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Berlin: Kohle aus Katar

Den Hartz-IV-Weihnachtsmann geben? Nicht Konrad und Kevin. Es tut sich eine neue Geldquelle auf – für sie und für Berlin: die Töchter eines Ölscheichs

Berlin ist arm. Die Freunde Konrad und Kevin – ein Wessi, ein Ossi – wollen das nicht bleiben. Ihr Plan: ran ans große Geld und dabei am liebsten selbst groß rauskommen. Ihre Idee: Die alten Grenzanlagen wiederbeleben und eine Berlin-Maut kassieren. Doch die Idee hatte schon ein anderer vor ihnen. Und nun?

Am nächsten Tag fiel Kevin wieder ein, dass er sich verliebt hatte.

Sie arbeitete in einem Café auf der Kastanienallee, wo sonst, und Kevin hatte natürlich auch noch kein Wort mit ihr gesprochen, außer: „Ich nehm einen Latte macchiato, bitte“, worauf sie mit „Okay“ geantwortet haben soll, was Kevin so naheging, dass er Konrad gleich am nächsten Tag in dieses Café bestellte.

Konrad war schon etwas früher gekommen, um vielleicht seinerseits schon mal alleine einen Latte macchiato zu bestellen, denn, wenn Kevin tatsächlich kein Pils bestellt, sondern einen Latte macchiato, dann muss das wirklich etwas Ernstzunehmendes gewesen sein, aber die Bedienung, die Konrads Bestellung entgegennahm, sagte überhaupt nichts, und seinen Latte macchiato schien sie auch gar nicht in Auftrag zu geben.

Auf dem Boden, zwischen seinen Beinen, stand die Tüte mit seinem Weihnachtsmannkostüm, es war noch schweißnass von seinem Einsatz im KaDeWe, wo er im Eingangsbereich einmal die Woche den Weihnachtsmann spielte für 20 Euro die Stunde, danach fuhr er meist gleich zu seinem privaten Schauspielunterricht, der Bruder seiner Tante war einmal mit Edith Clever, der großen Schauspielerin, verheiratet, und nun hatte ihm seine Tante ein Rollenstudium des Marc Anton von Shakespeare mit Edith Clever als Dozentin vermittelt, dazu wollte er noch woanders einen Kurs in Atmungslehre belegen.

Die Rolle des Weihnachtsmannes sah Konrad als zusätzliches Improvisationstraining. Die Situation ist vorgegeben, also Weihnachten, was man sich bei dem Wetter allerdings immer wieder klarmachen muss, die Anspielpartner sind laut KaDeWe-Marketing Kinder und Heranwachsende, die Requisiten Schokolade und Gutscheine, auf die dann die Eltern draufzahlen müssen, und eben das rote Kostüm sowie dieser irre Bart, unter dem Konrad total unkenntlich wurde.

Es gibt schreckliche Heranwachsende heute, findet Konrad. In der ersten Adventswoche hatte ihn einer gefragt, nachdem Konrad mit „Na, was haben wir denn da?“ Schokolade reichte, ob er auch Gutscheine für „Pac-Man World Five“ habe, damit könne man so bescheuerte Hartz-IV-Weihnachtsmänner wie ihn in 3D abballern. Konrad ist danach völlig verstört zum Rollenstudium gefahren zu Edith Clever, die ihrerseits fast anfing zu weinen, kaum noch atmen konnte und immer wieder „Pac-Man?!“, „Pac-Man?!“ ausrief, so dass Konrad einfach den Marc Anton von Shakespeare rezitierte, um sie zu beruhigen.

Der Latte macchiato war immer noch nicht gekommen. Typisch, dachte Konrad, in Charlottenburg setzt man sich in ein Café, bestellt und höchstens fünf Minuten später hat man sein Getränk, nur in diesen szenigen Cafés geht das nicht. Wenn du hier zum ersten Mal bist, musst du dich erst mal bei der Bedienung um deinen Latte macchiato bewerben, und die muss dir auch ganz klar zeigen, dass sie hier zwar bedient, aber dass das noch lange nicht heißt, dass sie dich, Konrad, auch bedient, einen unszenigen Typen mit einer stinkenden Tüte zwischen den Beinen, aus der ein roter Zipfel herausguckt.

