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Anwohner des Neuköllner Weichselplatzes trugen am Dienstag ihren Protest gegen Mietsteigerung und Gentrifizierung ins Rote Rathaus.

© dpa

Koalitionsverhandlungen: Wohnungspolitik ist brisantes Thema

Rot-Schwarz ist sich über die künftige Wohnungspolitik weiter uneins. Vier Beispiele, wie sich die Mieten extrem verteuern können.

Nach zwei Stunden war es vorbei: Da unterbrach die „große Runde“ um Klaus Wowereit und Frank Henkel ihre Koalitionsverhandlungen zu den Themen Stadtentwicklung und Verkehr. „Mitten in der Diskussion, weil das Zeitbudget verbraucht war“, sagte Christian Gaebler (SPD). Bernd Krömer (CDU) sekundierte: „Das war von vornherein so angelegt.“ An diesem Mittwoch verhandeln sie weiter. Solange geloben sie zu schweigen – in überraschend konsequenter Harmonie steuern sie das gemeinsame Ziel der großen, rot-schwarzen Koalition an.

Störungen gibt es allenfalls von draußen, vom Volk: Ein Bündnis von parteilich nicht gebundenen Initiativen überreichte den Koalitionären in spe ihr „mietenpolitisches Dossier“ mit drastischen Beispielen dafür, wie sich die Lage am Wohnungsmarkt verschärft. Die Mietenpolitik zählt, wie berichtet, zu den offenen Punkten der Arbeitsgruppe: Soll die Umwandlung von Wohnungen in hotelartige Herbergen verboten werden? Wie stark sollen landeseigene Wohnungsbaugesellschaften vom Senat zur Bekämpfung der Wohnungsnot eingesetzt werden, wie die SPD es will? Braucht es erneut einen subventionierten Wohnungsneubau, wie die CDU es fordert?

Allein im vergangenen Jahr registrierte das Statistische Landesamt mehr als 450.000 Umzüge in der Stadt. Bei jedem Wohnungswechsel drohen Mieterhöhungen. Das ist nicht der einzige Grund für den steigenden Druck am Wohnungsmarkt. Hier einige Beispiele.

Förderstopp=Mietendruck. Beispiel Kottbusser Tor. Die südlich von der Bahntrasse gelegenen Hochhäuser sind subventionierte Sozialbauten. Die Förderungen werden aber schrittweise abgebaut und durch Mieterhöhungen ausgeglichen: 13 Cent pro Quadratmeter sind es jährlich. Unter den Bewohnern der Kreuzberger Sozialbauten sind viele Migranten im Rentenalter. Deren Bezüge sind unterdurchschnittlich, weil sie nicht durchgehend sozialversicherungspflichtige Arbeit hatten. Auch für sie wurden die 150 000 Sozialwohnungen einmal gebaut. Doch trotz der Subventionen liegen deren Mieten mit 5,40 Euro pro Quadratmeter über dem Durchschnittswert im Mietspiegel. Wer wenig Geld hat, kann sich die kaum leisten.

Verkauft und verdrängt. Die Willibald-Alexis-Straße liegt in „Kreuzberg 61“. Im westlichen Teil des Quartiers, rund um die Bergmannstraße, liegt auch der Chamissoplatz: mit Restaurants, Cafés und einem Marktplatz, eingefasst von hübsch erhaltenen Bauten der Gründerzeit. Das ist ein beliebter, ein begehrter Kiez. Die landeseigene Gewobag verkaufte dort ein Wohnhaus im Jahr 2004 an einen privaten Investor, der es sechs Jahre später doppelt so teuer weiterverkaufte. Der neue Eigentümer teilt das Haus nun auf und bietet die Wohnungen einzeln zum Verkauf an. Das rechnet sich. Aber die Mieter sind im Wege und werden mit Zahlungen oder Drohungen verdrängt. Kein Einzelfall: Im vergangenen Jahr wurden über 1500 Mehrfamilienhäuser verkauft, 21 Prozent mehr als im Vorjahr. Noch stärker legte die Zahl der verkauften Wohnungen zu: 30 000 binnen zwei Jahren.

Sanieren und kassieren. Die Sanierung von Miethäusern ist bei Investoren beliebt: Denn das Geld dafür gibt es als billigen Kredit von der KfW-Bank. Auch bringen die Investitionen Steuervorteile. Zudem können die Kosten der Sanierung häppchenweise auf die Mieten umgelegt werden. Im Komplex Fuldastraße / Ecke Weichselplatz sollen Mieter fast doppelt so viel Miete (plus 89 Prozent) für ihre Wohnung bezahlen, wenn sie saniert ist. Leisten können sich das die wenigsten.

Von der Sanierungswelle werden knapp 100 ehemals besetzte Häuser mit rund 2000 Wohnungen im Ostteil der Stadt nach Angaben der Initiative Schritt für Schritt erfasst. Dadurch geht oft auch ein Stück Kiezkultur zugrunde: Die Brunnenstraße 183 und die Liebigstraße 14 mit ihren linken Wohnprojekten, die Kastanienallee 85, Sitz der schwulen-WG „Tuntenhaus“ und des „Umsonstladens“.

Kahlschlag, der sich rechnet. Weil die Mieten im Zentrum rasant steigen, rechnet es sich wieder, Altbauten abzureißen und durch Neubauten zu ersetzen. Am Barbarossaplatz allemal, denn der liegt im angesagten Teil des Stadtteils Schöneberg, Hier steht ein Haus, das im Jahr 1964 aus Steuermitteln errichtet wurde, und 107 Wohnungen mit ein bis drei Zimmern bietet. Zeitgemäß sind die kleinen Wohnungen mit den niedrigen Decken nicht mehr – aber dafür günstig und deshalb ein Refugium für Haushalte mit kleinen Einkommen: Rentner, Alleinerziehende, Studenten, Minijobber. Der Baukonzern Hochtief will das ändern, den Altbau abreißen, und eine neue Immobilie an dessen Stelle errichten. Die Wohnungen in dem Neubau sollen für 3500 Euro pro Quadratmeter verkauft werden. Das ist unerschwinglich für die meisten Mieter des Altbaus. In den vergangenen drei Jahren wurden rund 1000 Wohnungen und 150 Wohnhäuser abgerissen. Eine Genehmigung für den Abriss bedarf es nicht. Am Barbarossaplatz sind weitere Abrisse im Gespräch, auch in der Belforter Straße (Prenzlauer Berg) und der Brunnenstraße Ecke Invaliden (Mitte).

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