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"Ich arbeite jeden Tag daran, dass es besser wird. Nicht wegen der Sympathiewerte, sondern um die Probleme zu lösen", sagt Klaus Wowereit über seine Politik für Berlin.

© dpa

Klaus Wowereit im Interview: "Diese Stadt muss sich verändern"

Lange war er der beliebteste Politiker Berlins, doch seine Popularität leidet unter dem BER-Debakel. Klaus Wowereit über politische Freundschaften, mächtige Bezirksstadträte und die Haltung der Berliner zu ihrer Stadt.

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Auf dem Weg zum Interview mit dem Regierenden Bürgermeister im Roten Rathaus kommt uns Kultur-Staatssekretär André Schmitz entgegen. „Na dann viel Spaß“, ruft er, erkennbar ironisch. Der Regierende und die Berliner Medien, das war in den vergangenen Monaten nicht immer ein Verhältnis zum gegenseitigen Vergnügen.
Oben begrüßt uns Klaus Wowereit mit seinem etwas rempeligen Charme, ist aber ansonsten ganz freundlich. Es ist sein erstes Interview mit dem Tagesspiegel seit langem. Wenn er sich über uns geärgert hat, lässt er es sich jedenfalls nicht anmerken.
Bevor es los geht, ein kurzer Blick vom Balkon auf die Baustelle der U5, die Wowereit nie wollte. Jetzt dröhnt es direkt unter seinem Zimmer, offene Bauweise. Schlimm? „Seitdem gibt es hier vor dem Fenster keine Demonstrationen mehr.“ Na klar, die Baustelle ist ja abgesperrt. So hat alles seine Nebenwirkung.
Wowereit erzählt, dass er sich die Tagesspiegel-App auf sein Handy geladen hat. „Schöne Zeitung“, sagt er. Wie ist das nun wieder gemeint? Eine typische Wowereit-Antwort: „Mit dem Sportteil bin ich zufrieden.“ Na dann.

Herr Wowereit, Sie waren lange der beliebteste Politiker der Stadt, zuletzt sind Sie doch etwas abgestürzt. Fühlen Sie sich ungerecht bewertet?
Na ja, wenn etwas schief geht, darf man sich nicht wundern, dass die Leute reagieren.
Die Kritik an Ihnen ist also berechtigt?
Dass ich ganz gerne eine differenziertere Betrachtungsweise von Verantwortlichkeiten am Flughafen sehen würde, liegt, glaube ich, in der Natur der Sache. Natürlich spielt da eine Rolle, dass man auch verantwortlich gemacht wird für Dinge, die man persönlich nicht zu verantworten hat.
In Ihrer Frühzeit als Regierender Bürgermeister haben Sie uns auf die Frage, was Sie mögen, gesagt: Für alles zuständig sein. Würden Sie das heute auch noch so beantworten?
Das bezog sich ja nie darauf, dass ich alles auf meinen Schreibtisch ziehen will.

… der ist heute tatsächlich ziemlich aufgeräumt.
Ja, der ist gerade relativ leer, das haben Sie gut bemerkt. Aber das sagt nichts über den Berg an Arbeit, der dort jeden Tag ansteht. Damals bezog es sich auf die Bandbreite der Aufgabe, auf die Querschnittsfunktion. Das ist das Spannende daran, Regierender Bürgermeister zu sein.
Wie begegnen Ihnen denn die Berliner in der letzten Zeit?
Freundlich.
Es hat sich nichts verändert?
Manche sprechen in meiner Gegenwart das Wort mit dem F nicht mehr an. Interessante Variante. Einige trauen sich’s trotzdem, aber damit ärgert man mich gar nicht. Also, das Verhältnis der Leute zu mir hat sich eigentlich nicht verändert.
Die Umfragewerte schon.
Ich arbeite jeden Tag daran, dass es besser wird. Nicht wegen der Sympathiewerte, sondern um die Probleme zu lösen.
Haben Sie dabei gerade einen Freund verloren?

