verband sie, 13 Jahre lang.

Sein letzter Einsatz führte ihn mit Fernglas und Zettel an den Teltowkanal: Bieber zählen. Es war Anfang September, angenehm warm, als sein Körper plötzlich entschied, dass es nun genug sei.

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