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Pater Antonius, Prior im Dominikanerkloster in der Oldenburger Straße in Berlin-Moabit.

© Doris Spiekermann-Klaas

Klöster in Berlin: Diesseits von Eden

Sie leben mit Drop-outs in Kreuzberg und kickern mit Jugendlichen in Marzahn. 400 Nonnen und 125 Mönche beten und arbeiten in Berlin – und immer neue Orden zieht es hierher. Ein Überblick.

Vor 15 Jahren fragte der damalige Berliner Kardinal Georg Sterzinsky in verschiedenen Klöstern an, ob sie Nonnen nach Berlin schicken könnten. Er bräuchte Frauen, um ihm und anderen Priestern den Haushalt zu führen. Die Schwestern lehnten dankend ab.

Sie kamen trotzdem. Aber nicht, um Priester zu bekochen. Sondern um Krankenhäuser und Jugendzentren zu leiten, in Kindergärten zu arbeiten, Aidskranken beizustehen und Verzweifelten Hoffnung zu geben.

Denn Berlin ist attraktiv für Ordensleute. Der selbst gewählte Auftrag vieler Kommunitäten ist seit dem Mittelalter die Caritas, die Nächstenliebe. Da gibt es viel zu tun in Berlin. Dass viele hier nicht an Gott glauben, schreckt die Brüder und Schwestern nicht ab. Im Gegenteil: Das macht die Sache erst spannend. Es ist keine Kunst, sich als Orden in Regensburg oder Köln anzusiedeln. Aber die Nonnen und Mönche, die es schaffen, die Berliner Behörden von sich und ihrer Arbeit zu überzeugen, verstehen ihr Handwerk.

Berlin und die Klöster – das passt auch deshalb, weil die Stadt so international geworden ist und auch viele Konvente bunt gemischt sind. Außerdem zieht der Hauptstadtbonus: So wie jedes Unternehmen, das auf sich hält, eine Repräsentanz in Berlin eröffnet, wollen auch die geistlichen Gemeinschaften hier Flagge zeigen.

Jede Gruppe findet ihre Nische

Im Erzbistum Berlin leben 400 Nonnen und 125 Mönche in rund 50 klösterlichen Gemeinschaften. Viele haben ihren Standort in Berlin, einige in Brandenburg.

Die meisten Gemeinschaften sind katholisch. Martin Luther hielt nichts davon, dass sich Christen hinter Klostermauern abschotten. So gibt es nur wenige evangelische Klöster, zum Beispiel das Stadtkloster Segen. Einige Kommunitäten wie Chemin Neuf stehen Katholiken und Protestanten offen.

Berlin wirkt wie ein Labor für die Orden. Hier können sie sich ausprobieren, und weil die Stadt so groß ist, findet jede Gruppe ihre Nische. Oft kommen die Ordensbrüder und -schwestern nur zu zweit oder dritt hierher. Um etliche haben sich nach kurzer Zeit Kreise von Menschen gebildet, die ähnliche Interessen haben, in nicht ganz so verbindlicher Form mitmachen wollen oder nur ab und zu vorbeischauen. Die Pallottiner in Neukölln kümmerten sich anfangs zu dritt um eine Pfarrei und um Obdachlose und Arme im Reuterkiez. Mittlerweile helfen zwei Dutzend Nachbarn mit, und junge Menschen aus ganz Deutschland fragen an, ob sie ein Praktikum machen können. Vor 17 Jahren haben drei Franziskanerinnen in Pankow den deutschlandweit ersten ambulanten Hospizdienst für Aidskranke gegründet. Heute arbeiten sie mit 34 Ehrenamtlichen.

Diese kleinen Zellen wirken auch in die Amtskirche hinein. Dass sich Kardinal Rainer Maria Woelki freundlicher über schwule Paare äußert als andere Bischöfe, liegt auch an dem, was ihm Franziskanerinnen über ihre Arbeit erzählt haben.

Manche Orden waren schon immer hier

Das Wort Kloster leitet sich ursprünglich vom lateinischen „claustrum“ (verschlossener Raum) ab und bezeichnet den von der Außenwelt abgetrennten Lebens- und Kultbezirk einer Ordensgemeinschaft. Das Leben im Kloster strukturiert eine Ordensregel. Die frommen Männer oder Frauen binden sich durch ein Gelübde an den Konvent. In diesem „Mehr Berlin“-Beitrag ist der Begriff „Kloster“ weiter gefasst und bezeichnet allgemein Orte, an denen geistliche Gemeinschaften auf Dauer zusammenleben und ihren Alltag nach ihrem Glauben und festen Gebetszeiten ausrichten.

