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Klaus Vonderwerth (1936-2016)

© privat

Berlin: Klaus Vonderwerth (Geb. 1936)

Alle hatten es zur Meisterschaft im Zwischen- den-Zeilen-Lesen gebracht

Unvermittelt verfinstert sich der Raum, obwohl draußen die Sonne scheint. Tagelang schon hatten Bauarbeiter ein Gerüst an der Wand des Hauses hochgezogen, waren polternd und rufend auf den Holzplanken hin- und hergeturnt. Das hatte ihn nicht weiter gestört. Dieses dunkle Netz jetzt aber, gespannt vor allen Fenstern, beunruhigt Klaus Vonderwerth. Denn das Netz und die Dunkelheit werden die nächsten Monate bleiben. Ein Desaster. Er braucht Licht, das Licht des Tages, um zeichnen zu können. Um an seinem weißen Schreibtisch mit hauchdünnen, harten Bleistiften und spitzen Federn das Changieren von Licht und Schatten abzubilden, geschult an Dürer und William Hogarth die Flächen auf dem Papier mit haarfeinen Schraffuren zu bedecken. Im Dämmerschein gelingt das schwer.

Er legt den Stift auf den Tisch, ihm fällt Biesdorf ein, das Sommerhaus, in das er und Cleo und die Tochter an den Wochenenden fahren, das Holzhaus, in dem er aufgewachsen ist, erst ohne den Vater, weil der im Krieg kämpfte, dann mit dem heimgekommenen, ihm und der Mutter fremd gewordenen Mann, dann wieder ohne ihn, da die Fremdheit nicht zu überwinden gewesen war. Wo die Mutter einen Tante-Emma-Laden eingerichtet hatte, um sie beide über die Runden zu bringen. Wo er begonnen hatte zu zeichnen. Dorthin wird er nun zurückkehren.

Von Anfang an war sein Talent unübersehbar. Er lernte Dekorateur, studierte dann Grafik und Buchkunst in West-Berlin. Mietete ein Zimmer in Schöneberg, nahm zum Geldverdienen zig Gelegenheitsjobs an, trampte in den Semesterferien mit einem Freund bis nach Südspanien, wo sie die Fähre nach Afrika bestiegen, wohnte bei Familien, die er zufällig kennengelernt hatte, die wissen wollten, wie es ist in Berlin.

Wie es war, bis zum Sommer 1961. Am 13. August saß er auf einem Ostseecampingplatz, als jemand schrie: „Die Grenze ist zu!“

Der Vorhang war gefallen und die Welt kleiner geworden, aber nicht in Klaus Vonderwerths Kopf. Er reiste trotzdem, so weit es eben ging. Mit seinem knallroten Škoda Felicia Cabrio nach Ungarn, nach Rumänien, nach Bulgarien. Und er arbeitete. Bekam die besten Aufträge ohne Parteizugehörigkeit, ohne dem System buckelnd zu dienen. Er war gut, herausragend. Skizzierte, verwarf die Idee, begann von Neuem, nein, auch an diesem Entwurf stimmte etwas nicht, also ein dritter, ein vierter, ein fünfter. Es entstanden Plattencover für die Klaus Renft Combo, Frank Schöbel, die Puhdys, für Märchen-Hörspiele und Peter-Hacks-Erzählungen. Er illustrierte Kinderbücher, zeichnete Karikaturen für „Das Magazin“ und den „Eulenspiegel“.

Zu lachen gab es viel in der DDR, wenn man nicht weinen wollte. Klaus Vonderwerth hob vorsichtig den Vorhang, der über Stumpfsinn und Enge und Willkür gebreitet war, selten brauchten seine Witze erläuternde Worte, die Leute verstanden. Auch jene, die dafür zu sorgen hatten, dass das Lachen ihrer Bürger nicht ausartete. Ein Auto auf einer Straße voller Schlaglöcher konnte schon zu viel sein. Oder das Plakat für „Die Legende von Paul und Paula“: Paul und Paula küssen sich und um sie ranken sich barocke Ornamente, die, wenn man es so sehen will, Ohren und Augen darstellen. Nein, sagte die Stasi, das sind doch wir, und das Plakat verschwand. Alle, die normalen Menschen wie die Zensoren, hatten es zu Meisterschaft im Zwischen-den-Zeilen-Lesen gebracht, und manchmal waren die Ersten sogar gründlicher noch als die Zweiten: Klaus Vonderwerth hatte einen Cartoon gezeichnet, darauf auch ein gefällter Baum mit riesiger Krone. Ein Leserbrief erreichte die Redaktion: Das gehe dann doch zu weit – Karl Marx am Boden.

Selbstporträt
Selbstporträt

© privat

Aber die DDR wusste, was sie an ihm hatte, spätestens, seit der Westen auf ihn aufmerksam geworden war. Er gewann Preise in der Schweiz, in Belgien, in Norwegen. Von letzterem erfuhr er zunächst nichts, bis sein Telefon klingelte: „Ich gratuliere dir“, sagte ein Schweizer Kollege, und Klaus Vonderwerth fragte: „Wozu?“ Die Preisbenachrichtigung war von der Stasi abgefangen worden.

Ende 1989 endete der Spuk ohnehin. Inzwischen kannte fast jedes Kind Klaus Vonderwerth. Nicht seinen Namen, nicht sein Gesicht, aber diesen Baum mit den dunklen Augen, in dem Waldgeister wohnen und Träume stecken, 13 Plattencover hat er über die Jahre für Reinhard Lakomys „Traumzauberbaum“ illustriert. Die Wende warf ihn nicht um, denn es gab nichts zu bereinigen, nichts zu entwirren. Er zeichnete weiter, wöchentlich eine politische Karikatur für die „NBI“, später die „Zeit“ und die „Süddeutsche“. Dummheit war kein DDR-Privileg.

Er stellte seine Arbeiten aus. Er zog mit Cleo vom Bötzowviertel nach Biesdorf und führte doch kein biederes Vorstadtleben, lud Freunde ein und fuhr zu ihnen in die Stadt. Er liebte kleine Scherze: Ging in ein Kaffeegeschäft, tat, als sei er taubstumm, und die Verkäuferin versuchte mühsam ein Gespräch mit Gesten. Oder diese Werbeanrufe. „Nein“, sagte er mit verstellter Stimme, „meine Eltern sind nicht da.“ – „Wie alt bist du denn?“ – „Vier.“ – „Du hast aber eine tiefe Stimme.“ – „Ich hab’ Bronchitis.“

Er hangelte sich mit 75 noch durch einen Kletterwald, raste mit seinem alten Rad durch den Märkischen Sand, um der Erste an der Eisdiele zu sein. Und bei all dem lachte er.

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