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Berlin: Königliche Porzellan Manufaktur: Im Zeichen des Zepters

Die Fotos an den Wänden gewähren Blicke in edle Hotel-Lobbys und teure Restaurants. Die Wirklichkeit drumherum ist ernüchternd: Die Königliche Porzellan Manufaktur, kurz KPM, ist in einem schäbigen 50er-Jahre-Komplex untergebracht.

Die Fotos an den Wänden gewähren Blicke in edle Hotel-Lobbys und teure Restaurants. Die Wirklichkeit drumherum ist ernüchternd: Die Königliche Porzellan Manufaktur, kurz KPM, ist in einem schäbigen 50er-Jahre-Komplex untergebracht. Auf dem Boden der Büros wellt sich brauner Teppich, in den Treppenhäusern dominiert Linoleum-Grau.

Dem Unternehmen an der Wegelystraße 1, direkt am S-Bahnhof Tiergarten, geht es nicht gut in seinem 238. Jahr. Trotzdem feiert die Manufaktur, traditionsverbunden, pflichtbewusst und zäh wie alle "alten Tanten", gleich drei Jubiläen: 300 Jahre Preußen, 250 Jahre Porzellanherstellung in Berlin, 30 Jahre historische Porzellan-Sammlung im Belvedere am Schloss Charlottenburg. Zur Feier gibt es sogar eine Art Ehrenkollektion: auf einem urnenähnlichen Gefäß das Porträt Friedrichs I. Man könnte Bonbons hineintun, wenn einem das 12 000 Mark wert ist. Ein weiterer Friedrich prangt auf Medaillons, das Stück zu 70 Mark.

Es ist Freitagmittag, die 237 Mitarbeiter sind schon auf dem Heimweg. Sie sollen den Putzkräften nicht im Weg stehen, die vor dem Wochenende die verschlammten Säle reinigen. "Porzellanherstellung ist ein dreckiges Geschäft", Stephan Müller lächelt. Wegen seiner umfassenden Geschichtskenntnisse wird er auch "das historische Gewissen von KPM" genannt, offiziell ist Müller für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Auf einem Rundgang über das Gelände erzählt er, wie es bestellt ist um die KPM im Jubiläumsjahr. Über den Hof geht es hinein in die feucht-warmen Produktionshallen. Nur bei fast schon tropischen Temperaturen bleibt die Porzellan-Grundmasse aus Feldspat, Kaolin und Quarz geschmeidig.

Im Vorraum guckt von einem Stromkasten ein Bismarck-Kopf herunter auf Dutzende Rollwagen mit reinweißen Tellern. Müller nimmt einen und zerdeppert ihn mit kindlicher Freude - Schreck! "Alles Müll", beruhigt Müller und zeigt einen minikleinen schwarzen Punkt in der Lasur. So was darf nicht unter die Leute. Höchstens in die Teeküche der Angestellten, die somit wie König Juan Carlos von Spanien oder der Sultan von Brunei im Zeichen des Zepters speisen.

Wir schauen uns im Keller um, wo sich Gänge aus allen Bauperioden kreuzen: die Zeit um 1870, um 1950 und 1990. Müller stoppt etwa im Jahr 1873 und öffnet eine schwere Holztür. Das Gewölbe dahinter ist von Nebelschwaden erfüllt. Hier "maukt" die Rohmasse ein halbes Jahr, bevor sie verwendet wird. Nur ein paar Schritte sind es von hier aus in den Altbau, der in der Nacht des 22. November 1943 von Bomben getroffen wurde. Noch immer ist er halbzerfallen, Spinnweben und Dreck verdüstern das Licht, das durch Öfnungen im Backsteingemäuser sickert. Überreste aus der Urgeschichte der Berliner Porzellanherstellung? Nein. Denn die begann 1751 an der Friedrichstraße, erzählt Stephan Müller.