Manche Orden waren schon immer hier. Benediktinerinnen verwalteten ab dem 13. Jahrhundert Dörfer und Ländereien von Spandau bis Lankwitz, trotzten Räubern und der Pest. Die „Jungfernheide“ und die „Nonnendammallee“ erinnern an sie. Die Templer errichteten Tempelhof, Mariendorf, Marienfelde. Die Franziskaner und Dominikaner siedelten sich im 13. Jahrhundert in der heutigen Stadtmitte an. Sie hatten ein enges Verhältnis zu den weltlichen Herrschern, was sie aber nicht vor Repressalien in späteren Jahrhunderten schützte. Immer wieder wurden Konvente schikaniert und verboten und Klöster enteignet. Das war nach der Reformation im 16. Jahrhundert so und im 19. Jahrhundert während des „Kulturkampfs“ unter Reichskanzler Otto von Bismarck.

Für die Nazis waren die Orden der „militante Arm der katholischen Kirche“. Viele Klöster wurden enteignet, Ordenseinrichtungen geschlossen. Da half auch die Naziflagge auf dem Dach nichts. Die Jesuiten galten als Reichsfeinde und wurden vom Referat Adolf Eichmanns drangsaliert, der auch für die Deportation der Juden zuständig war.

Einige Mönche und Nonnen begeisterten sich für die Nazis und ihre Ideologie, die meisten versuchten, sich wegzuducken. Wenige trauten sich, die Nazis offen zu kritisieren und Verfolgten zu helfen. Einer war Pater Norbert Kubiak. An ihn erinnert ein Stolperstein vor dem Haus der Dominikaner in Moabit. Er wurde in Sachsenhausen ermordet. Nach dem Krieg gingen einige Ost-Berliner Konvente in den Westen. Der Vier-Mächte-Status Berlins schützte die, die in der DDR blieben, vor allzu schlimmen staatlichen Repressalien.

Die wenigsten Kommunitäten ließen sich dauerhaft vertreiben. Wenn die Zeiten wieder kirchenfreundlicher wurden, kehrten sie zurück. Sie kümmerten sich um Arme und Kranke und eröffneten Krankenhäuser, Schulen und Wohnheime.

Klöster schaffen Räume, in denen nicht der Kommerz zählt

Städte verändern sich und mit ihnen die Klöster. Das war schon immer so. Viele Aufgaben der Orden hat der Staat übernommen. Gemeinschaften sterben aus, weil sie nicht mehr gebraucht werden und der Nachwuchs fehlt. Andere fragen sich immer wieder neu, wo und wie sie helfen können. Wo die Lücke im sozialen und gesellschaftlichen Netz ist, die sie schließen können und passen sich so den veränderten Bedürfnissen an.

Die Salesianer haben ihr weitläufiges Gelände am Wannsee verkauft. Jugendlichen aus schwierigen Verhältnissen half ein Aufenthalt in der Idylle nicht unbedingt weiter. Außerdem wollten die Jugendämter dafür kein Geld mehr ausgeben. Heute arbeiten die Don-Bosco-Brüder in Marzahn.

Berlin hat sich in den vergangenen 25 Jahren verändert wie kaum eine andere deutsche Großstadt. Viele unterschiedliche Lebensentwürfe haben hier ihren Platz. Das lockt immer wieder neue geistliche Gemeinschaften mit neuen Angeboten an. Heute sehnen sich viele Menschen nach einem einfacheren Lebensstil. Mönche und Nonnen machen vor, wie das geht. Sie schaffen Erfahrungsräume, in denen nicht der Kommerz zählt und das Denken in Kategorien von Kosten und Nutzen, sondern der einzelne Mensch und Gott. Bei ihnen finden gestresste Großstädter Ruhe und manchmal auch ein bisschen sich selbst. Weil immer mehr Berliner fernöstliche Meditationspraktiken entdecken, gibt es mittlerweile auch eine Handvoll buddhistischer Klöster.

Ordensleute bieten Einsamen Gemeinschaft, hören einfach mal zu und bringen Menschen zusammen, die sich sonst nicht begegnen würden: Konservative und Linke, Burn-out-gefährdete Workaholics und Hartz-IV-Empfänger. Und sie pflegen das kulturelle Gedächtnis der Stadt.

Manche Lebensformen von Ordensleuten sind radikal. Radikal in ihrer Weltabgeschiedenheit wie im Kloster St. Gabriel in Westend. Oder radikal in ihrer Weltzugewandtheit. Etwa wenn Jesuiten in Kreuzberg mit Flüchtlingen und Obdachlosen zusammenleben. Viele Mönche und Nonnen leben das, was Papst Franziskus „verbeulte Kirche“ nennt. Sie gehen an die Ränder der Gesellschaft – in einer geradezu anarchischen Barmherzigkeit. Und dort, an diesen Rändern und in diesen Begegnungen entsteht Neues. Neues, das die Stadt verändert.

