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Berlin: Knut und der Ernst des Lebens

Der kleine Eisbär ist der Liebling der Medien – und längst ein Markenzeichen, von dem viele profitieren wollen Sein pelziger Kollege im Gehege nebenan hingegen macht von Natur aus eher eine traurige Figur. Kein Wunder, dass er in diesen Tagen so einsam bleibt

KNUT

PC-Spiele mit dem weißen Wunder auf vier Tatzen und „Knuddel-Knut’sch“-Süßigkeiten aus Schaumzucker mit Himbeergeschmack von Haribo, Knutlieder und Klingeltöne samt Video fürs Handy – Knut und kein Ende. Der Zoonachwuchs ist zum Markenzeichen geworden, und alles, was mit dem kleinen Eisbären zu tun hat, brummt und brummt und brummt.

Und das mindestens so lange, wie der tierische Schützling von Ziehvater Thomas Dörflein noch nicht dem Kindchenschema entwachsen ist – und als ausgewachsenes Raubtier hinter Gittern im Zoo lebt, statt sich in freier Natur im hunderte Kilometer weitläufigen Jagdrevier austoben zu können. Wer Knuts Eisbärmutter Tosca beoachtet, die unweit von Knuts Schaugehege unablässig vor- und zurück läuft, den Kopf ständig hin und her schwenkt, ahnt, was Knuddelknut als erwachsenem Koloss in Gefangenschaft bevorstehen könnte. Tosca brachte ihre Verhaltensstörung allerdings schon aus dem Zirkus mit, auch deretwegen hat sie ihren Nachwuchs nicht angenommen.

Knut wird unterdessen immer größer: 14 Kilo wiegt er schon, saugt längst nicht mehr an der Nuckelflasche, sondern reißt jetzt rohes Fleisch vom Knochen. Der Berliner Bär hat seit der Nacht zu Sonnabend zudem ein neues Zuhause. Vobei ist’s mit dem Luxusleben in der Kinderstube, der WG mit Thomas Dörflein. Jetzt lebt der kleine Eisbär hinter Gittern, in seinem Spielfreigehege. Dort haben ihm die Pfleger bis in die tiefe Freitagnacht eine Schlafkiste präpariert.

Bis die Knut-Hysterie vorbei ist, wird es aber noch dauern. Bisher sind Zoo-Kurator Heiner Klös zufolge bereits 100 000 Besucher mehr in den Zoologischen Garten gekommen als in den Vergleichsmonaten eines Jahres mit ähnlich frühem Frühlingsbeginn. 2,5 Millionen Gäste waren es zuletzt im ganzen Jahr. Gute Nachrichten für die 240 Zoomitarbeiter.

Doch die 4000 Zoo-Aktionäre haben bei anderen Meldungen bezüglich Knut wenig Grund zu applaudieren. Möglicherweise hat der Zoo es nämlich versäumt, sich rechtzeitig alle Marken- und Namensrechte auf den kleinen Weißen zu sichern. Das Deutsche Patent- und Markenamt in München prüft jetzt auch die Anmeldung der Berliner Firma Jürgen Jopp International mit Sitz am Kurfürstendamm. Offenbar hat der Projektentwickler sich für den Namen Knut in den Bereichen Drogerieartikel, Bürowaren, Spiel- und Sport, Speiseerzeugnisse, Säfte, Telekommunikation/IT, Medien und Wellness registieren lassen. Nahezu parallel habe der Zoo die „Bild-Wort-Marke“ beantragt. Der zuständige kaufmännische Mitarbeiter des Zoos war gestern für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Die Sicherung der Marke Knut im Internet erfolgte indes schneller als der Weg zum Patentamt. Nach dem ersten öffentlichen Auftritt des kleinen Bären sicherte der Zoologische Garten Berlin die Internetadresse www.knut-eisbär.de – mit Inhalten gefüllt ist sie aber noch nicht. Die Seite www.knut-eisbaer.de widmet bereits eine Firma aus Görlitz dem Bären.

In den Tagen nach den Medienberichten von Knuts Publikumspremiere zogen Marketingfirmen und Privatpersonen nach. Domaines wurden wild variiert: Umlaute, mit oder ohne Bindestrich – Hauptsache Knut und Bär kommen vor. Dabei sind die meisten der gesicherten Knut-Webseiten ebenfalls noch nicht aktiv. Aber auf www.knut-baer.de etwa fordert eine Marketingfirma „Mehr Bär für alle“ und bietet einen „Bärigen Bildschirm-Hintergrund“ zum runterladen.

