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Kleine Koalition: NRW kann von Berlin lernen

Eine Minderheitsregierung von Rot-Grün gab es in der deutschen Hauptstadt im Jahr 2001.Toleriert wurde Klaus Wowereit als Bürgermeister von der PDS.

Die alte These, dass Berlin als gesellschaftliches und politisches Labor dem Rest der Republik oft einen Schritt voraus ist, scheint sich wieder einmal zu bestätigen. Vor fast genau neun Jahren wurde der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) aus dem Amt gewählt und durch Klaus Wowereit (SPD) ersetzt. Gestützt von einer rot-grünen Minderheitsregierung, toleriert von der PDS. Das war am 16. Juni 2001. Ein halbes Jahr, nachdem der bis dahin größte Bankenskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte den Sozialdemokraten die Gelegenheit gab, sich aus der großen Koalition zu verabschieden.

Und jetzt Jürgen Rüttgers (CDU), der in Nordrhein-Westfalen die Regierungsmacht an die SPD-Frau Hannelore Kraft abgeben soll. Mithilfe einer rot-grünen Regierungsminderheit, unterstützt von der Linken. Es drohe die schlimmste Wählertäuschung in der Geschichte des Bundeslandes, hat der scheidende Ministerpräsident gesagt. Die SPD paktiere jetzt mit einer Partei, die sie vor kurzem noch für nicht demokratiefähig gehalten habe. Rüttgers sagte dieser Minderheitsregierung ein frühes Ende voraus.

Das kommt den Berlinern alles so bekannt vor, auch wenn historische Vergleiche ihre Grenzen haben. So hatte Rot-Rot-Grün in Berlin schon seit der Abgeordnetenhauswahl 1990 eine rechnerische Mehrheit, die sich aber vor 2001 nicht realisieren ließ, obwohl es auf dem linken SPD-Flügel bereits Mitte der neunziger Jahre zaghafte Tendenzen gab, eine Zusammenarbeit mit der PDS (vorher SED, später Linke) zu erproben. Aber diesen Tabubruch hätten die Wähler, jedenfalls im Westen Berlins, hart bestraft. Also wurde das Experiment erst ein Jahrzehnt nach dem Mauerfall und mitten in der Legislaturperiode gestartet.

Der alte Regierungschef Diepgen wurde, weil er nicht freiwillig zurücktreten wollte (oder weil seine Partei das nicht zuließ), am 14. Juni 2001 per Misstrauensvotum gemeinsam mit den anderen Senatsmitgliedern der CDU vom Parlament aus dem Amt gewählt. Für ihn war das, wie jetzt für Rüttgers, das Ende der politischen Karriere. Er arbeitet seit Jahren als Rechtsanwalt in Berlin. Aber nicht alle folgten damals dem neuen Kurs. Drei SPD-Abgeordnete und ein Grüner aus der DDR-Bürgerbewegung wählten Diepgen nicht mit ab. Und bei der Wahl Wowereits zum Regierenden Bürgermeister zwei Tage später gab es folgerichtig zwei Neinstimmen und zwei Enthaltungen aus den Reihen des neuen Regierungsbündnisses.

„Die PDS ist erst ungenügend in dieser Gesellschaft angekommen“, sagte damals die Köpenicker SPD-Abgeordnete Neef. „Sie hat die Vergangenheit ungenügend bewältigt.“ Auch um den Vorwurf des Wählerbetrugs abzuwehren, verstand sich die rot-grüne Minderheit plus PDS 2001 nur als Vorbereiter für Neuwahlen am 21. Oktober 2001. Bei dieser Wahl ging die CDU unter, SPD und Linke erstarkten, die Grünen hielten ihre Stellung und die FDP kam wieder ins Landesparlament. Rot-Rot bekam eine Mehrheit, die Grünen gingen in die Opposition. za

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