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Berlin: Königliche Porzellan Manufaktur: Der Lohn der edlen Tat: das Herz einer Sächsin

Seine Majestät war irritiert: "Woher kommen denn alle diese Bankrotte?" Eine beispiellose Finanzkrise erschütterte im Spätsommer 1763 das Reich Friedrichs II.

Seine Majestät war irritiert: "Woher kommen denn alle diese Bankrotte?" Eine beispiellose Finanzkrise erschütterte im Spätsommer 1763 das Reich Friedrichs II., gerade in Berlin häuften sich die Firmenzusammenbrüche. "Die verwünschten Wechselbriefe! Wenn zu den 16 Banquerouten, die sich schon geäußert haben, noch 16 hinzukommen, so ist der 33. ganz gewiss Ihr Freund Moses Mendelssohn", klagte derselbe am 10. August seinem Freund Nicolai.

Der Siebenjährige Krieg hatte in der preußischen Wirtschaft ein Scheinblüte ausgelöst, gegründet auf ein europaweites Gespinst fragwürdiger Wechselkredite. Dem Bankrott des Amsterdamer Bankhauses de Neufville Ende Juli 1763 folgte eine Kettenreaktion, ein Schwarzes Loch tat sich auf, in dem immer mehr Firmen verschwanden - es sei denn, der König hatte ein Auge darauf geworfen wie im Fall der KPM.

Die war damals noch nicht königlich, sondern Eigentum Johann Ernst Gotzkowskys, der als Bankier, Kaufmann, Unternehmer und Berater mit dem König engste Beziehungen unterhielt, nun aber, trotz - oder vielleicht gerade wegen - seiner exponierten Lage im Strudel der Depression unterzugehen drohte. Schon Anfang August hatte Gotzkowsky den König um zweimonatigen Wechselaufschub gebeten, doch als dieser endlich gewährt wurde, war es schon zu spät und Gotzkowskys Imperium nicht zu retten - wovon Friedrich letztlich profitierte: Er sagte dem angeschlagenen Wirtschaftsmann 500 000 Taler zu, teils nur als Darlehen, teils aber als Kaufpreis für die von Gotzkowsky betriebene Porzellanfabrik, die damit zur Königlichen wurde. Geholfen hat es dem Vorbesitzer nicht mehr viel.

Eine weitgehend vergessene Geschichte, gut aufgehoben in Archiven und dem professionellen Gedächtnis der Firmen-, Stadt- und Staatshistoriker, nicht jedoch im kollektiven der Berliner. Gewiss, eine Straße und eine Brücke in Moabit sind nach Gotzkowsky benannt, schließlich hatte er 1760 Berlin bei einer russisch-österreichischen Besetzung mit hohen Kontributionszahlungen ausgeholfen, galt seitdem als der "patriotische Kaufmann". Aber man frage auf den Straßen lieber nicht nach, wer denn dieser Gotzkowsky gewesen sein könnte.

Immerhin, der so tragisch gescheiterte Tausendsassa hat Spuren an einer Stelle hinterlassen, wo man sie wirklich nicht vermuten würde und wodurch er sich nachträglich qualifiziert hat, einer Quizshow jederzeit die Millionenfrage zu liefern: An welchen Tag genau spielt Gotthold Ephraim Lessings "Minna von Barnhelm"? Sie grübeln, müssen blättern, Freunde anrufen? Nun, es ist der 22. August 1763, gewissermaßen der Schwarze Freitag der preußischen Finanzkrise, der aber auf einen Montag fiel. An diesem Tag rief Friedrich die "Immediate Wechsel-Kommission" ins Leben, ein Sondergericht für die vertrackten Wechselbankrotte, deren Herkunft er sich einfach nicht zu erklären wusste.

Das Datum wird im Stück ausdrücklich genannt. Im Manuskript lässt sich nachverfolgen, dass Lessing die Handlung erst einen Monat später ansiedeln wollte, doch er entschied sich um, betonte auch, das Stück sei "verfertiget im Jahre 1763". Damit hat er gemogelt, schrieb er doch noch im Folgejahr, er "brenne vor Begierde, die letzte Hand an meine Minna von Barnhelm zu legen".

Das Lustspiel an einem historischen Datum spielen zu lassen, war Lessing also wichtig, und Zeitgenossen haben das zweifellos verstanden, zumal der Text vor Anspielungen auf die Krise von 1763 nur so wimmelt. "Ich habe keinen Heller bares Geld mehr, ich weiß auch keines aufzutreiben" - Major von Tellheims Klage war allgegenwärtig. Und selbst die Titelheldin, nach damaligen Rollenbild kaum Finanzexpertin, ist sich bewusst: "Bei dem oder jenem Banquier werden einige Kapitale jetzt mit schwinden."

Lessing hat die Parallelen aber noch enger gezogen: Tellheim meint sich entehrt und glaubt, seiner Minna nicht würdig zu sein. Ehemals beauftragt, Kontributionen bei sächsischen Ständen und Städten einzutreiben, hatte er aus Mitleid die fehlende Summe selbst vorgeschossen und Wechsel erhalten, deren Rechtmäßigkeit die Militärverwaltung anzweifelte. Ähnlich, nur in größerem Maßstab, stand Gotzkowsky der Stadt Leipzig während der preußischen Besetzung bei. 1760 hatte Friedrich dort sein Hauptquartier aufgeschlagen, forderte 1,1 Millionen Taler Kontributionen, konnte dies aber trotz Sanktionen wie der Inhaftierung der Stadtoberen und der reichsten Kaufleute nicht durchsetzen. Gotzkowsky kam beiden zu Hilfe, handelte 300 000 Taler herunter, streckte den Rest vor - und hat dann später an Kursgewinnen kräftig verdient. Tellheim war nicht so geschäftstüchtig, aber immerhin: Anders als Gotzkowsky gewann er mit seiner edlen Tat das Herz der schönen Sächsin Minna.

Die Behörden hatten all diese Anspielungen wohl verstanden. Der Uraufführung am 22. April 1767 in Hamburg ging ein wochenlanges Gezerre zwischen Lessing, den Berliner und den Hamburger Behörden voraus. In Berlin selbst, Ort der Handlung, kam das Stück erst 1768 zur Aufführung. Da war Gotzkowsky bereits endgültig pleite.

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