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Ehrhart Körting (SPD) ist seit dem Jahr 2001 der Berliner Senator für Inneres.

© Thilo Rückeis

Körting im Interview: "Das ist leider noch nicht das Ende"

Er bewundert die New Yorker und Norweger, die nach den Anschlägen sagten: Jetzt erst recht Demokratie. Wie Innensenator Ehrhart Körting (SPD) die jüngsten Festnahmen und die Sicherheitslage seit dem 11. September 2001 beurteilt

Von Frank Jansen

Herr Körting, ist Berlin mit der Festnahme der beiden Islamisten am Donnerstag nur knapp einem Anschlag entgangen?

Was die Männer geplant haben, wissen wir bislang nicht. Es gibt auch keine Hinweise auf eine Verbindung zu international agierenden Terrororganisationen wie zum Beispiel Al Qaida. Doch die Sicherheitsbehörden hatten die Männer schon lange im Visier. Es gab Anhaltspunkte, dass sie sich für Anleitungen zur Herstellung von Spreng- und Brandvorrichtungen interessieren. Am Donnerstag war der Zeitpunkt für den Polizeieinsatz gekommen. Die Maßnahmen zeigen, dass die Sicherheitsbehörden gut vernetzt sind und eine Gefahrenlage frühzeitig erkannt wird. Gerade auch, weil wir uns am Sonntag daran erinnern, was vor zehn Jahren am 11.September in den USA geschah, ist es wichtig, dass die Bevölkerung sich darauf verlassen kann: die Sicherheitsbehörden sind wachsam.

Welche Erinnerung haben Sie an den 11. September 2001?

Ich war im Büro, da kam eine Mitarbeiterin hereingestürzt. Sie sagte, es habe ein schreckliches Flugzeugunglück in New York gegeben. Dann habe ich den Fernseher angestellt – und mitbekommen, wie auch in den zweiten Turm des World Trade Centers eine Maschine flog. Und wie die Türme dann einstürzten. Ich war fassungslos.

Wann war Ihnen klar, dass es sich um einen Terrorangriff handelt?

Als das zweite Flugzeug das World Trade Center traf. Relativ schnell wurde ja ein Bezug gesehen zu den schweren Anschlägen, die Al Qaida im August 1998 auf die amerikanischen Botschaften in Kenia und Tansania verübt hatte. Ich habe überlegt, was müssen wir jetzt zur Sicherheit tun. Das hat die Empörung über die Angriffe auf New York und das Pentagon in Washington in den Hintergrund gedrängt. Wir mussten mit nüchternem Kopf arbeiten.

Was haben Sie veranlasst?

Es gab sofort Dienstbesprechungen mit der Polizei und dem Verfassungsschutz. Wir konnten nicht ausschließen, dass weitere Anschläge kommen würden, womöglich auch auf symbolträchtige Ziele in Deutschland. Ich wollte wissen: Gibt es irgendetwas in Berlin, das auf eine solche Gefahr hindeutet? Polizei und Verfassungsschutz schauten sich alles an, aber es gab keine Hinweise.

In der Al-Nur-Moschee in Neukölln sollen Islamisten am 11. September gejubelt haben….

Solche Szenen gab es nicht nur in bestimmten Moscheen, sondern vereinzelt auch auf der Straße, nicht nur in Berlin. Das waren Menschen, die in ihrem Wahn gedacht haben, endlich trifft es die Amerikaner. Ich war empört, dass sich Menschen so verbiegen können, den Mord an anderen Menschen zu feiern. Wir haben dann im Rahmen der Terrorismusbekämpfung einige Moscheen stärker beobachtet und was einige Imame so predigen. Da gab es nicht nur Antiamerikanismus, sondern Hass auf die ganze westliche Lebensart. In den Jahren nach 9/11 habe ich dann die Ausweisung von zwei Predigern verfügt.

"Die Terrorgefahr ist für Berlin und für Deutschland insgesamt größer geworden." Warum, lesen Sie auf Seite zwei.

Was kann Berlin von New York lernen – und von Städten wie Istanbul, Madrid und London, die auch von verheerenden Anschlägen getroffen wurden?

