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Stadt der Baustellen. Die Straße Unter den Linden soll künftig autofrei werden.

© Kitty Kleist-Heinrich

Koalitionsverhandlungen in Berlin: Rot-Rot-Grün ignoriert die Alltagsprobleme

Bei den rot-rot-grünen Koalitionsverhandlungen haben Symbolprojekte offensichtlich Vorrang. Die wirklich wichtigen Themen werden noch ausgespart. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Nowakowski

Neue Zeiten brauchen Symbole. Die von Rot-Rot-Grün beschlossene Sperrung des Boulevards Unter den Linden für private Autos ist Signal einer Mobilitätswende. Eine Wegmarke hin zu einer veränderten Stadt. Wie das geht, ohne dass der Verkehr im Zentrum kollabiert, wird noch heftige Debatten auslösen. Auch die Sperrung des Brandenburger Tors 2002 durch den rot-roten Senat war ein Aufreger – heute wird sie als Segen für Berlins Wahrzeichen und den Pariser Platz empfunden.

Wenn Berlin das – mit der CDU – beschlossene Ziel einer CO2-freien Stadt bis 2050 erreichen will, sind jetzt entschiedene Schritte zwingend. Der abtretende SPD-CDU-Senat hat versäumt, Radlern und dem öffentlichen Nahverkehr gerecht zu werden. Eine ökologische Stadtpolitik beginnt deshalb damit, die Nutzung des öffentlichen Raums neu zu bewerten.

Berlin wird grüner, Berlin wird sozialer, so viel steht fest – am großen Bild aber muss bis zum geplanten Ende der Verhandlungen am 16. November noch kräftig gemalt werden.

Funktionierende Bürgerämter und ein gutes Baustellenmanagement

Die anfängliche Euphorie ist bereits verflogen, bei Grünen und Linken sitzt das Misstrauen über eine dominant agierende SPD mit am Tisch. Schon jetzt verzankt man sich über Nebensächliches wie Cannabis-Freigabe und niedrigeren Hürden für Volksentscheide, über ideologische Eifereien wie der Abschaffung des Verfassungsschutzes oder versucht, den Flughafen BER noch vor dessen Eröffnung mit einer Nachtruhe von 22 bis sechs Uhr zu demolieren. Das kann noch heftig werden.

Dafür hört man über jene Themen, die Berliner täglich nerven, alarmierend wenig. Es darf nicht sein, dass über die feinen Zukunftsprojekte die Alltagsprobleme ignoriert werden. Berlin muss endlich so funktionieren, wie alle Bürger das erwarten dürfen. Die boomende Stadt benötigt funktionierende Bürgerämter, ein reibungsloses E-Government, zügige Genehmigungsverfahren, ein besseres Baustellen-Management im Straßenverkehr und Ideen, um die gegenseitige Blockade von Bezirksämtern und Senatsverwaltung aufzulösen.

Vor allem muss mehr für die öffentliche Sicherheit getan werden, als nur die polizeilichen Radler-Streifen aufzustocken. Ein Sicherheitsgefühl ist neben einer lebenswerten Umwelt ein zentraler Standortfaktor für die wachsende Stadt. Und Rot-Rot-Grün darf die Wirtschaft nicht vergessen. Die positive Entwicklung mit vielen neuen Unternehmen und sinkender Arbeitslosigkeit ist längst noch kein Selbstläufer.

Signal an den Bund

Erst wenn die Pläne durch das Nadelöhr der Finanzierbarkeit müssen, wird sich zeigen, was sich Rot-Rot-Grün leisten kann. Es ist schlechte Regie, Fachpolitiker wochenlang Wünsch-dir-was spielen zu lassen, ohne die Kosten zu beachten – von Personalplänen bis zur Mietensubventionierung. So werden Erwartungen gesät und Frust geerntet. Manche Herzenswünsche von SPD, Linken und Grünen werden im Papierkorb landen.

„Gutes Regieren“ hat Rot-Rot-Grün als Motto für ihre Arbeit ausgegeben. Ein Versprechen. Wie das geht, ohne Zank und mit ruhiger Hand, muss das Senats-Trio beweisen. Die Partner stehen unter verschärfter Beobachtung: Klappt es in Berlin nicht, darf das Projekt auch für den Bund als gescheitert gelten. Und angesichts einer starken AfD im Abgeordnetenhaus muss der neue Senat durch gutes Regieren dazu beitragen, dass die rechten Populisten nicht weiteren Zulauf durch unzufriedene Berliner erhalten.

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