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Der Regierende Bürgermeister Michael Müller steht vor harten Verhandlungen.

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Koalitionsverhandlungen in Berlin: Es könnte rumpeln bei Rot-Rot-Grün - gut so

Berlin braucht keine Harmonie, sondern rücksichtslose Antreiber für einen Mentalitätswechsel. Auch die sozialdemokratische Selbstgefälligkeit gehört infrage gestellt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Nowakowski

Was gutes Regieren ist, hat Michael Müller schon definiert. „Gemeinsam ein Klima schaffen, in dem produktiver Streit um die besten Konzepte zum Wesen der Stadtgesellschaft gehört.“ Nach der kuriosen Sondierung mit CDU und FDP, die Müller doch schon vorab als Partner ablehnte, muss es ab heute zwischen SPD, Linken und Grünen genau um diesen produktiven Streit gehen. Ein gewisser Hochmut – wozu auch gehört, als Parteichef im Roten Rathaus zu verhandeln – lässt ahnen, dass der Regierende Bürgermeister das Wahlergebnis nicht als das Debakel begreifen will, das es ist. Der absurd-verlogene Abgang der Senatssprecherin zeigt, wie sehr die SPD glaubt, die Stadt gehöre ihr.

Auf den schwächsten Wahlsieger der Nachkriegszeit kommt einiges zu: Wenn sich Linke und Grüne einig sind, dann wird die SPD im Senat zuweilen nicht Koch, sondern nur noch Kellner sein. Daran wird sich die stolze SPD erst gewöhnen müssen. Linke und Grüne sollten sich nicht kleinmachen, denn auch Müller hat keine Alternative: Er ist mit Rot-Rot-Grün zum Erfolg verdammt, zumal er wegen des miesen Wahlkampfs auch als Parteichef unter Druck steht.

Es könnte deshalb noch ziemlich rumpeln, bis man zusammenfindet. Gut so. Harmonie braucht Berlin nicht, sondern rücksichtslose Antreiber für einen Mentalitätswechsel, schonungslose Fehleranalyse und unerbittliches Infragestellen der sozialdemokratischen Selbstgefälligkeit, man wisse schon, wie regieren geht. Die vergangenen 15 Jahre mit einem SPD-Senatschef haben – neben guten Weichenstellungen – eben auch bräsigen Filz und eine sklerotische Binnensicht hervorgebracht, die zuweilen an der Bezirksgrenze Tempelhofs endet. Dazu aber ist Berlin zu groß geworden. Die bei der Wahl spürbare Verdrussstimmung über die langzeitregierende SPD sollte dort ein demütiges Überdenken befördern.

Zwar steht Berlin viel besser da als 2011, mit Schuldenabbau, mehr Jobs und wachsender Wirtschaft, doch vieles entwickelte sich ohne größeres Zutun des Senats – und viele Probleme sind im selben Zeitraum gewachsen. Die nächsten Jahre entscheiden, ob der Aufschwung nachhaltig ist, weil die Chancen klug genutzt werden, die sich aus der weltweiten Aufmerksamkeit für Berlin ergeben, oder nur ein Strohfeuer sind wie in den 90ern, als die Mauerfall-Euphorie im Katzenjammer endete.

Keine weitere Blockade

Jetzt ist deshalb nicht die Zeit für Ideologie oder schöngeredete Elendsverwaltung, sondern für kühlen Pragmatismus. Dass im Bereich der Schule – wie man hört – keine Änderungen anstehen, ist schon mal eine gute Nachricht. Bloß keine weiteren Reformen, die Lehrer, Eltern und Schüler überfordern, bloß keinen Kulturkampf gegen das Gymnasium, sondern einfach dafür sorgen, dass Schule allen Kindern Bildungschancen eröffnet. Dazu gehören nicht nur saubere Toiletten, sondern sanierte Gebäude, neue Technik und genug Lehrer, die auch nicht im Verwaltungskram untergehen.

Zu tun ist vieles. Berlin beweglich machen mit einem Verkehrskonzept, das Radler nicht mehr zu Opfern macht, und einem zukunftsfesten ÖPNV. Berlin bürgerfreundlich machen mit neuer Aufgabenverteilung zwischen Bezirken und Senatsverwaltung und digitalem Bürgeramt. Berlin sicherer machen mit einer Polizei, die für die Bürger auf der Straße ist und nicht mit Mängeln des Apparats und der Ausrüstung beschäftigt. Berlin schneller machen, damit Investitionen getätigt, die Infrastruktur saniert und endlich genug Wohnungen gebaut werden können.

Was Berlin leisten kann, haben trotz einer unzulänglichen Politik die letzten fünf Jahre gezeigt. Nicht auszudenken, was möglich wäre, wenn sich Partner nicht nur verachten und gegenseitig blockieren, wie es SPD und CDU taten. Berlin voranbringen, das ist der einzige Maßstab, der zählt, nicht kuschelige Wohlfühl-Atmosphäre am Senatstisch. Dafür ist produktiver Streit unabdingbar – so wie es Müller schon bei seinem Amtsantritt Anfang 2015 versprach. Jetzt bekommt er dazu die zweite Chance.

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