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Berlin: Klaus Siepert (Geb. 1933)

„Ganz recht: ein Einreihenhebelwerk.“

Wie der aufgerissene Rachen eines gelben Ungeheuers bricht der Eingang des U-Bahn-Museums aus der gekachelten Wand der U-Bahn-Station „Olympia-Stadion“. Es handelt sich um die Front eines U-Bahn-Zuges. Ein paar Stufen weiter oben öffnen sich Räume und Gänge, randvoll mit Dingen, die U-Bahn- Fans in einen Ausnahmezustand versetzen dürften: alte Wagenbeleuchtungen, Fahrkartenautomaten mit „20 Pfg.“-Beschriftung, Fahrpläne aus Großmutters Zeiten, Dienststellungsabzeichen, eine Hauptuhr, die per Stromsignal die Bahnhofsuhren stellte, Schienenhobel, der Arbeitsplatz eines Zugabfertigers, S-Bahnen als Miniatur-Modelle, BVG-Playmobilmännchen. Lauter Dinge, die Klaus Siepert mit großer Ausdauer sammelte. Er erfasste, katalogisierte, schematisierte, was andere BVG-Angestellte aus Nostalgie verwahrten: hier eine alte Schaffner-Mütze, da ein signierter Befehlsstab von einer Eröffnungsfeier.

Der berufliche Werdegang von Klaus Siepert ist schnell erzählt: Nach dem Studium der Elektrotechnik arbeitete er als Ingenieur bei der AEG. Das Beste, was Klaus aus dieser Zeit mitnahm, war die Liebe zu einer technischen Zeichnerin, seiner späteren Frau Eva. Davon abgesehen war er bei der AEG nie richtig zu Hause. Mit Freude wechselte er 1967 zu den Berliner Verkehrsbetrieben. Dort führte ihn seine Leidenschaft für das Verkehrswesen in die Position des Abteilungsleiters sowie des stellvertretenden Betriebsleiters, verantwortlich für die Stellwerke der West-Berliner U-Bahn.

Als die Mauer fiel und BVG und BVB zusammengelegt wurden, konnten die ostdeutschen Kollegen schon einiges vorweisen, was Klaus Siepert begeisterte: Eine „Arbeitsgemeinschaft U-Bahn“, die ausrangierte Fahrzeuge aufbewahrte und in Schuss hielt. Er selbst war aber auch nicht untätig gewesen. In der Yorckstraße hatte er Räume der BVG mit allerlei Material gefüllt. Nur öffentlich ausstellen konnte man dort nicht. Das Verkehrsmuseum lehnte freundlich aber entschieden ab, Platz für diese Sammlung zur Verfügung zu stellen. Als idealer Ort erwies sich das alte elektromechanische Hebelstellwerk Olympia-Stadion. Ost- und West-Berliner Sammlungen wurden zusammengeführt, eine gemeinsame „Arbeitsgemeinschaft U- Bahn e. V.“ gegründet. Im September 1997 dann endlich die erste öffentliche Präsentation; Zentrum und Prunkstück der Sammlung ist das 14 Meter lange Stellwerk. Zwischen 1931 und 1983 wurden von dort aus 103 Weichen und 99 Signale bedient. Mit leuchtenden Augen erzählte Klaus Siepert den Besuchern: „Olympia-Stadion war das größte elektromechanische Stellwerk in Europa. Also in seiner Bauart. Ganz recht: ein Einreihenhebelwerk.“

Mancher steht wie erschlagen in den Räumen, an deren Wänden kaum eine Handbreit Platz bleibt. Nur wenige Objekte sind beschriftet – durch liebevoll gestaltete Pappkarten, die Eva Siepert daheim am Computer erstellte.

In seinem letzten, gesundheitlich angeschlagenen Lebensdrittel verfolgte Klaus Siepert, wie die Zahl der BVG-Angestellten von 16 000 auf etwa 10 000 sank. Die Zeiten änderten sich: Neue Techniken, weniger Fahrten und ein Unternehmen, das den Senat bei Laune zu halten hat.

Man sah Klaus Siepert nur noch an zwei Orten: zu Hause oder im U-Bahn- Museum. An einer Gehhilfe lief er durch das Museum, immer voller Ideen zur Verbesserung der Ausstellung. So ließ er zum Beispiel eine Weiche so umbauen, dass die Besucher sie durch einen Hebel selbst stellen und ihren Mechanismus erkennen können.

Selbst die siepertsche Doppelhaushälfte in Zehlendorf diente zur Lagerung etlicher Objekte. Klaus Siepert sammelte aber auch Kunstwerke und Bücher, die er tatsächlich las. Was er darüber dachte, erzählte er weder seinen Museumsfreunden noch den Bekannten bei der Zehlendorfer SPD. Klaus Siepert sprach über U-Bahnen, nicht über sich.

Sein Gesicht blickt freundlich und verschmitzt von einer Fotografie in Plakatgröße auf das gewaltige Stellwerk. Weißer Bart, Brille mit dünnem Silberrand – und natürlich die graue Uniform mit gelbem BVG-Anstecker.

Klaus Siepert, dessen Leben das Verkehrswesen war, starb bei einem Verkehrsunfall. Anselm Neft

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