Friedrich II. persönlich hatte dem Textil-Industriellen Wilhelm Caspar Wegely das Porzellan-Privileg verliehen. Doch bereits 1757 machte Wegely bankrott, der König, Hauptabnehmer der offenbar noch nicht sehr edlen Ware, hatte die Produkte nur "ganz gut" gefunden. Auch hatte im Vorjahr der Siebenjährige Krieg begonnen, des Königs Kasse für Luxus war leer.

Vier Jahre nach Wegelys Pleite wagte der Geschäftsmann Johann Ernst Gotzkowsky den zweiten Versuch, die Porzellan-Herstellung in Berlin heimisch zu machen. Gotzkowsky, eine Mischung aus waghalsigem Spekulanten und kaufmännischem Genie, kaufte Anfang 1761 Gelände an der Leipziger Straße. Dort sollte die Manufaktur mehr als 100 Jahre bleiben. Gotzkowsky aber überstand nicht einmal zwei Jahre. Die Experten, die er eingestellt hatte, waren kaum zu bezahlen. Er spekulierte mit inflationärem Kriegsgeld - und verlor.

Nun erst begann die Erfolgsgeschichte der Porzellan-Manufaktur. Friedrich II. kaufte sie 1763 für 225 000 Reichstaler. Ab sofort trug die Ware auf der Unterseite das Zepter aus dem Kurbrandenburgischen Wappen. KPM wurde zum Musterbetrieb: überdurchschnittliches Einkommen, Versorgung für Kranke, Witwen und Waisen. Friedrich II. selbst war einer der treuesten Kunden - bis zu seinem Tod 1786 bestellte er KPM-Porzellan im Wert von 200 000 Talern - und bezahlte gewissenhaft aus eigener Tasche. 1784 hatte er verlangt, sein Lieblingsservice "Neuzierat" in einem zarten Blau zu dekorieren. Es entstand das "Bleu mourant", das sich der Berliner mit seiner Schnauze schnell zu eigen machte: Hat er ein Gefühl im Bauch, so sterbensmüde wie dieses Blau, so ist ihm "blümerant" zumute. 1873 zog die Manufaktur an den Rand des Tiergartens, als an der Leipziger Straße der Bau des preußischen Landtages geplant wurde.

Nachdenklich blickt sich Müller in den Ruinen um, während er die Geschichte der KPM erzählt. Fast beschwörend rühmt er ihre besonderen Qualitäten, lobt die 35 Porzellanmalerinnen, die alle Dekors von Hand auftragen, berichtet von prominenten Künstlern, die KPM-Designs entwarfen, wie Johann Gottfried Schadow, Trude Petri, Maguerite Friedlaender oder Enzo Mari. Müller möchte die Misere gerne wegreden.

Seit Jahren arbeitet KPM defizitär. "Die Belegschaft hat sich seit 1991 halbiert", räumt Müller ein. Was unter anderem daran liege, dass Porzellanherstellung "nirgendwo so teuer wie in Deutschland" ist. "Ein Kilo kostet hier 360 Mark. In Tschechien aber nur 65 Mark. Und in China nur 3,60 Mark." Im Juli 2000 mochte Berlin als Gesellschafter sich das Zuschuss-Unternehmen nicht länger leisten und verkaufte an die Investitionsbank Berlin (IBB). Die will nun den Traditionsbetrieb in fünf Jahren in eine Zukunft der schwarze Zahlen führen.

Gerade der spinnwebige Altbau aus Backstein und gelben Geltower Ziegeln, in dem Müller so lange stehen blieb, ist ein wichtiger Baustein dieser Zukunft. Während rundum die hypermoderne "Spreestadt Charlottenburg" entsteht, will sich auch die KPM erneuern: Das alte Gemäuer wird restauriert und in ein Besucherzentrum umgewandelt. Müller freut sich, dass die Öfen, die früher für den siebentägigen Porzellanbrand zugemauert wurden, bald wie neu aussehen. Auch der muffige 50er-Jahre-Bau kommt weg. Ein Teil des Neubaus ist schon zu sehen: Viel Blau, viel Stahl, noch mehr Glas. Wie üblich in der schönen neuen Welt.

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