Ich würde heute erstmal fragen: Was kann Berlin von Oslo und von Norwegen überhaupt lernen? Ich war nach dem Massaker, das Anders Breivik angerichtet hat, zutiefst beeindruckt von der Reaktion der Norweger: jetzt erst recht Demokratie. Das war für mich die zentrale Botschaft. Die Norweger wollten sich ihre offene Gesellschaft nicht vom Terror kaputt machen lassen. Und so war es auch in den USA. Die Amerikaner haben nach 9/11 keinen Zweifel daran gelassen: Terroristen können nicht den american way of life zerstören. Das ist vielleicht auch der Unterschied zu Deutschland. Hier ist man nach einem Unglück schnell dabei, auf die öffentliche Verwaltung zu gucken, was könnte die falsch gemacht haben. Aber eine freie Gesellschaft muss mit Risiken leben. Freiheit darf nicht Sicherheit untergeordnet werden. Die vom damaligen Bundesinnenminister Otto Schily und seinen Nachfolgern geschnürten Sicherheitspakete haben die Balance von Freiheit und Sicherheit gewahrt. Bei unseren britischen Freunden hingegen bin ich mir nicht so sicher, ob die Balance gelungen ist. Die enorme Videoüberwachung in London ist nicht die Welt, in der ich leben möchte.

Zehn Jahre nach 9/11: Wie groß ist die Terrorgefahr für Berlin heute?

Die Zeit ist längst vorbei, als sich Al Qaida vor allem auf die USA konzentriert hat, den sogenannten großen Satan. Die Terrorgefahr ist für Berlin und für Deutschland insgesamt größer geworden. Das zeigen auch die Ermittlungen gegen die zwei Männer, deren Wohnungen am Donnerstag von der Polizei in Neukölln und Kreuzberg durchsucht wurden. Beide sollen sich für Chemikalien und anderes Material für Sprengsätze interessiert haben. Spätestens seit den Anschlagsplänen des Tunesiers Ihsan Garnaoui, der zum Beginn des Irakkrieges im März 2003 amerikanische und jüdische Einrichtungen in Berlin angreifen wollte, ist klar: Alles, was mit westlicher Lebensweise verbunden ist, halten Leute, die Religion für ihren Wahn missbrauchen, für ein Anschlagsziel. Das hat sich auch noch verstärkt. Die Gefahr geht nicht nur von Al Qaida aus, sondern auch von Leuten, die über das Internet Teile der Ideologie von Al Qaida verinnerlicht haben und auf eigene Faust zuschlagen wollen.

Im Vergleich zu anderen deutschen Großstädten sind auch viele Islamisten aus Berlin ins afghanisch-pakistanische Grenzgebiet gereist, um am Dschihad teilzunehmen. Die mit den Taliban verbündete Gruppierung „Deutsche Taliban Mudschahedin“ wird sogar von einem Berliner geführt. Warum braut sich in Berlin so viel frommer Wahnsinn zusammen?

Es gibt hier eine Szene von politisch orientierten Salafisten, die mir Sorge bereitet. Das sind Leute, die ihr mittelalterliches Weltbild auf die Stadt projizieren wollen. Außerdem sind sie ein Durchlauferhitzer für Muslime, die sich so stark radikalisieren, dass sie in den Heiligen Krieg ziehen, insbesondere nach Pakistan und Afghanistan sowie in den Kaukasus, nach Tschetschenien, Dagestan, Inguschetien. Etwa zwei Dutzend Dschihadisten aus Berlin haben solche Reisen unternommen oder sie zumindest geplant.

Lesen Sie weiter über freundliche Fundamentalisten und Berliner Problem-Moscheen.

Welche Gefahr geht von den Dschihadisten aus, die nach Berlin zurückgekehrt sind?

Es sind nur wenige. Und bei einigen gab es eine erstaunliche Entwicklung: Sie sind desillusioniert. Sie haben in Wasiristan oder in Tschetschenien festgestellt, dass es mit ihrem Menschenbild nicht vereinbar ist, für Gott zu streiten und dafür Menschen zu töten. Diese Leute wenden sich vom Dschihadismus ab. Dennoch müssen wir sie weiter im Auge behalten.

Aber über das Internet und in radikalen Moscheen werden weitere Dschihadisten produziert.

Auch da ist in Berlin eine erfreuliche Tendenz zu erkennen. Fast alle Moscheen haben Dschihadisten rausgeworfen.

Werden diese Leute selbst radikalen Predigern unheimlich?

Auch Fundamentalisten begreifen, dass Muslime, die zu Gewalt neigen, den fundamentalistischen Zielen abträglich sind. Ich habe selbst mit Fundamentalisten gesprochen, die das Töten von Menschen strikt ablehnen. Diese Fundamentalisten wollen Mitstreiter für ihre Ideen gewinnen. Da ist es negativ, wenn Menschen durch dschihadistische Propaganda abgeschreckt werden. Das habe ich auch bei einem Gespräch in der Al-Nur-Moschee gemerkt. Als ich dort gesprochen habe, gab es zwar auch unfreundliche Gesichter, aber die meisten Leute haben applaudiert.

