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Jetzt kann's losgehen: Rot und Schwarz wollen gemeinsam regieren.

© dpa

Koalitionsvereinbarung: Das rot-schwarze Werk ist vollbracht

„Wir wollen, dass Berlin reicher wird, aber sexy bleibt“, steht im rot-schwarzen Koalitionsvertrag. Wie Rot und Schwarz zueinander fanden und warum Frank Henkel sein sonniges Gemüt trotzdem noch brauchen wird.

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Hundert Seiten, eng bedruckt. Klaus Wowereit und Frank Henkel halten den Koalitionsvertrag in einer Klarsichtfolie stolz vor die Kameras. „Das Werk ist vollbracht“, sagt der Regierende Bürgermeister. „Das haben die Sozialdemokratische Partei Deutschlands und die Christlich-Soziale Union in Berlin vereinbart.“ Da hebt der CDU-Landeschef energisch den Finger. „Also, christlich-demokratisch, Herr Wowereit!“ Der lacht. Naja, die soziale Komponente komme bei der CDU erfahrungsgemäß nicht zu kurz. Da lacht auch Henkel.

Aber hat Berlin etwas zu lachen? Die weltweit beliebte Millionenstadt, aber auch Hauptstadt der sozialen Armut, die finanziell noch immer am Tropf des Bundes und der Länder hängt, kriegt eine neue Regierung. Und Rot-Schwarz will, so der hohe Anspruch, einen verborgenen Schatz heben. Die Wirtschaft ankurbeln, die Infrastruktur entwickeln, neues Potenzial erschließen. „Berlin braucht eine Koalition, die pragmatisch und verlässlich ist“, sagt Henkel. „Wir wollen Lebensnähe statt Ideologie.“

Das erklärt dann vielleicht auch, warum die beiden Chefunterhändler um 10 Uhr am Mittwoch im Roten Rathaus makellos gedresst und einig nebeneinander sitzen. Beide: Dunkler Anzug, weißes Hemd, hellblaue Krawatte. Am Vorabend und bis in die tiefe Nacht haben die Verhandlungskommissionen in zähem, aber freundlichen Ringen die letzten Streitpunkte aus dem Weg geräumt und die Senatsressorts aufgeteilt. Zwischendurch war Zeit genug, das Freundschaftsspiel Deutschland–Holland live im Fernsehen zu verfolgen. Der Apparat lief im Nebenraum. Vor allem Wowereits cooler Verhandlungsstil hat den CDU-Politikern mächtig imponiert. Den Abend habe er mit einer Unverschämtheit begonnen, so ein Mitglied der CDU-Delegation: Nur drei Ressorts für die Christdemokraten, die doch bei der Wahl bloß fünf Prozent weniger Stimmen als die SPD geholt hatten. Chefgespräche folgten, Wowereit beeindruckte mit seinem Stehvermögen in „schwerem Rotwein“. Ganz so schlimm kam es für die CDU dann nicht. Über die Besetzung der Senatorenposten aber schweigen sich Wowereit und Henkel aus.

Seit der ersten Verhandlungsrunde mit der CDU, das war am 12. Oktober, ließ er keinen Zweifel an seiner Führungsrolle aufkommen. Sowohl in der eigenen, mehrheitlich linken Partei als auch im neuen Regierungsbündnis. Den Stempel wird der alte und neue Regierungschef auch der rot-schwarzen Koalition aufdrücken. Das dokumentiert schon der Satz, den Wowereit in die neue Koalitionsvereinbarung hinein verhandelt hat: „Wir wollen, dass Berlin reicher wird und sexy bleibt.“ Mit großem Vergnügen liest er ihn auf der Pressekonferenz vor.

Das finden vielleicht nicht alle Christdemokraten komisch, aber Henkel kann damit leben. Der Mann hat Humor. Als sich nächtens ein paar Unionisten Sorgen um die Kenntlichkeit der CDU im Senat machen, scherzt Henkel in Richtung seiner Leute, immerhin dürften sie jetzt mit ihm regieren. Und auf die Frage einer Journalistin, was denn rotierende Kennzeichnungsschilder für die Polizei sind, für die sich die CDU in den Koalitionsgesprächen stark machte, sagte er, ohne eine Miene zu verziehen: „Wenn Otto drauf steht und Sie drehen das Schild um, steht immer noch Otto drauf.“

Lesen Sie auf Seite 2, wie Frank Henkels Erfolg zu erklären ist.