Wer sollte das sein?
Matthias Platzeck.
Matthias Platzeck ist nach wie vor ein politischer Freund.
Aber?
Kein Aber. Politische Freundschaft heißt doch nicht, dass man immer zu hundert Prozent übereinstimmen muss. Das zeichnet ja gerade eine Freundschaft aus, dass man das dann ausbalancieren kann.
Also haben Sie ihm ganz freundlich gesagt, dass Sie beim Nachtflugverbot anderer Meinung sind?
Unmissverständlich.

Sie kennen sich lange, sind beide lange im Amt, er ist ein Nachbar, fast hätte es eine Fusion gegeben, aber jetzt redet man ganz anders übereinander. Ist da etwas zerbrochen?
Es ist schon immer so gewesen, dass Brandenburg und Berlin die eigenen Interessen vertreten, und das wird auch in Zukunft so sein. Aber wir arbeiten auf vielen Gebieten auch gut zusammen.
Aber der Ton zur Zeit …
Nein, der Ton ist da auch nicht anders, aber wir haben jetzt ein ernstes Problem. Ich finde es absolut kontraproduktiv, beim Thema Flüge in den Tagesrandzeiten ein Fass wieder aufzumachen, das schon längst zu war.

"Berlin hat Brandenburg nicht über den Tisch gezogen."

Wie lässt sich dieser Konflikt lösen?
Für mich geht’s um die Sache. Und die ist ausgefochten und im Konsens beschlossen. Es ist ja nicht so, dass Berlin die Brandenburger übern Tisch gezogen hätte. Die Flugzeiten sind durch Brandenburger Behörden auf Antrag der Flughafengesellschaft genehmigt und durch Gerichte bestätigt worden. Deshalb ist auch das Unverständnis so groß, dass ausgerechnet jetzt, wo wir ja wirklich andere Baustellen auf diesem Flughafen haben, dies vom Landtag in Potsdam in Frage gestellt wird. Ich bin gespannt, wie der Ministerpräsident sich da weiter verhält.
… und der Aufsichtsratsvorsitzende Platzeck.
Als Aufsichtsratsvorsitzender kann Matthias Platzeck nicht gegen die Interessen der Flughafengesellschaft auf die Randzeiten verzichten. Wir haben hier eine eindeutige Rechtslage, und die wird nicht in Frage gestellt dadurch, dass der Brandenburger Landtag ein Volksbegehren übernimmt. Es gibt keine Vorlage von der Geschäftsführung des Flughafens, etwas zu verändern, und die wird’s auch nicht geben.
Halten Sie es für denkbar, dass sich Brandenburg sukzessive von dem Projekt verabschiedet?
Nein, das halte ich für undenkbar und dafür habe ich auch keine Anhaltspunkte.
Brandenburg wird’s zu laut, und dem Bund wird’s zu teuer.
Dem Bund wird’s nicht zu teuer. Der Bund hat, anders als das noch unter anderen Führungen der Fall war, einen Verkauf seiner Anteile nicht in Erwägung gezogen. Das ist vorbei.
Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer ist ein verlässlicher Partner?
Peter Ramsauer hat in der Vergangenheit …

