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Berlin: Kneipe, Imbiss, Schuhgeschäft

In kaum einem Kiez wechseln Ladenbetreiber so oft wie am Boxhagener Platz

Gabriel-Max-Straße, nur einen Steinwurf vom Boxhagener Platz entfernt. Ein etwa 65 Quadratmeter großer Raum sieht noch aus wie ein Schlachtfeld. Baustaub, halbfertige Möbel und Werkzeuge sind über den gefliesten Boden verteilt. Dort, wo einmal eine Theke stehen soll, ist noch gähnende Leere. Pappen versperren den Blick durch die Schaufenster ins Innere. Ein handgeschriebenes Schild kündigt an: „Hier entsteht demnächst ein(e) Sushi-Bar/Café.“ „Die Gegend hier ist gesucht“, nennt Inhaber Quoc Dung Tran als Grund für die Ortswahl.

Und tatsächlich: Der Bezirk ist auch den Zahlen nach eine gute Wahl für eine Geschäftsneugründung. Die Bürgschaftsbank Berlin hat beispielsweise festgestellt, dass Friedrichshain-Kreuzberg das positivste Saldo zwischen Geschäftsneugründungen und – auflösungen aufweist. So liegt der Gründungsüberschuss im Bezirk bei 44 Prozent. Großen Anteil an den Zahlen hat das Gebiet um den Boxhagener Platz. Café reiht sich an Bar, reiht sich an Restaurant. Hier nimmt der Tag seinen Anfang mit einem Kaffee und die Nacht ihr Ende bei einem Drink. In den Schaufenstern werben die Bars mit Happy Hours. In Wahrheit findet man hier immer einen günstigen Drink. Happy Hour ist immer und überall.

„Wir haben endlich etwas, das individueller ist“, ist Diana Kühn von ihrem Laden überzeugt. „Alles Gute“ verkauft Kaffee, Schokolade und Wein. Das gemütliche Holzinterieur stammt von ihrem Freund, der zuvor als Tischler gearbeitet hat und sich dann im Juni mit dem kleinen Laden selbstständig machte.

Viele finden in ihrem alten Beruf keine Stelle und wagen so den Schritt in die Selbstständigkeit, am liebsten als Gastwirt. Im Gründerindex belegt Friedrichshain-Kreuzberg in dieser Kategorie den obersten Rang. Von 100 neuen Gastgewerben in Berlin werden 44 in dem Bezirk gegründet. Das liegt auch an der Aufmerksamkeit, die die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung dem Kiez zuteil werden ließ. Von 1999 bis 2004 flossen rund acht Millionen Euro Fördermittel. Obwohl die Gründungseuphorie langsam weicht, sieht Peter Hilleker, Leiter der Wirtschaftsförderung im Bezirk, nach wie vor einen Boom. „Die Anzahl der Beratungen für Existenzgründer schätzt er auf 500 im Jahr. Allerdings: „Das liegt daran, dass bei uns die Arbeitslosigkeit hoch ist.“

In der Grünberger Straße steht Funda Simsek hinter einer Theke, die angereichert ist mit allerlei Leckereien. Der kleine Raum des „Curry 66“ riecht nach Bratwurst und Pommes. Individualität schätzt auch sie als wichtig ein. „Es muss schon etwas Besonderes sein. Man muss wirklich herausfinden, was die Leute wollen.“ Ansonsten ergeht es den Räumen so, wie es dem, in dem das Curry 66 beheimatet ist, ergangen ist. Einmal war ein Blumenladen drin, dann ein Schuhladen.

Während sich bei den Gründern die Hoffnung auf eine erfolgreiche Zukunft Bahn bricht, betrachten die Alteingesessenen die Entwicklung auch mit einer gewissen Sorge: „Die Anwohner sind tierisch genervt“, berichtet Doreen Srock, die seit sechs Jahren im „Conmux“ arbeitet, einer urigen Bar. Die Tendenz findet sie erschreckend: „Es wird nicht mehr auf die Qualität geachtet, sondern aufs schnelle Geld.“ Oft müssen die Lösungen billig sein, denn die Zeit der großen Kredite ist vorbei. Alexandra Becker, die seit zweieinhalb Jahren im „Heimspiel“ Kleidung entwirft und verkauft, hat schon viele Geschäfte kommen und gehen sehen. „Ich finde, es wurde etwas zu viel gefördert“, sagt sie.

Doch mittlerweile werden die Nischen kleiner, in denen sich neue Betriebe ansiedeln können. Der Kiez ist im Übergang begriffen und wird vom Senat teilweise schon als „gute Adresse“ beurteilt. Das Quartiersmanagementverfahren, das problematischen Kiezen zuteil wird, ist bereits in ein sogenanntes bewohnergetragenes Verfahren umgewandelt worden. Damit ist der Boxhagener Platz neben Falk- und Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg der einzige Kiez, in dem die Anwohner die Quartiersarbeit regeln. Der Boom wandert indes weiter: „Bestimmte Quartiere sind noch wachstumsfähig“, sagt Hilleker und denkt dabei an das nördliche Friedrichshain um die Ebertystraße.

Matthias Jekosch

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