Schlicht in Plastik gehüllt: Die Koalitionsvereinbarung von SPD und CDU.
Schlicht in Plastik gehüllt: Die Koalitionsvereinbarung von SPD und CDU.

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Zwischen ihnen stimmt es auch menschlich: Klaus Wowereit und Frank Henkel.
Zwischen ihnen stimmt es auch menschlich: Klaus Wowereit und Frank Henkel.

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Das sonnige Gemüt, das gelegentlich aufblitzt, wird der designierte Innensenator brauchen, wenn er am Kabinettstisch neben dem abgezockten Wowereit bestehen will. Zwei Pragmatiker der Macht. Aber vereint in der Idee, die Wirtschaftskraft Berlins nicht mehr an Duisburg, sondern an Hamburg und München zu messen. Ein Zocker, einer der Machtfragen spielerisch angeht und andere in ihrer Nervenstärke und Duldsamkeit testet, ist Henkel nicht – oder noch nicht. Der Mann, der in seinen 48. Geburtstag an diesem Mittwoch hineinfeierte, in dem er die CDU in eine Koalition hinein verhandelte, ist kein Einzelkämpfer. Auch im Wahlkampf hat er sich als „Teamspieler“ bewährt. Als solcher hat er vor drei Jahren mit dem Umbau der CDU begonnen: In enger Abstimmung mit Monika Grütters, die nicht Chefin werden wollte, beendete Henkel die traditionelle Vorherrschaft regionaler CDU-Größen.

Wie hatte es der Grüne Volker Ratzmann ausgedrückt, als er mit Wowereit die Möglichkeit einer Koalition sondierte? „Auf Augenhöhe“ wollte er mit Wowereit reden. Henkel hätte sowas nicht gesagt – er weiß, dass man Augenhöhe herstellen, aber nicht einfach fordern kann. Er und Wowereit hatten es offenbar nicht schwer, eine gute Gesprächsbasis zu finden. Unter all denen, die die CDU in den vergangenen zehn Jahren führten, ist er der erste, den Wowereit ernst nimmt. Henkel sei „authentisch“, sagte Wowereit mal über ihn – und benannte damit einen von Henkels stärksten Zügen. Persönlich haben beide manches gemein. Sind passionierte Berliner, reden geradeheraus, haben den gleichen robusten Zug, den man braucht, um lange miteinander streiten zu können.

Henkel hat sich von den mächtigen Kreischefs seiner Partei weitgehend unabhängig gemacht und holte Leute wie den Unternehmer Thomas Heilmann. Sachte, aber nachhaltig veränderte die Union ihre Außenwirkung. Nicht mehr zerstritten und ständig auf der Suche nach dem Polithelden „von außen“, der alles richten würde, war sie mit eigenen Themen befasst: Integration, ein modernes Schulsystem, ein liberales Verständnis von Großstadtpolitik.

Das brachte keine aufregenden Umfrageergebnisse, erzeugte aber beim Publikum den Eindruck einer gewissen Verlässlichkeit und Belastbarkeit. Heilmann, der gelernte und begabte Kommunikator, entwickelte mit Henkel ein Programm, an dem die Basis kräftig mitschreiben konnte. Aber es war Henkel, der auf 500 Plakaten sein Gesicht hinhielt. Er holte sich ein paar junge Leute in die unmittelbare Umgebung – und schon las sich seine Erwiderung auf die Berlin-Attacke des „Times“-Journalisten Roger Boyes wie der Text eines Mannes, der eine Menge Gefühl für den Pulsschlag von Berlin hat. Öfter mal ließ er die Krawatte im Schrank und füllte mit seiner Stattlichkeit einen schwarzen Rollkragenpullover.

Lange bevor in der Bundes-CDU eine Debatte über Werte und Kenntlichkeit der Partei in einer vernebelten „Mitte“ begann, war die Berliner CDU in dieser Mitte angekommen, in der mit Hauptschulen und Herdprämien nichts zu holen ist. Die Basis ging mit, während Henkel, Grütters, Heilmann und andere das Image der Berliner CDU aufpolierten. Aber am Wahltag sah es zunächst so aus, als werde mit Frank Henkel und seiner CDU eine Opposition in Abgeordnetenhaus einziehen, die dem schrägen Paar Wowereit-Künast das Leben schwer machen würde. Keiner, auch Henkel nicht, erwartete damals, dass man zwei Monate später über Senatsressorts verhandeln würde.