Das älteste Kloster Berlins

Grüne Idylle: 1869 wurde das Dominikanerkloster in Moabit gegründet.
Grüne Idylle: 1869 wurde das Dominikanerkloster in Moabit gegründet.

© Doris Spiekermann-Klaas

Orden: Dominikaner
Motto: Den Namen des Herrn verkündigen
In Berlin seit: 1297
Mitglieder: 10
Ausrichtung: Predigt, Studium, Seelsorge

Pater Antonius, 45, ist Prior im Dominikanerkloster in der Oldenburger Straße in Moabit. Und er führt Besucher gerne und auch mit Stolz durch das Gebäude. Denn es ist das einzige erhaltene alte Klostergebäude in Berlin. Durch den Kreuzgang geht es vorbei am Refektorium, in dem die Mönche essen, dann die Treppe hoch in den großen Saal, wo sie sich erholen, auch mal fernsehen und Zeitung lesen. Der Parkettboden und die holzgetäfelten Wände wirken schlicht und gediegen zugleich. Im zweiten Stock liegt die große Bibliothek, darüber die Räume der Mönche. Der Rundgang endet im Garten, wo ein Brunnen plätschert, Rosen und Kräuter duften und eine Schildkröte ihre Kreise zieht.

Den Tagesablauf gliedern sieben Stundengebete. Sie beginnen mit dem Morgenlob um 8 Uhr und enden mit dem Nachtgebet Komplet um 21.30 Uhr. Die Mönche beten oder singen Psalmen und versuchen der Mahnung des Apostels Paulus – „Betet ohne Unterlass!“ – gerecht zu werden. Dazu kommen eine Früh- und eine Abendmesse. Doch oft treffen sich die Brüder nur morgens und abends im Kloster, weil sie tagsüber unterwegs sind. Sie arbeiten als Seelsorger im Gefängnis, im Krankenhaus, als Sprecherzieher und als Gemeindepfarrer in der Klosterkirche St. Paulus.

Sie sind seit 1927 hier, niemand konnte sie vertreiben

Der Orden wurde im 13. Jahrhundert vom heiligen Dominikus in Spanien gegründet. Auf seinen Reisen begegnete er Katharern, Mönchen, die zwar im Ruf standen, Ketzer zu sein, aber großen Zulauf hatten. Dominikus ahnte, warum: Die Katharer argumentierten überzeugend und beeindruckten durch ihre einfache Lebensweise. Von da an legte auch Dominikus mehr Wert auf gute Argumente und Rhetorik, seine Anhänger und er zogen als mittellose Wanderprediger durchs Land. So wollte Dominikus die Menschen für den wahren Glauben zurückgewinnen.

Ende des 13. Jahrhunderts siedelten sich Dominikaner an der Spree an, dort, wo später das Stadtschloss gebaut wurde. Sie hatten enge Verbindungen zu Kurfürst Friedrich II. Doch das nutzte den Mönchen nach der Reformation nichts: Kurfürst Joachim II. löste den Konvent auf. Die Dominikaner konnten erst wieder 200 Jahre später in Berlin Fuß fassen, als König Wilhelm I. auch katholische Soldaten anwarb und Seelsorger für sie brauchte. Zum Dank durften sie eine Kapelle errichten und bekamen später die Hedwigskirche dazu.

Ehrwürdig. Das einzige erhaltene alte Klostergebäude in Berlin.
Ehrwürdig. Das einzige erhaltene alte Klostergebäude in Berlin.

© Doris Spiekermann-Klaas

Doch mit der Klostergründung 1869 in Moabit machten sich die Mönche im protestantischen Preußen keine Freunde. Bei der Einweihung sprach der Prediger davon, dass „hier jetzt ein Licht aufgeht, das viele zur Erkenntnis der wahren Religion führen wird“. Da reichte es den Berlinern – sie stürmten das Kloster. Die Polizei legte den Patres nahe, die Stadt zu verlassen. Sie blieben, wagten sich aber einige Jahre nur ohne Ordenstracht auf die Straße. Die katholischen Arbeiter der nahe gelegenen Borsigwerke verteidigten die Mönche. Heute kümmern sich die Mönche in Moabit vor allem um bedürftige Menschen. „Wir bezahlen auch schon mal eine Stromrechnung, wenn jemand kein Geld mehr hat und verzweifelt ist“, sagt Pater Antonius.

Das Studentenkloster

Dem Himmel so nah. Mitglieder der Gemeinschaft "Chemin Neuf" auf dem Dach des Hinterhauses der Kirche St. Adalbert in der Torstraße.
Dem Himmel so nah. Mitglieder der Gemeinschaft "Chemin Neuf" auf dem Dach des Hinterhauses der Kirche St. Adalbert in der Torstraße.

