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Berlin: Klaus Menzel (Geb. 1960)

Ohne Bäumchen, ohne Männchen, ohne Spielzeugautos

Bestaunt wird zumeist das Große. Weil es da ist, in aller Deutlichkeit, so viel größer als der Mensch. Häuser, hunderte Meter hoch oder ausgedehnt auf eine kolossale Fläche. Für das menschliche Auge unüberschaubar. Architekten und ihre Auftraggeber träumen mitunter den Traum von Höhe und Breite. Doch das, was auf Papier oder Bildschirm dargestellt ist, kann sich kaum jemand vorstellen. Maße, Fenster, Türen, Treppen bleiben Andeutung, die Gestalt des Gebäudes hinter ihr verborgen.

Der Modellbauer kommt ins Spiel. Er bildet das unfassbare Große im fassbaren Kleinen ab. Das Kleine, in seiner maßstabsgetreuen Winzigkeit ebenso erstaunlich wie das Große. Miniaturfenster, Miniaturtüren, Miniaturtreppen. Man beugt den Rücken, senkt den Kopf, um jede Einzelheit der kleinen, doch kompletten Welt zu erkennen.

Klaus Menzel hat Architektur studiert, aber nie als Architekt gearbeitet. Während seines Studiums trifft er Axel Monath und dessen älteren Freund Götz Karbaum, die zusammen eine Architekturmodellbauwerkstatt führen. Klaus, zunächst nur Praktikant, darf bei dem ersten größeren Auftrag der beiden dabei sein. Für eine Ausstellung sollen die Taut’sche Hufeisensiedlung in Britz, das Verlagshaus Mosse in der Jerusalemer Straße und das Kaufhaus Karstadt am Hermannplatz nachgebaut werden.

Doch Götz Karbaum stirbt, bevor es losgeht. Axel Monath und Klaus Menzel bauen seinen Sarg. Und machen sich, trotz der gespenstischen Wendung, an die Modelle. Klaus steigt ganz in die Firma ein, als gleichberechtigter Partner, die Abgabe seiner Diplomarbeit, im Grunde nur ein Akt der Ordnung halber, zögert sich um Jahre hinaus.

An den Modellen verdienten Monath + Menzel keinen Pfennig. In der Architekturszene aber wird das Büro schlagartig bekannt. Aufsehenerregend das Modell des Kaufhauses Karstadt: Eine Rampe steigt allmählich an, erreicht an ihrem höchsten Punkt das blau illuminierte Gebäude. Die Hufeisensiedlung kommt, eine Ehre, ins Bauhausarchiv.

Die Modelle, die die Werkstatt baut, sind keine naturalistischen. Ohne Bäumchen, ohne Männchen, ohne Spielzeugautos. Es geht darum, die Essenz des Entwurfes umzusetzen, die Idee, das Abstrakte sichtbar zu machen. Das funktioniert durch den unkonventionellen Einsatz konventioneller Materialien: Massives Holz wird nicht für massive, sondern für filigrane Elemente eingesetzt. Oder: Die Grundplatte des Modells besteht aus Aluminiumblech, das Gebäude darauf aus rot gefärbtem Gips, die Wasserfläche darum aus dunklem Plexiglas.

Monath + Menzel fertigen fast ausschließlich für Architekturwettbewerbe. Als Modellbauer sieht man nach wenigen Tagen ein Resultat, arbeitet nicht wie der Architekt Monate und Jahre an ein und demselben Projekt, ärgert sich über Bauherren, zeichnet für den Papierkorb.

Doch man hat auch nur wenige Tage Zeit. Das Wort „Abgabe“ hängt drückend über allen Köpfen. Eine Woche, maximal zwei müssen reichen. Schneiden, kleben, formen, bis tief in die Nacht. Während des Wettbewerbs für das Humboldt-Forum arbeitet das Büro für acht Architekten gleichzeitig. Hildegard, seine Frau, Kristina, seine Tochter sehen ihn in diesen Zeiten vielleicht am Frühstückstisch. Dabei wäre er so gern viel öfter da.

Klaus fürchtet sich vor einem Herzinfarkt. Familienerbe. Spottet darüber, mit seinem trockenen Humor. Aber es ist Krebs. Wie damals, vor 24 Jahren, Götz Karbaum, der erste Partner von Axel Monath. In der Firma geschehen obskure Missgeschicke, nachdem klar ist, dass Klaus nicht mehr gesund wird: Ein gequetschter Finger in einer Aufzugtür, eine zersprungene Plexiglashaube bei einer Modellauslieferung.

Klaus will raus aus dem Krankenhaus, will zu seiner Frau und zu Kristina, sie ist erst 14. Er stirbt bei ihnen, zu Hause.

Hildegard sagt: „Klaus wollte leben, so sehr. Nicht gehen.“ Tatjana Wulfert

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