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Hatice Akyün.

© Andre Rival

Kolumne "Mein Berlin": Gute Vorsätze reichen nicht

In diesem Jahr habe ich mir fest vorgenommen, alle meine guten Vorsätze umzusetzen. Damit stehe ich in Berlin offenbar nicht alleine da. Doch unsere guten Vorsätze misslingen oft - weil sie nichts Essentielles betreffen.

Heute Morgen begegneten mir auf meiner Jogging-Strecke ungefähr fünf Mal so viele Läufer wie sonst. Sie alle folgten dem Vorsatz, mehr Sport im neuen Jahr zu treiben. Den fünf Kilo zu viel auf meinen Hüften habe ich übrigens auch den finalen Kampf angesagt. Wie schon im letzten, im vorletzten und im vorvorletzten Jahr.

Ich habe mir vorgenommen, meine Freunde regelmäßiger zu sehen, mehr Zeit mit meiner Familie zu verbringen, öfter ins Kino zu gehen und meine digitalen Fotos endlich auf einer zweiten Festplatte zu sichern. All diese Vorsätze könnte ich auch am 3. April oder 16. Juni fassen. Aber warum fühle ich mich wie viele andere auch gerade zu Jahresbeginn stärker, motivierter und im festen Glauben, dass ich es diesmal schaffen werde?

Vorsätze, das klingt irgendwie nach Heimwerker, der etwas aufschraubt. Es klingt nach Küchenmaschine, die Lebensmittel grob, fein oder sehr fein zerkleinert. Und nach Gerichtssaal, in dem der Angeklagte eine Tat mit Vorsatz begangen hat. Aber heute meine ich nicht diese Vorsätze, ich meine die guten Vorsätze, die man gefasst hat, um etwas Altes neu oder zumindest anders zu machen. Dabei reicht die Selbsterkenntnis, dass man als Mensch doch eher das Scheitern bevorzugt.

Die Angst vor dem Gewinnen ist bei den meisten stärker ausgeprägt als die Angst vor dem Verlieren. Das erklärt wohl auch unser Beharrungsvermögen gegenüber Veränderungen. Unsere Selbsterkenntnis sagt uns zwar auch, dass wir an uns wachsen können und oft sogar müssen, aber das sind dann keine Vorsätze mehr, das ist die Einsicht, dass sich das Unvermeidliche verändern muss.

Während ich also darüber sinniere, warum so viele, die das Rauchen aufgeben wollen, scheitern, der fest eingeplante Theaterbesuch doch wieder ausfällt und die gesunde Ernährung spätestens beim nächsten Familienbesuch Börek und Braten weicht, wird mir klar, warum unsere guten Vorsätze so oft misslingen: weil sie nichts Essentielles betreffen. Ich meine nicht, man solle Dinge zwanghaft durchziehen, weil man es sich fest vorgenommen hat, getreu dem Motto, solange es wehtut, ist es für etwas gut. Wahrscheinlich liefen viele Dinge sogar besser, wenn man seinen eigenen Schweinehund überwinden könnte.

Aber wenn wir alle perfekt wären, wer würde es mit uns aushalten? Und was ist mit den guten Vorsätzen, die wir nicht selber brechen? Jene, bei denen andere uns daran hindern, sie umzusetzen. Gute Vorsätze reichen nicht, wenn man sich vornimmt, satt zu werden, während andere mit Spekulation die Nahrungsmittelpreise in die Höhe treiben. Es reicht nicht, sich vorzunehmen, frei zu sein, solange andere beherrschen statt zu regieren.

Und die guten Vorsätze, das Weltklima zu retten, verpuffen wortwörtlich, solange man mit der Zerstörung der Umwelt mehr Profit machen kann als mit deren Schutz. Ich plädiere deshalb für mehr Milde gegenüber den eigenen Unzulänglichkeiten, solange sie andere nicht ernsthaft berühren. Und da, wo es andere betrifft, fordere ich jene guten Vorsätze ein, die Bestand haben. Vorsätze sollten so zielgerichtet sein, dass sie auch Wirkung entfalten. Nicht nur die eigene Befindlichkeit betreffend, sondern auch dort, wo man mit kleinen Dingen etwas bewirken kann.

Oder wie mein Vater sagen würde: „Cehennemin yolu iyi niyet taslariyla döselidir“ – der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.

Die Autorin lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Berlin.

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