© Thilo Rückeis

Orden: Chemin Neuf
Motto: Vielfalt in Einheit
In Berlin seit: 1994
Mitglieder: 30
Ausrichtung: Gebet, Meditiation, Gemeinschaft

Sie könnten das Gemeindehaus in schicke Eigentumswohnungen verwandeln und einen satten Gewinn einfahren. 6000 Euro pro Quadratmeter kann man in der Torstraße in Mitte allemal verlangen. Die Gemeinschaft Chemin Neuf („Neuer Weg“) hat andere Pläne: Sie will aus dem alten Haus im Szenekiez ein Kloster machen. Ein Studentenkloster. Und statt eines Penthouses kommt eine gläserne Kapelle aufs Dach (siehe Simulation).

40 Studenten sollen hier einmal auf fünf Etagen wohnen und sich für die Zeit ihres Studiums zu einer Fraternität zusammenschließen. Wenn möglich, können sie morgens, mittags und abends gemeinsam beten und essen. Wer tagsüber an der Uni zu tun hat oder abends lieber ausgeht, soll halt nur zum Morgenlob und zum Frühstück kommen. Verbindlich ist, dass man den Montagabend gemeinsam verbringt, eine Einkehrwoche im Jahr und drei Wochenenden, an denen die Gemeinschaft zusammen wegfährt. „In dieser Lebensphase ist es wichtig, Freiheit zu haben, aber auch Rückhalt“, sagt Pater Gerold, der in Bonn als Pfarrer Studenten betreut.

Hier machen Ehepaare, Singles und Zolibatäre gemeinsame Sache

Die Gemeinschaft Chemin Neuf hat sich 1973 in Frankreich aus einem Gebetskreis entwickelt. Das Besondere: Während sonst in der katholischen Kirche „Laien“ und „Geweihte“ getrennte Wege gehen, machen hier Ehepaare, Singles und zölibatär lebende Priester und Nonnen gemeinsame Sache und bilden Haus- und Stadtviertelgemeinschaften. Chemin Neuf steht Katholiken und Protestanten offen, was ebenfalls eine Seltenheit in der Klosterlandschaft ist.

Auf dem Dach des Gemeindehauses soll eine gläserne Kapelle entstehen.
Auf dem Dach des Gemeindehauses soll eine gläserne Kapelle entstehen.

© Simulation: Welp Architekten

Vor 20 Jahren hat sich die Kommunität in Berlin angesiedelt und die Pfarrei Herz Jesu in der Fehrbelliner Straße in Prenzlauer Berg übernommen. Im Gemeindehaus leben zwei Priester, zwölf Studenten und eine Familie aus Frankreich.

Um die Ecke wohnt Familie Weis mit ihren zwei Kindern. Natalie Weis geht um acht Uhr erst mal zum Morgenlob in die Kirche, bevor sie ins Büro im Bundestag fährt. Das Gebet, der enge, auch spirituelle Austausch mit anderen Familien und den Priestern geben ihr Kraft, sagt sie – und kann es manchmal selbst nicht glauben, wie wichtig ihr das alles geworden ist. Als sie vor 15 Jahren nach Berlin kam, brachte sie eine Art „Gnadenvergiftung“ aus dem katholischen Rheinland mit. Auf der Suche nach einer Kirche für die Taufe der Kinder entdeckte sie Chemin Neuf.

„Hier haben wir zum ersten Mal glaubwürdige Lebensmodelle erlebt und Menschen mit tiefer und authentischer Spiritualität“, sagt sie. Sie musste erst in die Diaspora nach Berlin kommen, um neu zum Glauben zu finden. So geht es offenbar vielen. Chemin Neuf wächst. In Lankwitz haben sie ein aufgegebenes Nonnenkloster übernommen sowie Kirche und Gemeindehaus St. Adalbert an der Torstraße. „Vielfalt in Einheit“, das Motto der Gemeinschaft, passt offenbar gut zu Berlin.

Hüterinnen der Erinnerung

Orden: Unbeschuhte Karmelitinnen
Motto: Gott lebt. Ich stehe vor seinem Angesicht
In Berlin seit: 1984
Mitglieder: 11
Ausrichtung: Gebet, Meditation, Kultur, Gedenken

Grauer Sichtbeton und Stein dominieren die Gedenkkirche Maria Regina Martyrium am Charlottenburger Heckerdamm. Es scheint, als hätte man dem Gotteshaus, dem getrennt stehenden Glockenturm und dem weiten Hof dazwischen die Farben entzogen. Ringsum gibt es nichts Versöhnliches, an dem sich die Augen festhalten könnten. Je näher man der Kirche kommt, umso mächtiger und abweisender erscheint der Kubus. Gerade deshalb ist er ein großartiges Bauwerk. Denn hier wird der Märtyrer gedacht, die nur ein paar Schrebergärten entfernt von den Nazis in der Hinrichtungsstätte Plötzensee ermordet wurden.

