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Ohne sie geht in der Parzelle gar nichts: die Gartenzwerge.

© Thilo Rückeis

Kleingärten in der Hauptstadt: Warum immer mehr Berliner von der eigenen Parzelle träumen

Die Kleingartenkolonien in der Stadt führen lange Wartelisten, die Coronakrise steigert die Nachfrage noch weiter. Gemeinschaftsgärten könnten die Lösung sein.

Von Andreas Austilat

Die Kartoffelernte im Herbst bleibt Silke Sabien hoffentlich erspart. Ausgebracht hat sie die Saat zwar. Und als neulich die Radieschen reif wurden, war ihr das eine Freude. Nicht anders wird’s sein, wenn der Mangold dran ist, Apfel- und Kirschbaum haben sie und ihr Mann gestutzt, auch das mit Leidenschaft. Aber im Herbst? Die Kartoffeln?

Wenn alles gut läuft, wird sie dann eigentlich gar nicht mehr hier sein, im Schaugarten der Pankower Kleingartenanlage Rosenthal Nord. Denn Silke Sabien hofft. Im dritten Jahr wartet die Endvierzigerin nun schon auf eine eigene Parzelle. Solange steht sie bereits auf der Warteliste. Und im Prinzip waren ihre Aussichten nicht schlecht, dass es in diesem Jahr klappen würde. Doch dann kam Corona. Seitdem ist der Bedarf noch einmal deutlich angezogen.

Beim Berliner Landesverband der Gartenfreunde spricht man von einer Vervielfachung der Bewerbungen. Die Berliner Kleingartenkolonien wurden auf dem Höhepunkt der Ausgangsbeschränkungen plötzlich zu einer Art schnell erreichbarem Ausflugsziel in der Nachbarschaft.

Auffällig viele Neugierige zogen überall in Berlin im April über sandige Koloniewege zwischen sauber gestutzten Thujahecken, Blumenbeeten und Wildbienenwiesen – je nach Geschmack und Ambition des jeweiligen Gärtners. Und registrierten, wie da mitten in der Asphaltmetropole auf eigenem Grün gewirtschaftet wurde, während so viele gehalten waren, möglichst zu Hause zu bleiben.

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Berlin hat rund 70.000 Kleingärten in mehr als 700 Anlagen – verteilt über das gesamte Stadtgebiet. Das sind doppelt so viele wie in Leipzig oder Hamburg, die im bundesdeutschen Kleingarten-Ranking auf den Plätzen zwei und drei folgen. Die Gärten bedecken 3200 Hektar und machen damit rund zehn Prozent des Stadtgrüns aus. Berlin ist auch die Hauptstadt der Kleingärtner.

Die Parzellen in den Kleingarten-Kolonien drängen sich dicht and dicht.
Die Parzellen in den Kleingarten-Kolonien drängen sich dicht and dicht.

© Matthias Hiekel/dpa

Silke Sabiens Leidensdruck war nicht ganz so groß wie der jener Berliner, die nicht einmal einen Balkon besitzen. Sie bewohnt mit ihrer Familie eine Maisonettewohnung in Niederschönhausen – mit Terrasse und Austritt ins Grüne. Aber für Bohnen ist da kein Platz, für einen Kirschbaum schon gar nicht.

Und deshalb werkelt sie seit diesem Frühjahr hier, im 24-Stunden-Garten, wie Viola Kleinau, Vorsitzende des Verbandes der Pankower Gartenfreunde, die etwas mehr als 300 Quadratmeter große Fläche in der Nachbarschaft des Verbandsgebäudes nennt. Der Schaugarten steht im Prinzip jedem offen, 24 Stunden rund um die Uhr.

Streit in der Gemeinschafts-Parzelle

Gibt es da keinen Streit, wenn unterschiedliche Interessen aufeinanderprallen, einer die Möhre des anderen erntet? Bisher nicht, versichert Viola Kleinau. Sie sieht den Gemeinschaftsgarten als eine Art Projekt, als Möglichkeit, ein wenig Druck rauszunehmen, indem mehrere Interessenten eine Parzelle bewirtschaften.

Denn allein in Pankow warten rund 1500 Bewerber auf einen eigenen Kleingarten, wobei nur etwa rund 250 der insgesamt 5400 Parzellen im gesamten Bezirk in durchschnittlichen Jahren frei werden. In diesem Jahr aber zeichnet sich schon jetzt ab, dass die Fluktuation eher geringer ist.

Für die einen spießig, für die anderen der Traum: endlich mal raus aus der kleinen Stadtwohnung!
Für die einen spießig, für die anderen der Traum: endlich mal raus aus der kleinen Stadtwohnung!