Sagen Sie’s, ganz offen: manche Sau durchs Dorf getrieben?
… sehr häufig seine eigene Politik betrieben, die nicht unbedingt der gemeinsamen Beschlussfassung der Gesellschafter entsprach.
So, und mit Mehdorn wird jetzt alles gut, oder wenigstens besser?
Das ist jedenfalls ein erfahrener Manager, der bewiesen hat, dass er sich durchsetzen kann. Am Flughafen muss es jetzt ja vorangehen. Und wenn es mal produktive Spannungen gibt, dann kann das auch positiv sein.
Was ist für Berlin schlimmer im Zusammenhang mit dem Flughafen: der finanzielle Schaden oder der Ansehensverlust?
Jeder Schaden für die Reputation ist ärgerlich. Aber er ist jedenfalls nicht derart hoch, wie er manchmal beschrieben wird. Natürlich ist das kein Glanzstück, aber die Leute können schon einschätzen, wie schwierig Bauprojekte heute überall sind. Es gibt ja auch andere Großprojekte mit riesigen Problemen. Und insgesamt entwickelt sich Berlin doch recht gut, wir sehen das an den Tourismuszahlen und anderen wirtschaftlichen Eckzahlen. Auch das nehmen die Leute sehr genau wahr.
Aber die Stimmung gegenüber Berlin hat sich doch deutlich verschlechtert.
Ach, das war doch jetzt auch ein gefundenes Fressen für all diejenigen, die schon immer etwas gegen Berlin hatten.
Leute wie Helmut Schmidt?
Helmut Schmidt ist aus dem Zusammenhang heraus zitiert worden, ihm ging es um große Bauprojekte insgesamt, und da ist Berlin nun wirklich nicht alleine betroffen.
Aber die hämischen Kommentare von außerhalb Berlins werden Sie ja mitbekommen haben.
Ja, und auch die Häme, die es in Berlin selbst gibt und die erst die Munition liefert für diejenigen, die Berlin Schlechtes wollen. Das gibt’s so auch nur in Berlin. In Hamburg schließt man die Reihen bei Angriffen von außen, in München auch. In Berlin werden diejenigen noch mit Negativstimmen verwöhnt, die sowieso gegen Berlin agieren. Das ist nicht untypisch. Eine Haltung, an der man arbeiten muss, im Sinne einer Corporate Identity.
Welche Klischees über Berlin nerven Sie am meisten?
Dass Berlin keine eigenen Anstrengungen mache, um seine wirtschaftliche Situation zu verbessern. Warum haben wir denn die niedrigste Einkommensentwicklung bei den öffentlich Beschäftigten? Weil wir mit dem Solidarpakt Milliarden eingespart haben. Wir haben auch auf viele Infrastrukturmaßnahmen verzichtet, weil das Geld nicht gereicht hat. Wir werden im Rahmen der Schuldenbremse unsere Verpflichtungen einhalten, und die wirtschaftliche Entwicklung zeigt, dass wir die richtigen Schwerpunkte setzen. Was gibt’s denn noch für Klischees?
Immer Party, alles egal.
Party gibt’s auch anderswo. Aber dass Berlin eine Stadt ist, in der es sehr viele Spitzenveranstaltungen gibt, hat ja was Gutes. Andere Städte bezahlen viel Geld, wenn sie große Events bekommen wollen. Wir nicht. Insofern kann das nur eine Neid-Debatte sein.
Ist Berlin ernster geworden?
Diese Stadt war immer ernst, weil sie es nie leicht gehabt hat. Trotzdem hat Berlin immer auch ein bestimmtes Lebensgefühl ausgestrahlt, und das bedeutet, dass man das Leben durchaus auch genießen kann. Das ist oft als Party diffamiert worden...
Früher war es Tingeltangel, Varieté …
Natürlich hat sich Berlin auch immer inszeniert. Aber die Modebranche zum Beispiel ist für einige von außen betrachtet bloß Party, aber für diejenigen, die damit beschäftigt sind, ist es harte Arbeit, ist es Business, sind es Arbeitsplätze. Was da anfangs diffamiert worden ist als Glamour …

… der Regierende Partymeister.
… und als nicht wichtig, hat sich als strategisch richtig erwiesen. Das hat uns viele Arbeitsplätze gebracht und Wirtschaftswachstum, ohne dass wir dadurch die klassischen Branchen der Berliner Wirtschaft vernachlässigen.
Was für neue Partys braucht Berlin? Olympische Spiele?
Beispielsweise. Man hat ja gesehen, welchen Imagegewinn die London gebracht haben. Und auch dort war die Skepsis bis kurz vor Eröffnung der Spiele groß, das ist da so ähnlich wie in Berlin. Hier ist man vor solchen Events auch immer relativ cool, aber wenn sie denn da sind, dann zeigt sich die Begeisterungsfähigkeit der Stadt. Das wird auch in Zukunft wichtig sein.

Berlin würde sich nicht übernehmen mit Olympischen Spielen?
Nein, wir haben ja eine Infrastruktur, die in anderen Städten erst geschaffen werden müsste, das ist ja nicht das Berliner Problem. Für mich war der Gedanke einer Bewerbung für Olympia immer damit verbunden, dass man ein verbindendes Projekt hat, das unterschiedliche gesellschaftliche Gruppierungen vereint und mobilisiert.