Für Anti-Knut Projekte wären dagegen noch Internetseiten frei. Auf den Rummel um den Eisbärnachwuchs reagieren immer mehr Menschen genervt, andere mit Humor. Das Satire-Magazin Titanic nimmt den Eisbären ins Visier und fordert „Stoppt den Terror – tötet Knut“. Anhänger der Anti-Knutbewegung können Anti-Knut-Klingeltöne aufs Handy laden.

Weitere Vorschläge zur Vermarktung macht die Hamburger Werbeagentur „Den Mutigen gehört die Welt“. Unter diesem Namen hat sie Spaßplakate ins Internet gestellt, die ganz neue Verwendungszwecke für den Lieblingsbären der Berliner vorschlagen. Für alle, die richtig genervt sind von Knut, schlagen die Werbetexter vor, sich an „Knutwurst von Knutfried“ satt zu essen oder zu einer hochklassigen Lederfell-Tasche von „Knucci“ zu greifen. Schleckermäulern dagegen empfiehlt sich: „Knutella – extra pelzig“.

ERNST

Die Internetseite www.ernst-baer.de ist noch frei – und das wird sie wohl auch bleiben. Dabei hätte nicht nur Knut eine Fangemeinde verdient: Auf der Rückseite des Eisbärengeheges, da, wo keine Kinder schreien und keine Besucher Schlange stehen, lebt der kleine Malaienbär Ernst.

Drei Monate ist er alt, einen jünger als Knut, und er kann alles, was der Eisbär kann: herumtollen, über die eigenen Füße stolpern, Pfleger ärgern. Nur sieht er dabei nicht ganz so niedlich aus wie Knut. Und er muss nicht mit der Flasche aufgezogen werden. Mutter Maika hat ihn nach der Geburt nicht verstoßen.

Kein Kindchenschema und eine glückliche Kindheit – sind das die Gründe, warum die Zoobesucher den kleinen Ernst bisher weitgehend ignorieren? Nein, sagt Zoosprecher Ragnar Kühne. Es fehle einfach die Medienunterstützung: die vielen Zeitungsartikel und Fernsehberichte, die Knut zum Star gemacht, ihn popularitätstechnisch „in eine andere Liga katapultiert“ hätten. So bleibe Ernst ein normales Bärenjunges und das bekomme im Zoo traditionell nur mittelmäßig viel Beachtung, sagt Kühne. Also weniger als ein Elefantenbaby, aber immerhin mehr als Antilopennachwuchs.

Dabei gebe es eigentlich genug Gründe, vor Ernsts Gehege stehen zu bleiben: Malaienbären sind selten, nur 120 leben weltweit in Zoos, dreimal weniger als Eisbären. Und dann ist da Ernsts unglaublich lange Zunge. Die hat er, weil Malaienbären in der freien Wildbahn Bienennester plündern. Im Zoo versuchen die Pfleger das zumindest zu simulieren, indem sie Honig in Baumritzen schmieren.

Ernsts Pfleger ist übrigens Thomas Dörflein, derselbe, der sich auch um Knut kümmert. Dörflein war es auch, der dem Malaienbären seinen Namen gab. Weil der angeblich immer so ernst schaut. Eine glatte Fehleinschätzung, sagt Zoosprecher Kühne. Ernst sei ein sehr lebendiger und verspielter Bär.

Jeden Tag ab 14 Uhr darf er für ein paar Stunden ins Außengehege, vorher ist es zu kalt, Malaienbären leben eigentlich in Südostasien und sind tropische Temperaturen gewöhnt.

Manchmal kommen Besucher und fragen, ob man beide Kleinbären nicht zusammen spielen lassen könne. Das wäre doch bestimmt niedlich, oder? Für Ernst wäre das eher tödlich, sagt Kühne. Weil Knut gerade – seinem Eisbärennaturell entsprechend – spielerisch das Raufen und Jagen lernt und Ernst lieber klettern will als kämpfen. Zudem ist er einen Kopf kleiner als Knut.

So wird Ernst wohl auch weiterhin wenig Aufmerksamkeit bekommen. Aber nicht schlimm, Hauptsache ist, die Familie ist intakt. Diesen Sommer, sobald er ein bisschen kräftiger ist, soll Ernst seinen Vater kennenlernen. Der heißt Bhumibol und lebt derzeit im Nachbargehege.

Annette Kögel[Sebastian Leber], River Tucker

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