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Koalitionsstreit in Berlin: Gasnetzvergabe wirft weiter Fragen auf

Tagelang lähmte ein scharfer Streit im Senat die Berliner Politik. Gestern nun erklärte Klaus Wowereit den Konflikt für beendet. Die Ursache des Problems ist damit aber noch nicht beseitigt.

Es war knapp. Doch der bislang heftigste Streit zwischen den beiden Berliner Koalitionären SPD und CDU ist einstweilen geschlichtet. Im Acht-Augen-Gespräch verständigten sich der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, für SPD), Innensenator und CDU-Landeschef Frank Henkel und Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) am Donnerstagmittag auf eine einvernehmliche Erklärung. Wichtigster Punkt: Heilmann verzichtet darauf, von Nußbaum die Unterlassung bestimmter Äußerungen zu verlangen. Nußbaum wiederum stellte angeblich klar, dass er Heilmann nichts unterstellen wollte, sondern bloß „Fragen“ an den Justizsenator gehabt habe.

Damit steht einer konstruktiven Zusammenarbeit im Senat nichts mehr im Wege – das hofft man zumindest bei den Koalitionspartnern. Der eigentliche Auslöser des Streits, die umstrittene Vergabe des Berliner Gasnetzes, wirft dennoch weiterhin Fragen auf, von denen einige auch das Abgeordnetenhaus noch beschäftigen werden. Das muss der Vergabe des bisher von der Gasag betriebenen Netzes an das kommunale Unternehmen Berlin Energie noch zustimmen, welche der Senat trotz Kritik vor allem seitens des Justizsenators „zustimmend zur Kenntnis“ genommen hatte. Das dürfte noch zu kontroversen Diskussionen führen, da die Koalition sich nicht einig ist, in der CDU gibt es weiterhin Vorbehalte.

Um die Gaskonzession hatten sich zwei Unternehmen beworben, ein kommunales und ein privatwirtschaftliches. Was war politisch gewollt?

Die Antwort findet sich im SPD-CDU-Koalitionsvertrag von 2011. Auf Seite 15 heißt es: „Mit der Neuvergabe der 2013/2014 auslaufenden Gas- und Stromkonzessionsverträge für die Verteilungsnetze wird das Land Berlin mit Nachdruck Einfluss auf die Rahmenbedingungen der Strom- und Gasversorgung als öffentliche Daseinsvorsorge nehmen… Ziel ist es, mehr Einfluss auf die Strukturen, die Preis-, Investitions- und Unternehmenspolitik des zukünftigen Verteilnetzbetreibers zu nehmen. Eine nachhaltige Energieversorgung… bedarf eines öffentlichen Einflusses auf die Netzbetreiber, welcher auch über eine Beteiligung an den Netzen durch das Land erfolgen kann. … In diesem Zusammenhang ist zur Erreichung unserer Ziele auch der Aufbau einer Institution „Berlin Energie“ … zu prüfen.“ Auch die letzten Plenarprotokollen zeigen den Willen des Senats, die Kontrolle über die Netzinfrastruktur von Strom und Gas zurückzubekommen und damit auch Geld zu verdienen.

Welchen Einfluss darf die Politik auf das Verfahren nehmen?

Diese Frage hat der Bundesgerichtshof im November 2013 entschieden: Gemeinden müssen den Konzessionär für ihr Netz in einem diskriminierungsfreien und transparenten Verfahren auswählen. Dies gilt auch dann, wenn sie die Energieversorgung wieder in die eigene Hand nehmen wollen (AZ KZR 65/12 und 66/12). Gemeinden können also nur tun, was sie von anderen verlangen: eine gute Bewerbung abgeben.

Bei welchen Punkten sehen die Kritiker des Berliner Gasvergabeverfahrens einen Verstoß gegen die Vorgaben des BGH?

