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Viele Berliner Schüler sprechen viel mehr als nur Deutsch.

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Kolumne "Meine Heimat": Ein Schatz in den Köpfen

Sie sprechen Italienisch, Polnisch, Türkisch, Deutsch und noch viel mehr: Unsere Kolumnistin Hatice Akyün staunt über die Sprachenvielfalt bei Berliner Schülern. Und fragt sich, warum wir das so selten als Reichtum annehmen können.

Wenn ich von der deutschen Kultur eine Sache im Übermaß angenommen habe, ist es das Misstrauen allem und jeden gegenüber. Die deutsche Mentalität, sich den Dingen nüchtern und sachlich zu stellen und stets damit zu rechnen, dass es am Ende schlimmer kommt, als es wünschenswert wäre, hilft, das Notwendige zu leisten, anstatt sich in Tagträumen zu verzetteln.

Wir Deutschen sind echt manchmal wie Kakteen in der Wüste. Robust kommen wir ohne Wasser aus, und wenn wir aufblühen, dann so selten, dass es gleich auffällt. Die Kaktee sollte unser Wappen schmücken.

Letzte Woche bin ich aufgeblüht. Ich sollte eine Rede zum Thema „Wie viel Deutsch braucht ein Berliner Schulkind“ halten. Ehrlich gesagt, empfinde ich Veranstaltungen dieser Art meist als sterbenslangweilig. Vor meinem inneren Auge sah ich Sprachstanddiagnosen, Lernkonzepte, Motivationsstrategien. Dieses Mal war es anders. Im Nebenprogramm traten Berliner Schülerinnen und Schüler auf. Sie spielten kleine Stücke. Ein Junge zeigte seinen Film, in dem er Regisseur, Hauptdarsteller, Drehbuchautor und Kameramann in einem war. Nach und nach kamen sie auf die Bühne, selbstbewusste, junge Bürger dieser Stadt, allesamt mehrsprachig.

Ein Mädchen, polnische Mutter, iranischer Vater, glasklares Deutsch, in der Schule lernt sie zusätzlich Latein. Deutsch-Italiener singen ein isländisches Lied, ein Mädchen beherrscht neben ihrer deutschen Muttersprache auch Französisch und Arabisch. Ein Junge, dessen Eltern aus Russland stammen, spricht Russisch und Deutsch perfekt, genau wie seine Mitschüler, deren Eltern aus ganz Europa und Asien zu uns gekommen sind.

Zwischen Sprachen und Kulturen

In schlafwandlerischer Sicherheit bewegen sich diese Kinder zwischen Sprachen und Kulturen. Warum können sie das? Weil sie mehr als nur einen Ursprung haben. Ich ertappte mich dabei, wie selten wir diese Vielfalt als Reichtum annehmen können. Wie oft wird der Mangel bejammert, dass sich diese Kinder der deutschen Leitkultur unterzuordnen hätten. Klar, gibt es die Kinder mit gravierenden Sprachdefiziten, aber ist uns dieser mehrsprachige Nachwuchs nicht um Lichtjahre voraus? Diese Kinder leben uns vor, dass uns mehr verbindet als trennt. Aufgeschlossene, weltoffene, tolerante Pfadfinder einer globalen Welt, die in unserem Metropolendorf Berlin zu Hause sind. Und wohlgemerkt, alles keine Elitenschüler, finanziert aus dem Geldbeutel der Eltern. Nein, sie alle sind unser Nachwuchs aus den öffentlichen Kiezschulen von Wedding, Tempelhof und Schöneberg.

Diese Kinder haben einen Schatz in ihren Köpfen. Unsere Aufgabe ist es, ihnen die Möglichkeit zur Entfaltung zu geben. Oder wie mein Vater sagen würde: „Sorma kisinin aslini, sohbetinden belli eder.“ Frage niemanden nach seiner Herkunft, er wird sie mit Erzählungen offenbaren.

Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. An dieser Stelle schreibt sie immer montags über ihre Heimat.

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