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Das Outing von Hitzlperger und anderen Sportlern, die Debatte um Lehrinhalte an Schulen: die gleichgeschlechtliche Liebe wird viel diskutiert wie seit Langem nicht.

© dpa

Kolumne "Meine Heimat": Liebe mit Verstand

Das Thema Homosexualität wurde in der letzten Zeit viel diskutiert. Und zwar so, dass man fast glauben könnte, man lebe in Sotschi, findet unsere Kolumnistin Hatice Akyün. Zwar war sie froh, dass es mal nicht um Türken geht - aber auch nicht so ganz.

Ich habe schwule Freunde. Ich habe lesbische Freundinnen. Und wer hätte das für möglich gehalten, sie sind türkisch. Was, es gibt türkische Schwule und Lesben? Ja, gibt es. Ist es nicht eigenartig, dass in einem Land, in dem das Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung grundgesetzlich gesichert ist, Homosexualität eine derartige Diskussion auslöst, dass man fast glauben könnte, man lebe in Sotschi?

Ich komme auf das Thema, weil ich die vergangenen Wochen froh war, dass einmal nicht die Türken die Schlagzeilen dominierten. Puh, mal nicht wir, sondern die Homosexuellen, dachte ich. Und plötzlich wurde mir klar, dass es gar nicht um Integration von Türken, Armutszuwanderung, Frauen oder Schwule geht. Es geht darum, auszugrenzen, Probleme weit von sich zu weisen, Schuldige einfach und eindeutig zu identifizieren und sich, weil man ja nicht dazugehört, besser zu fühlen. Und da bietet es sich praktischerweise an, gleich mehrere Auswahlmöglichkeiten zu haben.

Wäre ich jetzt neben Frau und Migrantin auch noch lesbisch, könnte man mich an Hand von drei Etiketten brandmarken. Identifizieren, problematisieren, psychologisieren, stigmatisieren und dann ausgrenzen, so sind die Spielregeln. Zu dick aufgetragen? Dann beobachten Sie Ereignisse und ihren Verlauf einfach nur mal sachlich. Die Geisterbahn der menschlichen Niedertracht läuft auf eingefahrenen Gleisen. Umso erstaunlicher, wie leicht man immer wieder darauf hereinfällt.

Eine Frage der Generationen

In Kreuzberg gibt es einen Club, der seit über einem Jahrzehnt eine ganz spezielle Party veranstaltet. Die Party nennt sich „Gayhane“, abgeleitet aus dem türkischen Wort „Meyhane“, das Wirtshaus. Die neue Wortkreation bedeutet in etwa „das schwule Haus“. Und weil die Stimmung hier super ist, alle zusammen Spaß haben, kommen auch viele Heterosexuelle zum Feiern. Meine Freundin Gül zum Beispiel ist regelmäßig hier. Als sie vor einigen Jahren ihren Eltern ihre Lebensgefährtin vorstellte, waren die sehr stolz auf ihre sittsame Tochter und erzählten den Verwandten, dass ihre Tochter einen festen Job habe, keine wechselnden Männerbekanntschaften und mit ihrer besten Freundin zusammenwohne.

Es verbindet vermutlich die erste Generation der Türken in Deutschland mit vielen Mehrheitsdeutschen, dass sie nicht wirklich damit klarkommen, dass sich Mann und Mann oder Frau und Frau lieben können. Dabei ist es ganz einfach.

Ich stelle mir einfach vor, dass ich eines Tages in einer Gesellschaft aufwache, in der Männer nur mit Männern, Frauen nur mit Frauen zusammen sind, und ich indirekt oder ganz offen gebrandmarkt werde, weil ich so abartig bin und mich für Männer interessiere. Mehrheit bedeutet nicht Wahrheit.

Entscheidung fürs Glücklichsein

Vielleicht hat das ganze Unbehagen um gleichgeschlechtliche Liebe auch etwas damit zu tun, dass es für viele schwer ist, die wirklich inneren und echten Gefühle von Menschen zu kontrollieren. Nämlich selbst zu entscheiden, was man möchte, um glücklich zu sein. Und dass man das auch anders hinkriegen kann, überfordert die Vorstellung vieler. Wenn Menschen sich lieben, beweisen sie nur, dass es etwas anderes gibt hinter der Logik der Einsen und Nullen. Und da steckt sogar für Atheisten etwas Göttliches drin. Oder wie mein Vater sagen würde: „Ask basa gelirse, akil bastan cikar.“ Wenn die Liebe kommt, geht der Verstand.

Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. An dieser Stelle schreibt sie immer montags über ihre Heimat.

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