Und wie lange wird es dauern, bis Berlin wirtschaftlich auf einem vergleichbaren Niveau mit anderen großen Städten ist?
Es gibt doch kaum andere Städte in der Welt, die aufgrund ihrer Geschichte von wirtschaftlichen Entwicklungen im Rest des Landes abgekoppelt waren. Banken wären nicht in Frankfurt, Siemens nicht in München, Verlage nicht in Hamburg, wenn das anders gewesen wäre. Viele Regionen in Deutschland haben durch die widernatürliche Teilung dieser Republik und dieser Stadt profitiert. Das lässt sich heute nicht mehr völlig umdrehen. Aber wir wachsen, zurzeit um bis zu 40 000 neue sozialversicherungspflichtige Jobs pro Jahr. Auch beim Durchschnittsverdienst der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind wir inzwischen in einem sehr guten Mittelfeld, über dem Bundesdurchschnitt.
Berlin – bald reich und sexy?
Jedenfalls werden die guten Zahlen nicht genügend zur Kenntnis genommen. Klar haben wir auch noch viele soziale Probleme. Aber die Stadt wächst, um 80 000 Einwohner allein in den vergangenen zwei Jahren. Das zeigt doch, dass wir hier eine Perspektive haben und bieten.
Aber nicht alle, die hier hierher kommen, haben das Gefühl, sie seien herzlich willkommen.
Wer denn?

"Wer hier sein Geld sinnvoll investiert, ist uns hoch willkommen."

Leute mit Geld, Investoren, Unternehmer.
Wir rollen Investoren den roten Teppich aus. Wer hier sein Geld sinnvoll investiert und dadurch Mehrwert schafft, vor allen Dingen Arbeitsplätze, ist uns hoch willkommen.
Ihnen vielleicht schon, aber andere gehen auf die Barrikaden gegen Veränderungen, zuweilen durchaus erfolgreich.
Wir sind eine wachsende Stadt, wir sind eine Stadt im Aufstieg, und das bedeutet, dass Konflikte entstehen. Da verändern sich Quartiere, da werden Lücken geschlossen, die vorher nette Idyllen waren. Ich kenne die Haltung: Wir wollen mehr Wohnungen haben, aber bitte nicht in meiner Nachbarschaft. Wir brauchen eine noch bessere Infrastruktur, aber bitte nicht vor meiner Haustür. Gegen Trams, gegen Radfahrwege, gegen Touristen, gegen Arbeitsplätze, gegen alles mobilisiert sich Widerstand. Aber diese Auseinandersetzung müssen wir führen. Wir bekennen uns als SPD zur wachsenden Stadt. Wir wollen keine Käseglocke, wir wollen nicht, dass alles so bleibt, wie es ist. Diese Stadt muss sich weiter wandeln, sie muss sich verändern.
Aber die Schrippe soll schon bleiben?
Also ich freue mich, wenn ich einen Bäcker finde, wo die Backwaren schmecken, egal wie sie heißen. Wenn die Wecke nicht schmeckt, dann nutzt das nichts, und das ist bei der Schrippe ebenso.
Sie legen ja Wert darauf, die Berliner Seele zu verstehen. Steckt in dem Wutausbruch von Wolfgang Thierse gegen sprachliche Bevormundung durch Zugezogene nicht etwas drin von dieser Berliner Seele?
Darf es das nicht? Thierses Äußerung ist völlig überbewertet worden, der hat das ja nicht aggressiv gemeint. Der sogenannte Schwabenhass hat da eine andere Qualität. Ich kann zwar verstehen, wenn Menschen ein instinktives Abwehrverhalten gegen etwas Neues zeigen. Aber wenn das benutzt wird, um die notwendigen Veränderungen zu verhindern, dann wird’s problematisch. Wir sehen doch, was passiert mit Städten, die vor sich hindümpeln und sich nicht mehr entwickeln.
Ist die Stimmung in der Stadt aggressiver geworden?
Wir sollten nicht einige Symbolprojekte überbewerten. Wichtig ist, dass die Mehrheit eine Haltung einnimmt und nicht immer nur Wenigen und deren Einzelinteressen das Forum überlässt. Wir haben ja lange daran gearbeitet, dass Bürgerinnen und Bürger sich einmischen in ihre Stadtpolitik. Wir haben Bürgerforen gebildet, wir haben Runde Tische gebildet. Da kann ich mich ja heute nicht beschweren, dass jetzt viele mitreden und mitgestalten wollen. Das bedeutet aber nicht, dass ich das alles gut finde, was die Leute wollen. Schwierig wird es immer dann, wenn keiner mehr da ist, der noch Allgemeininteressen artikulieren kann. Die einzelne Initiative kann, für sich genommen, Recht haben vor Ort, trotzdem kann es in einer Gesamtabwägung falsch sein, was sie bezweckt. Wir brauchen also auch immer noch ein Korrektiv, und dazu muss man als Politiker stehen. Auch das ist eine Frage einer Haltung.