Im Wesentlichen sind das drei Punkte. Einer davon ist die „Change of Control“- Klausel. Also: Was passiert, wenn das Unternehmen verkauft wird oder Gesellschafter wechseln? So soll die Übernahme durch politisch unliebsame Aktionäre verhindert werden, gerade im Bereich der Energieversorgung ein wichtiger Punkt. Berlin Energie räumte dem Land ein Sonderkündigungsrecht bei einem Eigentümerwechsel ein, die Gasag wollte das nicht garantieren. In einer Ausschreibung hat ein kommunales Unternehmen hier Vorteile gegenüber einem privatwirtschaftlichen Unternehmen, dem eine Wettbewerbsbeschränkung auferlegt wird. Zweiter Kritikpunkt ist die Gewichtung der einzelnen Kriterien. Dem BGH zufolge sind die Ziele Effizienz, Verbraucherfreundlichkeit, preisgünstige und sichere Versorgung sowie Umweltverträglichkeit höher zu gewichten. Die Kritiker monieren, das sei nicht ausreichen geschehen. So werden Effizienz und Preisgünstigkeit mit je 25 Punkten bewertet, andere Aspekte werden mit bis zu 50 Punkten bewertet. Und auch die Transparenz bei der Bewertung wird kritisiert. Unterhalb der Oberkriterien gibt es verschiedene Unterpunkte. Aus den Unterlagen ist nicht ersichtlich, wie diese gewichtet werden. Dies ist aber nach der Rechtsprechung des EuGH vorgeschrieben.

Die Bevorzugung von Berlin Energie lässt sich nicht belegen

Lässt sich eine Bevorzugung von Berlin Energie zweifelsfrei belegen?

Nein. So würde beispielsweise der Vorsprung von Berlin Energie bei der Preisgünstigkeit vermutlich höher ausfallen, wenn der Punkt höher gewichtet worden wäre. Zudem weist die SPD darauf hin, dass die CDU dem Verfahrensbrief, den die Bewerber zugeschickt bekommen hatten und der die Grundlage für die Entscheidung ist, zunächst zugestimmt hatte.

Gibt es Auffälligkeiten?

Mehrere. Ein Beispiel: Beim Punkt „Verbraucherfreundlicher Netzbetrieb“ nennt die Gasag eine Reaktionszeit bei Störungen aufgrund langjähriger Erfahrungen von 30 Minuten. Berlin Energie, ohne jede Erfahrung, nennt 25 Minuten und ist damit knapp im Vorteil. Kritiker monieren, es sei gar nicht geprüft worden, wie Berlin Energie mit acht Angestellten eine derartig schnelle Problembehebung gewährleisten könne und ob es die Punkte nicht bloß für die Behauptung gegeben hat, es besser zu können.

Können Informationen des einen Bewerbers dem anderen mitgeteilt worden sein?

Darauf zielt eine der Fragen von Finanzsenator Nußbaum an Heilmann. Der Finanzsenator will wissen, welche Kontakte Heilmann zur Gasag hatte. Andererseits ist Berlin Energie beim Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz angesiedelt, also bei Michael Müller. Die Frage nach Kontakten der Senatoren oder der Verwaltungen untereinander wurde noch nicht erörtert.

Wer hat die Vergabe der Punkte entschieden?

Dem Tagesspiegel sagt Nußbaums Sprecherin am Donnerstag: „Das Vergabeverfahren wird durch die Vergabestelle durchgeführt, die nach der Geschäftsordnung des Senats bei der Finanzverwaltung angesiedelt ist.“ Daraus ergibt sich nicht, wer letztendlich die Verteilung der Punkte vorgenommen hat. Am Rand des SPD-Pressefestes am vergangenen Dienstagabend empörte sich Nußbaum darüber, ihm persönlich sei im Zusammenhang mit der Vergabe rechtswidriges Verhalten vorgeworfen worden. Auf den Einwand, diese Kritik beziehe sich auf die Vorlage, die von seiner Vergabestelle erarbeitet worden sei, antwortete Nußbaum: „Welche Vergabestelle? Das habe ich in Zusammenarbeit mit meiner Staatssekretärin entschieden.“

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