Kevin stürzte zur Tür herein.

„Wir müssen los! Ich habe die Frau meines Lebens kennengelernt!“, rief er schon fünf Meter vor dem Erreichen von Konrads Sitzecke quer durchs Café. „Ich hab eigentlich schon was bestellt“, sagte Konrad und starrte Kevin an, der wild vor ihm herumgestikulierte und einen Satzanfang suchte. Mein Gott, wie peinlich, dachte Konrad, er selbst mit seiner Stinktüte und dann kommt der hier rein wie dieser Filmdepp aus Kasachstan; zwei Bauern im Coolcafé, wenn wir so weitermachen, kriegen wir hier nicht mal ’n Leitungswasser.

„Wir fliegen heute Abend nach Ar Rayyan!“, rief Kevin jetzt mit voller Lautstärke. „Ab Tempelhof, Charterflug!“

„Ich würde vorschlagen“, sagte Konrad, „du setzt dich erst mal hin und ...“

„Konrad!“, unterbrach ihn Kevin, „heute morgen bei meiner SS-Tour war eine Ölscheich-Familie aus Katar dabei!“

Man muss gleich dazu sagen, dass Kevin mit „SS-Tour“ lediglich Sightseeing meint. Kevin jobbt neben seiner Warterei auf dem Arbeitsamt wegen seines so lukrativen Sozialpädagogik-Studiums schon etwas länger für „Berlin Classic-Tours“, also vom Ku’damm bis zum Potsdamer Platz und retour, sehr gute Trinkgelder, allerdings wäre es schön, dachte Konrad, wenn er „SS-Tour“ nicht auch noch durchs halbe Café brüllen würde. Dann jedoch wurden seine Gedankengänge unterbrochen, weil Kevin sich wieder erhob und mit rudernden Armen erneut von den „Frauen seines Lebens“ sprach, mittlerweile waren es mehrere. „Bitte der Reihe nach!“, bat Konrad.

Also, auf der Tour habe er eine sehr hübsche Araberin kennengelernt, unverhüllt!, die ihn bat, ihrer Familie zu erklären, warum es so wenige Tankstellen in Berlin gebe, was Kevin auch schon mal aufgefallen war, er aber unmöglich beantworten konnte. Dann zeigte sie auf ihren Vater, und Kevin erkannte sofort: Oh Gott, ein echter Ölscheich! Mit jedoch erkennbarer Westorientierung, denn er zeigte sich hocherfreut über die Bekanntschaft seiner Tochter und sagte, dass in seinem Land nur die Kundigsten dem Fremden den Reichtum zeigen dürften.

Kevin fühlte sich sehr geschmeichelt, allerdings mit dem Reichtum würde es vielleicht etwas schwieriger werden, obwohl er sich fragte, ob man es eigentlich sehen könne, dass Berlin quasi pleite ist?

Kevin setzte sich, nachdem er die Sache mit den Tankstellen bis zur Westorientierung des Scheichs, alles wieder komplett im Stehen, berichtet hatte. Dann habe er dem Scheich das Historische Museum erläutert, den Lustgarten, beim Kanzleramt habe er eine kurze Einschätzung der großen Koalition einfließen lassen und beim Roten Rathaus habe er dann erklärt, dass Berlin zwar arm, aber sexy sei, wie man hier zu sagen pflegt, dass es aber nun nach Karlsruhe darauf ankäme, Strategien zu entwickeln, wie wieder Geld nach Berlin komme.

„Very interesting!“, habe da der Scheich gesagt und dann seinerseits erklärt, dass es in Ar Rayyan in Katar genau anders herum sei, Ar Rayyan brauche kein Geld, sondern Kultur und Ideen und im Prinzip auch Sozialpädagogik, ob er nicht mit ein paar Freunden mal zu Besuch kommen wolle, gleich am Abend, Ar Rayyan brauche revolutionäre Ideen, ihm gehe diese weltfremde Ölscheich-Jugend, mit der sich seine Töchter umgeben, langsam auf die Nerven!