Lesen Sie auf Seite 3, warum das Gerangel um Posten so groß ist.

Unerwartet kam Rot-Schwarz auch für die SPD. Im Landesvorstand, der am Montagabend in der Weddinger Müllerstraße eine vorläufige Bilanz zog, war die Stimmung trotzdem gut. Vielen wäre es allerdings lieber gewesen, die zehn Jahre währende Landesregierung mit der Linken um weitere fünf zu verlängern. Das gilt auch für Wowereit und sein zweites Ich, den SPD-Landes- und Fraktionschef Michael Müller, der wohl Stadtentwicklungssenator werden soll. Als die Sondierungsgespräche mit den Grünen an der Stadtautobahn A 100 zerbrachen, war das Elend – vor allem an der Parteibasis – groß. Doch die Grünen taten ihnen den Gefallen, sich danach selbst zu zerfleischen.

Seitdem wird die Hinwendung zur CDU, die vor wenigen Wochen in der Landes-SPD als fast undenkbar galt, mit einem Satz erklärt: „Wir gewöhnen uns aneinander.“ Anders als die quälenden Vorgespräche mit den Grünen hatten die Treffen mit der CDU in großer Runde, aber auch in vielen fachpolitischen Arbeitsgruppen sofort den Charakter vertrauensbildender Maßnahmen. Gegen Ende des Verhandlungsmarathons klagte Wowereit schon über Fraternisierungstendenzen. Viele schöne, aber teure Ideen der SPD- und CDU-Experten wurden wieder gestrichen.

Es gab ein knappes Dutzend großer Verhandlungstreffen. In fünf Wochen war alles erledigt, ohne jeden Knatsch. Auch die größeren Streitpunkte wurden in geduldiger Kleinarbeit fast geräuschlos abgeräumt. Ein effektiver, emotionsarmer Arbeitsprozess. Im SPD-Vorstand, so bestätigt der Sprecher der Parteilinken, Mark Rackles, sei das Ergebnis der Verhandlungen „auf hohe Akzeptanz“ gestoßen.

Die Berliner Sozialdemokraten haben, die neue Regierung betreffend, ganz andere Probleme. Die zweite und dritte Reihe in der Partei drängt mit Macht nach vorn. Viele wollen etwas werden: Senatsmitglieder, Staatssekretäre, eine Führungsrolle in Partei und Fraktion wollen den Generationswechsel, jetzt. Allen voran die bisherige Haushaltsexpertin und Vize-Fraktionschefin Dilek Kolat, eine einflussreiche und durchsetzungsfähige Linke, die, so heißt es, Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen werden will.

„Aber es geht nicht nur um Leute“, sagt ein alter SPD-Fahrensmann. „Die Partei muss neu geordnet werden und Rot-Schwarz ist ein Brocken, den wir alle erst mal verdauen mussten.“ Aber eines sollten sich die jungen Wilden hinter die Ohren schreiben, warnt der erfahrene Genosse: „Wowereit lässt sich von niemandem erpressen.“

Die von Henkel generalüberholte Hauptstadt-CDU hat solche Sorgen erstmal nicht. Noch immer wirkt die ganze Partei, die so lange so verzagt war, überrascht vom Lauf der Dinge. Die Unterhändler haben den Eindruck, einen im Großen und Ganzen guten Job gemacht zu haben: Okay – die Lehrerverbeamtung habe man nicht durchsetzen können, aber „ansonsten haben wir die plakatierten Themen hingekriegt“, sagt ein müdes Mitglied der Verhandlungskommission. Und meint: Die Basis und das Publikum werden die CDU aus dem Wahlkampf im Senat wiedererkennen.

Das ist der Vorteil, wenn man sich in der Opposition runderneuern konnte: Man kann mehr gewinnen als verlieren. Die CDU hat gewonnen, was gleichermaßen langweilig und unabdingbar ist – Geschlossenheit. Das verdankt sie Henkel. Der wird nun von links mit den Klischees konfrontiert werden, die in Sachen CDU und Sicherheit gängig sind: Er sei polizei-fixiert und autoritär. Doch ein Innensenator Frank Henkel, der es nicht übertreibt, sondern sich, wie Ehrhart Körting, Respekt erwirbt, hat gute Chancen auf die Popularität, die dem nächsten Spitzenkandidaten der SPD gefährlich werden kann, ganz gleich, ob Wowereit noch mal antritt oder nicht. Und wer in der SPD kann es mit Wowereit aufnehmen?

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