Es gibt aber auch in Wedding die As-Sahaba-Moschee, die von Salafisten dominiert wird und als Sicherheitsrisiko gilt. Warum verbieten Sie nicht diesen Moscheeverein, so wie es Hamburg mit dem Verein der Taiba-Moschee gemacht hat, in der einst Mohammed Atta radikalisiert wurde?

Über Verbote spricht man nicht, man macht sie – oder auch nicht. Sie können mir glauben: Wird eine Moschee als Rekrutierungsort für Dschihadisten genutzt, werde ich zuschlagen.

Sind Sie jetzt vorsichtiger wegen der heftigen Kritik, die Sie vor fünf Jahren im Fall der abgesetzten Mozart-Oper Idomeneo einstecken mussten? Damals haben Sie die Deutsche Oper zur Absage gedrängt, weil in der Inszenierung einer Mohammed-Puppe der Kopf abgeschlagen wird.

Ich habe die Intendantin gefragt, ob der Zeitpunkt für diese Inszenierung richtig ist. Einige Monate zuvor hatte die Veröffentlichung der dänischen Mohammed-Karikaturen zu schweren Krawallen in muslimischen Ländern geführt. Aber ich gebe zu: Es war richtig, dass die Aufführung dann doch stattgefunden hat. Man darf nicht wegen der Terrorgefahr vorbeugend die Schere im Kopf ansetzen.

Auf der nächsten Seite geht es um die Radikalisierung junger Muslime, zum Beispiel durch Hass-Rapper.

Als im November 2010 der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière öffentlich vor Anschlägen warnte, haben Sie ebenfalls reichlich Kritik auf sich gezogen. Sie mahnten die Bevölkerung, verdächtige Personen zu melden, wenn diese sich nie blicken lassen und nur Arabisch oder eine Fremdsprache sprechen, die Deutsche nicht verstehen.

Da habe ich eine an sich notwendige Warnung verkürzt und falsch rübergebracht. Das bedaure ich. In der Sache ging es angesichts der Gefahr, dass eingeschleuste Terroristen aktiv werden, um eine Bitte an die Bevölkerung, besondere Auffälligkeiten zu melden. Wenn zum Beispiel irgendwo drei Leute einziehen und Nachbarn beobachten, wie sie mit Waffen hantieren.

Das würde kein Terrorist auffällig tun.

Das mag ja sein. Aber es gab konkrete Hinweise auf drei Personen, die angeblich nach Deutschland eingeschleust werden sollten, um hier Anschläge zu begehen. Die Bitte an die Bevölkerung um Mithilfe war richtig, die Ausdrucksweise nicht.

Einer der härtesten Einpeitscher kommt aus Berlin, der Mann, der sich in seiner Rapper-Karriere Deso Dogg nannte und heute als Abou Maleeq dschihadistische Kampflieder singt. Warum wird er nicht aus dem Verkehr gezogen?

Ich halte den Ex-Rapper Deso Dogg für gefährlicher als manchen Imam, weil er junge Leute auf einer emotionalen Ebene anspricht. Er verbreitet, die wahre Erfüllung im Leben eines Muslim sei der Märtyrertod. Das erinnert mich an rechtsextremistische Liedtexte, die Jugendliche so aufputschen, dass die dann Ausländer schlagen. Die Texte des Ex-Rappers bewegen sich hart an der Grenze zur strafbaren Gewaltverherrlichung, vielleicht auch darüber hinaus.

Sie selbst versuchen, durch Besuche in islamistischen Vereinen der Radikalisierung junger Muslime entgegenzuwirken. Was hat das gebracht?

Ich bin bereit mit allen zu sprechen, die glaubhaft Gewalt ablehnen….

…da können Ihnen die Leute doch viel erzählen.

Vor solchen Besuchen lasse ich mich vom Verfassungsschutz umfassend informieren. Natürlich kann ich nicht ausschließen, dass Gläubige, auf die ich treffe, dunkle Gedanken haben. Aber ich will auch in einem konservativen oder eher dem Fundamentalismus zugeneigten Gebetshaus den Menschen unser Bild vom friedlichen und demokratischen Zusammenleben darstellen.

Zehn Jahre nach 9/11 – können Sie sich vorstellen, dass Berlin jemals ein ähnlich monströses Verbrechen trifft?

Nach den Anschlägen in New York, auf das Pentagon und dem Absturz der vierten entführten Maschine gab es auch in Europa schreckliche Angriffe. Auch wenn die Opferzahlen glücklicherweise in Madrid und London nicht so hoch waren wie in New York, ist doch eine Kontinuität zu erkennen, von den Anschlägen auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania im Jahr 1998 bis heute. Im März hat der junge Kosovare Arid U. am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten erschossen. Alle Sicherheitspolitiker und ich auch werden Ihnen sagen: Das ist leider noch nicht das Ende.

Das Interview führte Frank Jansen

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