„Seine Töchter!“, wiederholte Kevin noch einmal mit glühenden Augen, „der hat doch bestimmt einen Harem und 17 Töchter, eine habe sogar ein Verhältnis mit Stefan Effenberg gehabt, als der vom VFL Wolfsburg nach Katar wechselte! Verstehst du, Konrad?!“, brüllte Kevin durchs Café, „die warten da alle nur auf uns!“

„In Ar Rayyan?“, fragte Konrad etwas blass. „Ja!“, entgegnete Kevin, „man kann natürlich weiterhin den Hartz -IV-Weihnachtsmann im KaDeWe geben, aber ich habe heute morgen den wirklichen Weihnachtsmann getroffen, mit seiner Tochter Elmira, wir fliegen heute ab Tempelhof nach Ar Rayyan! Entweder wir sind in einer Woche die Spindoctors der Ölscheichs oder verheiratet! Oder beides!“

„Und was ist mit der sagenhaften Kellnerin hier? Außerdem, ich meine, ich habe Dienstag Privatunterricht bei Edith Clever ...“

„Quatsch!“, rief Kevin und blätterte vier Fünfhundert-Euro-Scheine auf den Tisch. „Ich soll übrigens noch Berlinbücher kaufen und mitnehmen, um sieben klingele ich bei dir, pack dir ’nen Anzug ein, Taxe hab ich schon bestellt. Ach, und zahl bitte unsre Getränke?!“, sagte es, legte einen dieser relativ unbekannten Scheine auf den Tisch und ging.

Konrad wollte noch hinterherrufen, dass sie ja überhaupt noch keine Getränke gehabt hätten, aber Kevin saß schon in einem Taxi, vermutlich zu Dussmann.

Zuhause saß Konrad vorm Telefon und dachte, entweder Kevin ist wahnsinnig wie immer oder es ist wirklich mal Weihnachten, dann rief er im KaDeWe an und sagte für Dienstag seinen Auftritt ab, danach informierte er Edith Clever, die immer nur „Ar Rayyan?!“, „Ar Rayyan?!“ fragend durch den Hörer rief.

Vielleicht hatte sie recht, vielleicht war es wieder so eine Kevingeschichte wie mit der supertollen Bedienung und am Ende kriegt man nicht mal ’ne Latte.

Um sieben hupte unten bereits das Taxi. Kevin saß schon drin, im Anzug mit gebügeltem Hemd, ohne Jacke, die brauche man da unten nicht, sagte er. Auf seinem Schoß lagen Berlinbände, von denen Kevin die Preisschilder abzog: Brandenburger Tor, Mahnmal, Gendarmenmarkt, Bode-Museum, die Berliner Opernhäuser, das Olympiastadion. „Die Opernhäuser würde ich am liebsten gleich nach Ar Rayyan verkaufen“, bemerkte Kevin, „meine Scheichs werden begeistert sein, wenn sie in Berlin Leute haben, die für ihr Öl so schön singen. Und wenn ich an Hertha denke, die brauchen endlich mal ’nen richtigen Sponsor, sonst werden die nie was! Wer nimmt denn einen Verteidiger ernst, der einem mit ,DB’ auf der Brust hinterherläuft, kommt doch sowieso immer zu spät!“ Kevin musste über seinen eigenen Witz bis Tempelhof lachen.

Dann stiegen sie aus, liefen durch diese leeren Flughallen, fragten nach „Charterflug Ar Rayyan“ und wurden bis aufs Rollfeld geleitet zum Privatjet „Chalifa bin Raschid“.

Der Scheich stand schon da unter den Tragflächen seines Flugzeugs, daneben Elmira mit ihren Schwestern Naima, Munya, Rayya, Salma und Sahara.

Minuten später verschwand Berlin unter einem Teppich weißer Wolken.

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