In der Krypta der Kirche versammeln sich mehrmals am Tag Nonnen zum Gebet. In ihren Fürbitten bringen sie ihre Sorge um den Weltfrieden und angesichts von aktuellen politischen Ereignissen zum Ausdruck. Die Ordensfrauen schließen auch persönliche Nöte von Menschen in ihre Fürbitten ein und freuen sich über jeden Besucher, der mitbetet.

Die Nonnen beten an historischer Stätte für Nazi-Opfer

Die Karmelitinnen sind seit 1984 hier. Ihr Kloster steht direkt neben der Gedenkkirche und wirkt in seiner Beton-Optik ähnlich abweisend. Die Berliner Karmelitinnen sind ein Ableger eines Karmel-Klosters, das 1964 in Dachau errichtet wurde – direkt neben dem ehemaligen Konzentrationslager. Zu dem Klosterbau kam es, weil eine Münchner Karmelitin vor dem Krieg mit dem Jesuitenpater und Münchner Pfarrer Alfred Delp befreundet war. „Der Mensch entscheidet sich in der Geschichte und tut etwas, ohne Angst, weil mit Gottvertrauen. Oder die Geschichte macht mit ihm, was sie will“, schrieb Delp. Er entschied sich für den Widerstand gegen die Nazis und schloss sich dem Kreisauer Kreis um Helmuth James Graf von Moltke an. 1945 wurde er in Plötzensee hingerichtet. Angeregt durch ihre Münchner Ordensschwester haben sich die Karmelitinnen in Deutschland darauf spezialisiert, die Erinnerung an das Leiden der Menschen wachzuhalten, die von den Nazis verfolgt und ermordet wurden. Gleichzeitig stehen sie Besuchern der Gedenkstätten bei, die sich mit jemandem austauschen wollen. Aber auch wer einfach so, ohne in der Gedenkstätte gewesen zu sein, über sein Leben sprechen möchte oder ein paar Tage in Ruhe und Stille verbringen will, ist hier willkommen. Es gibt zehn Gästezimmer. Die Übernachtung mit Vollpension kostet 36 Euro.

Schüler kommen zum Meditieren

Ist es nicht bedrückend, an einem so düsteren Ort zu leben? „Im Gegenteil“, sagt Schwester Petra, die Oberin des Klosters. Sie spüre hier richtig, welche Kraft die Widerstandskämpfer hatten und wie fest sie auf Gott vertrauten. „Das macht auch mir Mut.“ Und dann führt sie durch den Klosterladen hinauf in den zweiten Stock und öffnet eine Tür zu einem Dachgarten. Rosen blühen, Lavendel duftet, eine Nonne jätet Unkraut. Hier ist nichts düster.

Berliner Gymnasiasten waren mit ihrer Lehrerin über das Wochenende hier und haben meditiert, gebetet und mit den Ordensfrauen über den Tod und vor allem das Leben gesprochen. Ins Gästebuch schrieben sie: „Der Aufenthalt bei Ihnen im Kloster hat uns Kraft für die bevorstehenden Prüfungen in der Schule und im Leben gegeben.“

Die Mönchs-WG

Jeder ist willkommen. Pater Christian Herwartz in der Wohnung in der Kreuzberger Naunynstraße.
Jeder ist willkommen. Pater Christian Herwartz in der Wohnung in der Kreuzberger Naunynstraße.

© Thilo Rückeis

Orden: Jesuiten
Motto: Alles zur größeren Ehre Gottes
In Berlin seit: 1773 (mit Unterbrechungen)
Mitglieder: 36
Ausrichtung: Flüchtlingshilfe, Bildung, Seelsorge

Manchmal stülpt sich die Welt wie ein grauer Pappkarton über Jiri. Dann ist alles dunkel, und er sieht eine große Leere vor sich. Jiri formt mit den Händen den Karton nach und sagt: „Ich strenge mich so an, aber ich finde nicht den Weg nach draußen.“ Der junge Mann lässt sich auf das Sofa fallen und schließt für einen Moment die Augen. Er ist erschöpft.

„Wie schön, dass du heute hier bist“, sagt Christian Herwartz. Er ist 71 Jahre alt, trägt Jeans und ein rotes Sweatshirt. Mit seinem weißen Vollbart sieht er ein bisschen aus wie Karl Marx oder Harry Rowohlt. Er ist aber Jesuitenpater. Zusammen mit einem anderen Jesuiten lebt er in einer Wohngemeinschaft in der Kreuzberger Naunynstraße. Jiri hat hier auch mal gewohnt.

