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Berlin: Kohls Stunde

Der Altkanzler signierte seine „Erinnerungen“ bei Hugendubel. 60 Minuten lang standen die Berliner Schlange

Es ist fast wie bei Harry Potter. Nur, dass die Besucher bei Hugendubel an der Gedächtniskirche diesmal im Durchschnitt deutlich älter sind und weder Zauberhut noch Hexenbesen mitgebracht haben. Aber Helmut Kohl, der sich hier am Donnerstag zur Signierstunde für seine „Erinnerungen“ angesagt hatte, steht ja auch nicht im Ruf, irgendwelche magischen Geschäfte zu beherrschen. Kurz vor Beginn stehen ein paar hundert Menschen kreuz und quer durch den Laden, eine Mitarbeiterin übt sich routiniert im Wegweisen. Das Ende der Schlange, so sagt sie allen, die die Rolltreppe heraufkommen: „Wenn Sie hier hinter den Pfeiler gehen, dann ganz hinten links.“

Vier Minuten nach 16 Uhr öffnen sich die Türen der sorgsam freigehaltenen Fahrstühle, und der werdende Erfolgsautor betritt den Raum. Kurzer Beifall brandet auf. Er ist umgeben von knapp einem Dutzend Menschen, Sicherheitskräften vor allem. Vor drei Jahren hat sich der Altbundeskanzler mal eine Sahnetorte eingefangen, und das soll nun bei dieser Signiertournee durch Deutschland auf keinen Fall wieder passieren. Deshalb ist auch ein Bad in der Menge nicht vorgesehen. Kohl nimmt hinter einem Schreibtisch Platz, ein weiterer Tisch hält die Wartenden zusätzlich auf Distanz, und so bleibt es nicht aus, dass die Verlags- und Ladenmitarbeiter eine lange Kette bilden müssen und jedes Buch, das signiert werden soll, nach einer unauffälligen Vorprüfung durch Zivilbeamte von Hand zu Hand geben, bevor es auf Kohls Tisch landet und dann auf der anderen Seite wieder zu den Käufern zurückgereicht wird.

Kohl ist anfangs ein wenig knurrig, weil die Buchzufuhr glatter laufen könnte. „Hör mal, Kommando“, raunzt er seine Leute an, „das muss anders werden, wir können doch nicht jeden Tag die Erde neu erfinden.“ Dann läuft es allmählich besser, er packt den gelb- schwarzen Tintenschreiber und macht sich über die Bücher her, konzentriert mit der Zungenspitze zwischen den Lippen. „Helmut Kohl“ schreibt er knapp, Widmungen für Schnuckelchen und Hasilein kommen nicht in Frage, vorerst jedenfalls, solange die Schlange eine Schlange bleibt. Die Buchkäufer treten vor, manche haben zwei oder drei Exemplare gekauft, mancher ruft Kohl ein paar Worte zu, der reagiert freundlich, scherzt ein wenig, signiert. Die Fotoprofis rücken ab, machen Platz für Amateure, die allerhand Gerät auf den Prominenten richten, ihn mit Fotohandys und Videokameras hundertfach digitalisieren.

Dies ist der dritte Termin auf einer Tour durch acht Städte. Köln war so lala, hört man, Hamburg dagegen überfüllt, mit rund 700 Autogrammen – und also 700 verkauften Büchern – in über zwei Stunden ein großer Erfolg. Berlin scheint eher etwas zurückzubleiben. Nach knapp einer Stunde ist die Schlange verschwunden, obwohl auch die Ladenmitarbeiter selbst schon einen kleinen Vorrat signierter Bücher auf die Seite gebracht haben, und das mag etwa 300 Autogrammen entsprechen. Kohl hat sich inzwischen erweichen lassen und schreibt gut gelaunt regelrechte Widmungen. „Simmer denn durch?“ fragt er hoffnungsfroh, als es nichts mehr zu signieren gibt, doch immer wieder tröpfelt einer nach, und es zieht sich. Die Opposition hält sich verborgen an diesem Nachmittag. Nur ein einzelner Kunde hat was entdeckt: „28 Euro? Das ist zu viel Geld, und nur für den ersten Teil?“ Er hat sich lieber einen Krimi gekauft: „Der regt mich nicht so auf.“

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