Ist die Stadt denn reif für diese Veränderung, die Sie begrüßen?
Sie hat keine Alternative, sie muss bereit sein. Die Frage ist nur: Wie schnell nimmt man das an. Aber klar ist, dass wir uns umstellen müssen. Alle bisherigen Bevölkerungsprognosen, die bestenfalls Stillstand vorhersagten, sind hinfällig. Da kommt innerhalb von zehn Jahren jetzt ein kompletter neuer Bezirk hinzu, diese Dimension muss man sich klarmachen. Auf der anderen Seite ist diese Stadt ja angelegt für sehr viel mehr Menschen, als heute hier leben. Vor dem Zweiten Weltkrieg hatte Berlin 4,5 Millionen Einwohner. Es gibt also Platz, wir müssen das Wachstum nur gestalten. Ich sehe das als Bereicherung an und als Herausforderung, aber nicht als Bedrohung.
Dennoch ist von Neuberlinern immer wieder zu hören, dass sie sich von der Verwaltung gegängelt fühlen. Die erleben Bezirksämter quasi als Bollwerk gegen jede Veränderung. Verteidigen die Bezirke das billigere alte Berlin, und der Senat vertritt das teure neue?
Das kann ich so pauschal nicht bestätigen, weil ich auch weiß, dass es etliche Bezirksämter gibt, die sehr kooperativ und mit offenen Armen Investitionsprojekte begleiten, völlig ohne jede Schwierigkeit. Es gibt aber auch politisch und ideologisch geprägte Ansichten in manchen Bezirken, aus denen eine restriktive Politik folgt. Da rächt es sich dann, dass der Senat in vielen Fällen kein Durchgriffsrecht mehr hat, weil damit eine einheitliche Stadtgestaltung erschwert ist. Das ist ein Manko.
Die Bezirksbürgermeister haben zu viel zu sagen?
Ich war ja selber elf Jahre lang Bezirksstadtrat, und damals gab es dieses Durchgriffsrecht, auch wenn es einen geärgert hat, wenn es angewandt worden ist. Die Leute nehmen die Bezirksgrenzen doch oft gar nicht wahr, und die sind ja auch oft irrelevant. Eine Stadt wie Berlin sollte bei zentralen Themen eine einheitliche Vorgehensweise sicherstellen können. Ein einheitlicher Standard, eine einheitliche Politik für ganz Berlin wäre in vielen Fällen sicherlich richtig. Wir bemühen uns da, aber es gelingt nicht immer.
Die letzte Bezirksverwaltungsreform liegt 15 Jahre zurück, da könnte man doch mal wieder rangehen und sagen: Die Bedingungen haben sich verändert, also muss man auch die Zuständigkeiten ändern.
Wie die Verwaltung sicherstellt, dass sie eine moderne Dienstleistung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern erfüllt, muss jederzeit überprüft werden. Aber momentan halte ich die Erfolgsaussicht für eine Verfassungsänderung für relativ gering.
Momentan, sagen Sie, aber man könnte das ja auch als Projekt annehmen und sagen: Also Freunde, jetzt wollen wir das doch mal der Wirklichkeit und damit der Moderne anpassen.
Mir würde ja schon reichen, wenn die Bezirke ihre Verantwortung so wahrnehmen würden wie in jeder anderen Großstadt mit 300 000 Einwohnern. Wir haben eine politische Bezirksverordnetenversammlung, die in eigener Kompetenz entscheidet, und wir haben ein von den Parlamentsparteien besetztes Bezirksamt. Da kann man nicht, wenn es Probleme gibt, immer nur sagen, der Senat ist schuld. Wenn das in Berlin gelernt würde, wäre auch schon mal viel erreicht.
Würde Berlin wirtschaftlich schneller aufholen, wenn es eine zentrale Verwaltung gäbe?
Das glaube ich nicht. Da, wo große Investitionen durch zu viele dezentrale Kompetenzen verhindert werden, gibt es auch Möglichkeiten, einzuschreiten.
Aber die Probleme liegen ja oft im Kleinen. Wenn ein Bezirk wie Pankow Wohnungseigentümern untersagt, ihre Badezimmer zu sanieren, weil das angeblich zur Vertreibung von Mietern beiträgt, ist ihnen das als Sozialdemokrat ja vielleicht recht, aber als Regierender Bürgermeister kann es das eigentlich nicht sein.

