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Berlin: Kleiner Junge von S-Bahn getötet

Der Vierjährige kletterte durch ein Loch im Zaun auf die Gleise. Dort war schon mal ein Kind verunglückt

Der kleine Artiom kannte das Loch im Zaun gut. Alle Bewohner des Obdachlosenheims kennen das Loch, es ist eine gute Abkürzung zum nahen S-Bahnhof Lichterfelde West. Der vierjährige Junge ist am Mittwochabend wieder einmal durch das Loch geklettert und verschwunden. Um 20.15 Uhr hatte seine Mutter, eine 29-jährige Ukrainerin, Vermisstenanzeige erstattet, weil sie ihren Jungen seit 18 Uhr nicht mehr gesehen hatte.

Um 20.30 Uhr sah der Fahrer einer S-Bahn dann unterhalb der Straßenbrücke Dahlemer Weg einen zerfetzten Körper neben den Gleisen liegen. Schnell war klar: Es ist Artiom. Welcher Zug in diesen zweieinhalb Stunden das Kind erfasst hat, ist unklar. Kein Fahrer hat einen Anprall bemerkt. Die Züge fahren auf diesem Abschnitt der Wannseebahn (Linie S 1) Tempo 100.

Seit sieben Monaten wohnt Irina K. mit ihren beiden Kindern in dem Heim für Obdachlose, ihr Mann soll im Gefängnis sein. Der vor wenigen Wochen vier Jahre alt gewordene Artiom hat noch einen zwei Jahre alten Bruder Alexander. „Artiom war ein sehr, sehr lebhaftes Kind“, erzählte Heimleiter Dariusz S. gestern. Vor Wochen war der Junge schon einmal ausgebüxt, durch das gleiche Loch. Damals wurde er am Gleis der Güterbahn gefunden. Auf dieser Strecke fahren nur wenige Züge pro Tag im Schritttempo vorbei. Die Schienen sind beliebter Spielplatz der 25 Kinder, die derzeit in dem Heim des Bezirksamts Zehlendorf leben. Die Güterstrecke führt auf 100 Metern parallel zum Heim entlang, lediglich zwei Meter von dem Maschendrahtzaun entfernt, der die Häuser mehr schlecht, als recht umgibt. Überall sind Löcher und geflickte Stellen zu sehen. „Wir reparieren häufig“, sagt der Heimleiter etwas resigniert, „am nächsten Tag ist wieder ein Loch da.“ Das Loch sei eine bequeme Art, 150 Meter Fußweg zu sparen. Durch das Loch kommt man auf den Dahlemer Weg – oder eben auf das Gleis. Wer auf den Schienen langläuft, steht nach wenigen Metern vor den stark befahrenen Gleisen der Wannseebahn, eine andere Sicherung gibt es nicht mehr. Mutter Irina K. wurde gestern in dem Heim betreut, „sie bricht immer wieder in Tränen aus“, sagte der Heimleiter.

Der zuständige Zehlendorfer Sozialstadtrat Stefan Wöpke betonte gestern, dass der löcherige Zaun bislang nicht als Problem bekannt gewesen sei. Das Heim wurde 1997 vom Christlichen Jugenddorfwerk (CJD) gebaut, der Bezirk zahle für die Belegung. Bis 16 Uhr kümmern sich zwei Frauen um die Kinder , bei gutem Wetter wird draußen gespielt.

Die Kriminalpolizei, die gestern im Heim und am Unfallort ermittelte, schrieb aber auch ins Protokoll, dass die Güterstrecke keine eigene Einzäunung hat – wer aus dem Tor des Heimes herauskommt, kann ungehindert das Gleis betreten. Dies war schon 1998 kritisiert worden, als ein sechsjähriger Junge von einem Güterzug verletzt worden war.

Auf dem Weg zum Ort, wo Artiom gefunden wurde, verursachte eine Zivilstreife des Bundesgrenzschutzes dann noch einen Unfall: In Lankwitz stießen die Beamten mit einem Auto zusammen, in dem eine Mutter mit ihren zwei Kindern saß. Alle Insassen wurden verletzt. Die Streife war bei Rot gefahren.

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