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Berlin: Koalition in Berlin: Ein Finanzsenator auf den allerletzten Drücker

Wenn er am Donnerstag die Wahl des rot-roten Senats im Abgeordnetenhaus problemlos übersteht, kann der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) aufatmen. Die geheimen Einzelwahlgänge sind immer eine Zitterpartie, und in der SPD ist die Stimmung nicht gut.

Wenn er am Donnerstag die Wahl des rot-roten Senats im Abgeordnetenhaus problemlos übersteht, kann der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) aufatmen. Die geheimen Einzelwahlgänge sind immer eine Zitterpartie, und in der SPD ist die Stimmung nicht gut. Dass Wowereit keine zwei SPD-Frauen aus dem Osten für Senatsämter gefunden hat, macht es nicht besser. Vier alte und fünf neue Gesichter werden dem Senat angehören, sechs der SPD, drei der PDS, unter ihnen je eine Frau. Nur Gregor Gysi und Thomas Flierl (beide PDS) haben eine reine Ost-Vita.

Zum Thema Online Spezial: Rot-Rot in Berlin Kurzporträt: Der neue Senat Bei der Nominierung Wowereits und der fünf SPD-Senatoren verteilten Landesvorstand und Fraktion am Dienstagabend nach dreistündiger kritischer Debatte Denkzettel. Der Landesvorstand votierte mit 21 Stimmen bei sechs Gegenstimmen und einer Enthaltung das Personalpaket, die Fraktion nominierte mit 38 gegen vier Stimmen bei zwei Enthaltungen. In der Debatte wurde Kritik an der Nichterfüllung der Doppelquote Ost und Frau und am Stil Wowereits laut, von "Arroganz der Macht" war die Rede. Wowereit sagte vor der Presse, ihm sei "Offenheit lieber als Überraschungen". Er sei "sicher, dass alle Senatskandidaten gewählt werden". Bei Personalien gebe es immer abweichende Auffassungen.

Passt das Team zusammen, das die Geschicke der Stadt lenken muss? Klaus Wowereit bekommt seine zweite Chance. Die SPD, die ihn feierte, als er im Juni 2001 die Große Koalition sprengte, den rot-grünen Minderheitssenat installierte und im Oktober die Neuwahlen gewann, kritisiert jetzt seinen autoritären Führungsstil ohne Teamgeist und fehlenden Glanz bei der Senatsbildung. Gegen Rot-Rot gibt es in der Partei Bedenken.

Für das Finanzressort hat Wowereit nach langer Suche den Finanz- und Wirtschaftsexperten Thilo Sarrazin (56, promovierter Volkswirt), gefunden, der als unbequemer Vordenker gilt. Erst gestern fiel die Entscheidung zwischen Sarrazin und der früheren Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (1996 bis 1999). Sarrazin war zuletzt zwei Jahre Chef der Bundesbahn Netz AG; im Dezember 2001 schied er dort im Streit mit Bahn-Chef Mehdorn aus. Er war nach langer Karriere in der Bonner Ministerialbürokratie von 1991 bis 1997 Finanz-Staatssekretär in Rheinland-Pfalz. Dann wechselte er zur Treuhand-Liegenschaftsverwaltung. Aus dieser Zeit stammt sein Thesenpapier "Berlin - die Stadt der Besonderheiten". Einer der Kernsätze: "Die Wirklichkeit Berlins erfordert mehr Radikalität bei politischen Innovationen." Wowereit stellte ihn als hervorragend profiliert für eine der schwierigsten Aufgaben vor. Sarrazin hat sich "die Entscheidung nicht leicht gemacht".

Eine West-Frau mit Ost-Erfahrung wird Bürgermeisterin und Justizsenatorin: Karin Schubert (56, Juristin), bisher seit sieben Jahren Finanzministerin in Magdeburg. Die gebürtige Erfurterin ging im Alter von 15 Jahren nach Westdeutschland. Sie war Richterin in Nordrhein-Westfalen, später Justitiarin der Düsseldorfer Landesvertretung in Bonn. 1991 wurde sie Präsidentin des Landgerichts Neubrandenburg, 1994 Ministerin in Magdeburg. Wowereit verwies auf ihre Ost-West-Biografie, in der sich beide Teile Deutschlands spiegelten.

Zur Wiederwahl stehen die SPD-Senatoren Klaus Böger, Ehrhart Körting und Peter Strieder. Böger (55, Diplompolitologe) ist seit 1999 Senator für Schule, Jugend und Sport und bleibt es, wird aber nicht wieder Bürgermeister. Nach anfänglichen Problemen hat er im Amt Ansehen gewonnen. Von 1994 bis 1999 war er SPD-Fraktionschef - der Vorgänger von Wowereit. Er repräsentiert den rechten SPD-Flügel.

Der seit 2001 amtierende Innensenator Ehrhart Körting (59, Jurist) gilt wegen seiner Kompetenz als unentbehrlich. Von 1997 bis 1999 war er Justizsenator. Als Abgeordneter war er 1990 wesentlich an den für die Wiedervereinigung Berlins notwendigen Verfassungsänderungen beteiligt. 1992 bis 1997 war er Vizepräsident des Berliner Verfassungsgerichtshofes. Bereits in den siebziger Jahren hatte Körting einen Namen als Baustadtrat in Charlottenburg. Peter Strieder (49, Jurist) behält das Stadtentwicklungsressort, das er seit 1996 hat. Zuvor war er vier Jahre Bezirksbürgermeister von Kreuzberg. Als SPD-Chef (seit 1999) ist er für Wowereit die wichtigste Parteistütze. Seine bisher drei Wahlen zum Senator überstand er stets nur mit knapper Mehrheit.

Die künftige Senatorin für Gesundheit und Soziales, Heidi Knake-Werner (58) ist die West-Frau der PDS. Die studierte Sozialwissenschaftlerin aus Wilhelmshaven war Mitglied der DKP und trat 1990 in die PDS ein. Sie ist bisher parlamentarische Fraktionsgeschäftsführerin der PDS im Bundestag, dem sie seit 1994 angehört. Nach langer Bedenkzeit entschied sie sich erst gestern für den Wechsel in den Senat.

PDS-Star Gregor Gysi (54, Jurist) wird Wirtschaftssenator und als Bürgermeister Wowereits Stellvertreter. Er war nach der Wende bis 1992 Bundesvorsitzender der PDS und bis 2000 Fraktionschef im Bundestag. Jetzt sind erneut Vorwürfe gegen Gregor Gysi wegen Stasi-Mitarbeit aufgetaucht, die er stets bestritten hat.

Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur wird Thomas Flierl (44), der jüngste im Senat. Er war von 1998 bis 2000 Baustadtrat in Mitte. Der promovierte Kunstwissenschaftler aus Ost-Berlin war bis 1990 im DDR-Kulturministerium tätig und SED-Mitglied. 1991 trat er aus der PDS aus, 1999 wieder ein. Flierl gehörte dem Abgeordnetenhaus von 1996 bis 1998 für die PDS an.

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