Wer an der Tür klingelt, wird aufgenommen

Diese Woche war besser als die vorige, sagt Jiri. Das liegt an der jungen Frau. Er hat sie auf der Straße aufgegabelt und mit in seine Wohnung genommen, einfach so, weil er nicht allein sein wollte. Nach einer Weile fing die Frau an, seine Wohnung zu putzen. „Warum machst du das?“, habe er sie gefragt. Sie freute sich, dass er freundlich zu ihr war, ohne etwas dafür zu verlangen. Das hatte sie lange nicht mehr erlebt und wollte ihm etwas Gutes tun. „Ich habe ihr eine Freude gemacht und bin für einen Menschen wichtig. Das hat mir Mut gemacht“, sagt Jiri. „Klingt gut“, sagt Christian Herwartz und streicht Jiri über den Rücken.

Das Sofa, auf dem die beiden sitzen, ist abgenutzt. Den Räumen sieht man an, dass den Bewohnern anderes wichtiger ist als Ordnung und Sauberkeit. Den meisten geht es nicht gut. Sie haben ihre Arbeit verloren oder ihre Wohnung, sie sind einsam, Flüchtlinge oder saßen im Gefängnis. Wer an der Tür klingelt, wird aufgenommen. Christian Herwartz fragt nicht nach den Gründen, sondern schaut, ob ein Bett frei ist. Wenn nicht, schläft er selbst auf dem Boden. Er macht das aus seinem Glauben heraus. „Jesus ist nicht für uns Mensch geworden, sondern mit uns“, sagt er. Jesus hat Menschen nicht betreut wie die Caritas, sondern mit ihnen gelebt.

Manche bleiben eine Nacht, andere fünf Jahre. Manchmal weiß der Pater selbst nicht, wie viele Mitbewohner er gerade hat. Er begleitet die Kranken zum Arzt und hilft bei Behördengängen. Oft ist er einfach da und hört zu.

Der Pater war auch schon Lkw-Fahrer und Möbelpacker

In Berlin leben drei Dutzend Jesuitenpatres. Sie leiten ein Gymnasium, organisieren einen Flüchtlingsdienst und arbeiten als Pfarrer. Herwartz betreibt seit 1984 die WG in Kreuzberg. Davor hat er als Arbeiterpriester in Frankreich gelebt. Die Arbeiterpriester wollen die Kluft zwischen den bürgerlichen, akademisch gebildeten Priestern und den „einfachen“ Menschen überbrücken. „Wenn ich wissen will, wie es den Menschen geht, muss ich das Leben mit ihnen teilen“, sagt Herwartz. Man merke dann schon, wie man ihnen helfen kann. Er war Lkw-Fahrer, Möbelpacker und Dreher bei Siemens. Er kämpfte mit den Kollegen für bessere Arbeitsbedingungen und demonstrierte mit ihnen am 1. Mai. Nur wenige wussten, dass er ein katholischer Priester ist.

Neben Jiri sitzt eine Studentin. Sie erzählt von einem Telefonat mit ihren Eltern und dass das wieder nicht gut gelaufen ist. Ein Mann spricht mit spanischem Akzent von den Dämonen, mit denen er kämpft, und wie sehr ihm die Taufe am Sonntag zuvor geholfen hat.

Geistliche Übungen auf der Straße

Jeden Dienstagabend treffen sich die Mitbewohner und ein paar Ehemalige in der WG und essen zusammen und berichten, wie es ihnen in der vergangenen Woche ergangen ist. Danach feiern sie am Wohnzimmertisch die Messe. Sie überlegen gemeinsam, was die gelesene Bibelstelle mit ihrem Leben zu tun haben könnte, teilen das Brot und reichen einander den Kelch mit Wein.

Manchmal lädt Herwartz zu Exerzitien auf der Straße ein. Exerzitien sind geistliche Übungen, die gibt es in vielen Klöstern. Christian Herwartz findet, dass die Straße dafür der angemessene Ort ist. Schließlich habe Jesus gesagt: „Ich bin der Weg“ und ist zu den Menschen auf die Straße gegangen. An den Exerzitien nehmen oft Menschen teil, die nicht in der WG wohnen. Der Pater sagt, bei den Exerzitien gehe es darum, im übertragenen Sinne „die Schuhe auszuziehen“. Zum Beispiel die Schuhe der Fremdheit, der Distanz und der Überheblichkeit. Deshalb führt er Teilnehmer zu Obdachlosen, Drogenabhängigen oder zu den Arbeitslosen ins Jobcenter. Indem sie sich auf die verdrängten Seiten des Lebens einlassen, sollen sie innerlich weiter werden. Am Ende des Tages treffen sich alle in der WG und tauschen sich aus. Wer möchte, kann übernachten, wenn gerade ein Bett frei ist. Es kostet nichts. „Es ist schön, dass es eine solche Gemeinschaft gibt, zu der man kommen kann“, sagt Jiri.