Warum eigentlich nicht? Der Regierende Bürgermeister ist Sozialdemokrat. Von der Öffentlichen Hand wird ja erwartet, dass sie eingreift. Ob das dann immer richtig ist, darüber kann man ja noch diskutieren.
Gibt es in Berlin zu Recht einen Anspruch auf preiswerten Wohnraum in der Stadtmitte?
Es gibt keinen Anspruch auf eine konkrete Wohnung in einer meiner Lieblingsstraßen zu einem reduzierten Mietpreis. Aber wir haben den politischen Anspruch, dass wir gemischte Wohnquartiere behalten und die Menschen nicht vertrieben werden. Sicherlich: Niemand wird garantieren können, dass die Mieten auf dem niedrigen Niveau bleiben, wie sie auch heute noch vielerorts sind. Im Vergleich zu anderen Städten wie Hamburg und München holt Berlin auch bei den Preisen auf. Da hat sich etwas verändert. Aber das ist auch ein Ergebnis der Prosperität dieser Stadt – und es bleibt beherrschbar, wenn auch die Einkommen entsprechend steigen.
Sie sagen, Berlin holt auf bei den Mieten. Sie meinen das positiv?
Das zeigt zwar nicht, dass alles prima ist. Wir müssen uns um die Menschen kümmern, die abgehängt zu werden drohen. Der Senat hat da speziell in der Mietenpolitik auch eine Reihe von Initiativen ergriffen. Es zeigt aber, dass die Wirtschaftskraft dieser Stadt größer geworden ist, und dass mehr Menschen in der Lage und auch bereit dazu sind, höhere Mieten zu zahlen.
Manche empfinden das allerdings schon als Bedrohung.

Ja. Es gibt zurzeit eine Nachfrage nach sehr hochpreisigen Wohnungen, und daraus entstehen soziale Konflikte. Für viele Leute wächst die Gefahr, dass sie ihre Miete nicht mehr zahlen können und verdrängt werden an den Stadtrand. Da müssen wir gegensteuern mit öffentlichem Wohnungseigentum, da müssen wir mehr Wohnraum schaffen zur Entlastung des allgemeinen Wohnungsmarktes.
Auch auf dem Tempelhofer Feld?
Ja, auch da, am Rand des Tempelhofer Feldes. Und noch eine Maßnahme des Senats: Wir deckeln die Mietenentwicklung bei den öffentlichen Wohnungen, das macht sich im Mietspiegel bemerkbar. Wir müssen bei der Preisentwicklung von Wohnungen, die im öffentlichen Eigentum sind, intelligente Modelle entwickeln, die nicht einfach alle pauschal gleich belasten. Sie sehen: Die wachsende Stadt ist das große Projekt Berlins dieser Zeit, und das ist längst noch nicht in all den Facetten verstanden und gelebt.
Wer versteht das nicht?
Wir alle zusammen.

"Berlin lässt sich nicht erpressen."