© Kitty Kleist-Heinrich

Hinzu kommt, dass die insgesamt in Berlin zu Verfügung stehende Fläche nicht mehr größer werden wird, eher im Gegenteil. Zwar hat der Senat unlängst in seiner Charta Stadtgrün erklärt, dass man um die Bedeutung der Parzellen für Erholungszwecke, aber auch für das Stadtklima und die Biodiversität weiß, man deshalb auch davon ausgeht, das höchstens 0,5 Prozent der Kleingartenfläche bis 2030 etwa für Infrastrukturmaßnahmen wird weichen müssen.

Nur wenig Immobilienentwickler haben Interesse an grünen Projekten

Beim Verband teilt man diesen Optimismus allerdings nicht, bezweifelt die ausgegebenen Zahlen, rechnet mit größeren Verlusten angesichts des ökonomischen Verwertungsdrucks, der in Berlin auf allen Flächen lastet. Es fehlt nicht an Immobilienentwicklern, die ebenfalls mit Interesse auf die grünen Schollen in mitunter allerbester Stadtlage blicken.

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Knapp 30 Kilometer südlich der Pankower Kolonie Rosenthal Nord steht Hans-Wolfgang Koch am Zaun seiner Parzelle in der Kolonie Abendruh in Lichterfelde. Der 74-Jährige mit dem gebräunten Teint, dem vollen Silberhaar und dem dezenten Zweitagebart ist Vorstand der Kolonie im Südwesten Berlins.

Der Bezirk Steglitz hat mit 5335 Kleingärten ähnlich viele wie Pankow, Abendruh ist mit 485 Parzellen die größte Einzelkolonie. Koch bestätigt, dass auch bei ihm die Fluktuation in Zeiten der Pandemie geringer geworden ist. Er weiß um den Druck, der auf den Kleingärten lastet und steuert wie viele seiner Kollegen gegen.

Kleingarten-Kolonie als Gemeinschaftsprojekt

In Abendruh gibt es seit einiger Zeit einen Kita-Garten, der von den Kindern der benachbarten Tagesstätten bewirtschaftet wird. Eine Freifläche neben der Festwiese wurde zum gemeinschaftlichen Steppengarten umgestaltet. Maßnahmen, die gesellschaftliches Engagement belegen und dem Eindruck vorbeugen sollen, Kleingärtner verfolgten nur ihre eigenen Interessen, die lediglich bis zum eigenen Zaun reichten.

Auch Koch kann sich gemeinschaftliches Gärtnern vorstellen, erste Ansätze gebe es, etwa wenn Senioren sich zusammentun, weil sie allein ihre Parzelle nicht mehr schaffen – was wie Viola Kleinaus Pankower 24-Stunden-Garten ein Weg aus der Misere aus schrumpfendem Angebot und steigender Nachfrage sein könnte. Tatsächlich gibt es im Internet inzwischen Angebote, die solch ein Gartensharing erleichtern wollen.

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Karsten Roth wollte nie einen eigenen Garten, auch dann nicht, als seine Schwiegermutter fragte, ob Roth und seine Frau nicht mitarbeiten wollten, weil ihr die Arbeit zu viel würde. Aber er erkannte, dass es da vielleicht einen Bedarf gibt.

Der 46-jährige Berliner hatte gerade seine Werbefirma verkauft, war nun finanziell unabhängig und gründete Datschlandia.de, eine Internetplattform, auf der er Menschen zusammenbringen will, die einen Garten besitzen, aber ihn aus den verschiedensten Gründen nicht mehr allein bewirtschaften wollen.

Angebot und Nachfrage halten sich die Waage

Kommerzielle Interessen verfolgt er damit nicht, tatsächlich ist das Angebot kostenfrei. Zahlen mag er trotzdem nicht nennen, nur so viel: Es funktioniere, Angebot und Nachfrage hielten sich vor Corona die Waage. Inzwischen sind die Angebote weniger geworden. Weshalb er schon mal durch die Kolonien zieht und auf Flyern für sein Angebot wirbt.

Ähnlich funktioniert Gartenpaten.org aus Freiburg. Wobei Karsten Roths Fokus vielleicht stärker auf Berlin ausgerichtet ist. Gartenpaten.org richtet sich an den gesamten deutschsprachigen Raum, also auch Österreich und die Schweiz, wie Betreiberin Veronika Wendt am Telefon erklärt. Die Seite funktioniert ebenfalls unentgeltlich. Sie finanziert sich über einen Onlineshop, Bestseller ist der Saatgut-Adventskalender, die Verbindung ist aber nicht besonders eng.

Und Silke Sabien in Niederschönhausen, könnte sie sich am Ende vorstellen, weiterhin gemeinschaftlich einen Garten zu bewirtschaften? Na ja, lautet ihre Antwort, eine eigene Parzelle, auf der sie ihre Vorstellungen von ökologischem Gemüseanbau verwirklichen kann, wäre schon schön. Deshalb wartet sie weiter.

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