Abgeschieden von der Welt

Hinter Gittern. So können sich die Oberin, Schwester Mechthildis, und ihre Mitschwestern ganz auf das Gebet konzentrieren.
Hinter Gittern. So können sich die Oberin, Schwester Mechthildis, und ihre Mitschwestern ganz auf das Gebet konzentrieren.

© Thilo Rückeis

Orden: Steyler Anbetungsschwestern
Motto: Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben
In Berlin seit: 1937
Mitglieder: 15
Ausrichtung: Gebet

Ein Gitter trennt die Nonnen von den anderen Gottesdienstbesuchern. Das Gitter wird nur aufgeschlossen, wenn der Priester die Kommunion austeilt und auch den Besuchern eine Hostie reicht. Die 15 Dienerinnen des Heiligen Geistes von der ewigen Anbetung (Steyler Anbetungsschwestern) verlassen das Kloster in der Bayernallee in Westend nur für Arztbesuche. Sie kochen, putzen und gärtnern selbst. Helfer geben die Lebensmittel an der Pforte ab.

Auch im Besuchszimmer hinter der Klosterpforte durchtrennt ein Gitter den Raum. Schwester Mechtildis, die Oberin des Klosters, reicht ihre Hand zum Gruß durch das Gitter und lächelt freundlich. Das Gitter symbolisiere die Abgeschiedenheit von der Welt, sagt sie. Damit sie sich hinter den Klostermauern ganz und gar auf das Gebet konzentrieren können. Schwester Mechtildis ist 1959 in den Orden eingetreten. Sie hatte mit dem Gedanken gespielt, Lehrerin zu werden, doch der Drang zu Gott und zum Beten war größer. Der Abschied von der Welt ist ihr nicht leichtgefallen. Ihre Mutter war oft krank, und sie hätte sie pflegen sollen. Aber sie dachte, sie könnte ihr ja auch durch ihre Gebete helfen.

Menschen rufen an, bitten um Gebete

„Die erste Aufgabe des Menschen ist es, Gott zu loben“, sagt Schwester Mechtildis. „Weil viele Menschen nicht daran denken oder sich die Zeit dafür nicht nehmen oder nicht an Gott glauben, machen wir das.“ Und zwar 24 Stunden am Tag. Die Nonnen bitten Gott, dass er den Politikern hilft, die christlichen Werte hochzuhalten. Sie bitten um Liebe für die Einsamen, um Gesundheit für die Kranken, um Geborgenheit für die Kinder. Oft bekommen sie Post, E-Mails und Anrufe von Berlinern und Menschen anderswo. Sie bitten die Schwestern, dass sie für sie beten mögen, weil die Ehe kaputt gegangen oder die Frau gestorben ist oder weil der Sohn am nächsten Tag ein Vorstellungsgespräch hat. „Es ist natürlich nicht so, dass nach einem Gebet auf einmal alles anders ist“, sagt die Nonne. Aber sie ist überzeugt, „dass Gott hinter allem steht und Leid wandeln kann“.

Trutzburg des Glaubens. Das Kloster St. Gabriel der Steyler Anbetungsschwestern in der Bayernallee in Westend.
Trutzburg des Glaubens. Das Kloster St. Gabriel der Steyler Anbetungsschwestern in der Bayernallee in Westend.

© Thilo Rückeis

Auf dem Altar in der Klosterkirche steht eine Monstranz, ein silbernes Schaugefäß mit einer geweihten Hostie. Nach katholischem Glauben ist in dieser Hostie Jesus Christus anwesend. Diese Monstranz, das Allerheiligste, darf nicht allein in der Kirche stehen. Sie muss rund um die Uhr angebetet werden. In der Nacht wechseln sich die Nonnen alle zwei Stunden ab, von 20 Uhr bis Mitternacht übernehmen Ehrenamtliche Schichten, um die Frauen zu entlasten. Aber auch so steht Schwester Mechtildis um kurz nach vier auf. Das erste Stundengebet beginnt um 5.30 Uhr. Mittags haben die Nonnen eine Stunde Freizeit. Montagabends wird gesungen und getanzt. Das „Springen“ sei aber eher etwas für die jüngeren Schwestern. Nachwuchs kommt aus Indonesien oder Polen. Alle paar Jahre wechseln die Frauen das Kloster – auch um interne Konflikte zu entschärfen. Das Leben in Gemeinschaft sei eine Bußübung, sagt Schwester Mechtildis.

Der Familienorden

Alle zusammen. Don-Camillo-Gemeindemitglieder im Hof der Segenskirche an der Schönhauser Allee.
Alle zusammen. Don-Camillo-Gemeindemitglieder im Hof der Segenskirche an der Schönhauser Allee.