Was bedeutet diese Entwicklung für Ihre Integrationspolitik?
Die Stadt wächst auch deshalb, weil viele Menschen aus dem Ausland kommen. Aber da muss man differenzieren. Der Anteil der türkischen Mitbürgerinnen und Mitbürger ist ja eher rückläufig. Aber die Probleme der Roma sind ganz andere als die von spanischen EU-Bürgern oder von IT-Spezialisten aus Asien. Wie sich das weiter entwickelt, wissen wir heute noch nicht genau.
Die einen kommen, andere gehen. Vor allem durch die Berliner Kultur weht ein Hauch von Abschied: Malakhov, Waltz, Metzmacher, Thielemann, Petras.
… und es gibt viele Begrüßungen.
Ja, ein Neubeginn ist auch etwas Schönes. Aber schmerzt es Sie nicht, dass manche große Karriere anderswo fortgesetzt wird, weil Künstlern dort Bedingungen geboten werden, die Sie ihnen hier nicht bieten können oder wollen?
Also erstens: Die Stadt lässt sich nicht erpressen. Und zweitens: Das ist doch ein ganz natürlicher Vorgang, dass wir Leute von woanders holen und dass gute Leute, die woanders noch bessere Chancen bekommen, dann auch wieder gehen. Wir freuen uns doch, wenn Berliner Chefs oder Chefinnen eine so gute Reputation haben, dass sie woanders begehrt sind.
Aber Chefausbildungsbetrieb kann ja nicht wirklich der Anspruch von Berlin sein.
Aber was heißt denn das? Hat Hamburg eine schlechte Kulturpolitik, weil es uns gelungen ist, Herrn Khuon nach Berlin zu holen? Und wenn Christian Thielemann Chef der Münchener Philharmoniker werden kann, dann ist das doch eine Riesenchance. Es ist doch nicht so, dass uns hier die Leute wegrennen. Das ist ein Austausch, der dem Kulturbereich gut tut. Herr Petras hat die Chance, sich in Stuttgart zu verbessern, das ist doch toll. Und wir haben mit Shermin Langhoff, die wir von Wien zurück geworben haben, hier jetzt doch ein wirklich zukunftsweisendes Projekt!

Es ärgert Sie, wenn es heißt, Sie könnten die guten Leute nicht halten?
Sie werden mich da nicht zum Aufregen bringen. Bei Malakhov, der selbst ein brillanter Tänzer war, läuft nach einer langen Zeit der Vertrag aus. Sasha Waltz definiert für sich, wie ihre künstlerischen Rahmenbedingungen sein sollen. Aber wir haben uns beim Staatsballett für einen Auftrag entschieden, den Sasha Waltz so nicht erfüllen kann und will. Natürlich haben wir ein großes Interesse daran, dass sie in Berlin bleibt. Aber ich habe ein Parlament, ich habe ein Haushaltsgesetz, ich habe ein begrenztes Budget. Wenn ich alle Wünsche erfüllen würde, die hier auf dieser Couch, wo Sie jetzt gerade sitzen, mir gegenüber artikuliert werden, dann wären wir nicht bei einem Landeshaushalt von 23 Milliarden Euro, sondern von 30 Milliarden, und die haben wir nicht.
Auf die Frage, was Sie nicht mögen, haben Sie am Anfang Ihrer Zeit als Regierender Bürgermeister gesagt: Hektik und fremdbestimmt zu sein. Hat sich daran etwas geändert?
Nee.
Von wem werden Sie denn fremdbestimmt?
Von den Umständen, von den Terminkalendern, von der Erwartungshaltung, überall präsent zu sein …
Davon können Sie sich nicht befreien?
Da kann man sich nicht befreien, dazu ist in dieser Stadt viel zu viel los, Gott sei Dank.
Sagt der gläubige Katholik Wowereit. Und wer wird Papst?
Am wahrscheinlichsten ja wohl ein konservativer Italiener. Die Hoffnung, dass die katholische Kirche alles auf einmal reformiert, ist nie sehr realistisch. Und die alte Aura wirkt ja auch immer wieder. Man unterschätzt die Wirkung dieser Institution. Wenn ich mich an den Besuch des Papstes in Deutschland erinnere, wie ehrfurchtsvoll die Leute da waren, auch im Bundestag, selbst die Vertreter der Linken, da haben ihm ja fast die roten Schuhe geküsst...

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