© Thilo Rückeis

Orden: Don Camillo
Motto: Lasst uns dem Leben trauen, weil wir es nicht alleine zu leben haben
In Berlin seit: 2007
Mitglieder: 6
Ausrichtung: Meditation, Einkehrtage

Sonntagabends in den Gottesdienst? Die Segenskirche an der Schönhauser Allee ist ziemlich voll um 21 Uhr. Die meisten Abendbeter wohnen in der Nachbarschaft. Viele haben ihre Kinder ins Bett gebracht und wollen das Wochenende lieber mit einer Andacht beschließen als mit dem „Tatort“. Es wird aus der Bibel gelesen, gesungen und kurz über ein Thema gesprochen. Diesmal geht es um den aufrechten Gang. Damit kann jeder etwas anfangen, vielleicht schon am Montag im Büro.

2007 sind Familie Schubert, Familie Dürr und zwei alleinstehende Freunde aus der Schweiz nach Berlin gekommen. Sie haben die leer stehende Segenskirche und das dreistöckige Gemeindehaus übernommen und daraus das „Stadtkloster Segen“ gemacht. Es ist eines der wenigen evangelischen Klöster in der Stadt. Die Gemeinschaft nennt sich wie der italienische Filmheld „Don Camillo“. Und wie jener fromme und lebenszugewandte Priester stellen auch die Schuberts nicht die Theologie über das Leben, sondern lassen sich davon leiten, was die Menschen brauchen.

Die Menschen suchen Ruhe und Konzentration

In Prenzlauer Berg haben viele Menschen sehr viel: Kinder, schöne Wohnungen, gute Jobs. Es fehlen Zeit, Ruhe und die Konzentration aufs Wesentliche. Die Schuberts laden sie ein zu Meditationsabenden, „stillen Tagen“, gregorianischen Gesängen und Morgen- und Mittagsgebeten. Für Touristen verbinden sie Meditationen mit Stadtspaziergängen.

Es gibt auch Nachbarn, die von Hartz IV leben. Sie kommen zu Filmabenden, Andachten und auch zum Meditieren. So führen die Klosterleute Menschen zusammen, die sich sonst nicht treffen würden: Reiche und Arme, Alte und Junge, Zugezogene, Alteingesessene, Touristen. Ab und zu gibt es auch Einkehrtage mit dem Motto „Ora et labora“. Die benediktinische Einheit von Beten und Arbeiten ist hier ernst gemeint. Stück für Stück wird die Kirche saniert.

Die Engel von Marzahn

1:0 gegen den Frust. Schwester Margareta, Mitarbeiter und Jugendliche des Don-Bosco-Zentrums in Marzahn beim Kickern.
1:0 gegen den Frust. Schwester Margareta, Mitarbeiter und Jugendliche des Don-Bosco-Zentrums in Marzahn beim Kickern.

© Thilo Rückeis

Orden: Salesianer Don Boscos, Heilige Maria Magdalena Postel
Motto: Jugendlichen eine Manege fürs Leben geben
In Berlin seit: 2007
Mitglieder: 3 Salesianer und 3 Schwestern
Ausrichtung: Jugendsozialarbeit

Es gibt viel zu tun im Plattenbauviertel in Marzahn. Viele Jugendliche brechen die Schule ab, sind arbeitslos, haben zu Hause Probleme und sehen schon mit 15 Jahren keine Perspektive mehr. Bei Schwester Margareta im Don-Bosco-Zentrum an der U-Bahn-Station Raoul-Wallenberg-Straße können sie Maler, Tischler oder Hauswirtschafter werden.

Wenn Teenager morgens nicht zum verabredeten Kurs erscheinen, kommt die Nonne zu ihnen und klingelt an der Haustür Sturm. Wenn es sein muss, klingeln Margareta und ihr Team wochenlang jeden Morgen – bis die jungen Frauen und Männer begreifen, dass sie sich ihre letzte Chance auf einen Beruf nicht vermasseln dürfen. Manche lernen erst bei ihr, was ein gemeinsames Frühstück ist. Einige bekommen in einer kleinen Schule des Ordens in Thüringen wieder Lust auf den Unterricht und schaffen einen Abschluss.

Schwester Margareta gehört zum Orden der heiligen Maria Magdalena Postel im thüringischen Heiligenstadt. 2005 hat sie zusammen mit Brüdern des Ordens der Salesianer Don Boscos das Jugendzentrum aufgebaut und mit zwölf Jugendlichen angefangen. Heute stehen die 50 Mitarbeiter mit 280 Teenagern in Verbindung. 70 Prozent können sie zu einem Schulabschluss, einem Praktikum oder einer Lehrstelle verhelfen. Die Behörden reagierten zunächst reserviert auf die Ordensleute. Heute sind sie froh um sie.

Dieser Beitrag erschien auf den Mehr-Berlin-Seiten des Tagesspiegels.

Claudia Keller

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