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„Der Artikel zeigt leider, dass die Verfasserin überhaupt keine Ahnung hat.“ Mit solchen Zuschriften kann Hatice Akyün mehr anfangen als mit Lob.

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Kolumne "Meine Heimat": Lob macht mich sprachlos

Unsere Kolumnistin weiß auf freundliche Zuschriften nie so recht zu reagieren. Kritik dagegen zeigt ihr, dass sie die Leute aus der Reserve gelockt hat.

Ich kann nicht mit Lob umgehen. Mein kleines Defizit in der sozialen Interaktion hat zur Folge, dass ich auf Zuschriften, insbesondere freundliche Zuschriften, nie adäquat reagiere. Herr D. zum Beispiel schrieb mir: „Fast jedes Mal entdecke ich in Ihren Zeilen erschreckend ähnliche Gedanken und Befindlichkeiten, die mich persönlich auch beschäftigen.“ Oder Herr I.: „Gestern las ich den ,Hans’ – ein wundervolles, vergnügliches Buch mit ernstem Hintergrund ist Ihnen da gelungen. Über den hohen Unterhaltungswert hinaus habe ich etwas Neues über die Integrationsproblematik gelernt.“ Oder Frau M.: „Auch wenn ich keinerlei Berührungspunkte mit Menschen türkischer Abstammung habe, genieße ich Ihre Kolumne sehr. Sie haben einen erfrischenden Schreibstil, der mein Herz erfreut.“

Mich machen diese äußerst liebenswürdigen Zuschriften sprachlos. Wenn ich nun artig „danke“ sagen würde, klingt das für mich abgedroschen. Und um detailliert darauf einzugehen, fehlt mir die Zeit, die als Alleinerziehende und Alleinverdienende ohnehin knapp ist. Zudem hätte der schriftliche Gedankenaustausch zwischen Absender und Empfänger zur Folge, dass ich Dutzende Brieffreundschaften zu pflegen hätte. Aber mein eigentliches Problem liegt darin, dass ich grundsätzlich auf Abwehr konditioniert bin. Die Offenheit und Unbekümmertheit, etwas Nettes als das anzunehmen, was es ist, gelingt mir einfach nicht.

Widerspruch auslösen liegt mir mehr

Zuneigung, Bestätigung lösen bei mir Hilflosigkeit bis Ratlosigkeit aus. Als ich in den USA lebte, fiel mir das besonders auf. Sie sind dort ungeheuer höflich und interessiert, doch kurz bevor man ernsthaft hinterfragt, warum man selbst nicht dieses Aufeinanderzugehen gelernt hat, erkennt man glücklicherweise, dass unsere transatlantischen Freunde zwar die Rituale praktizieren, den echten Tiefgang im Umgang aber meist vermissen lassen.

Womit ich besser klarkomme, sind Zuschriften, wie die von Herrn W.: „Außer polemischen Beiträgen habe ich auch in diesem Blatt, dessen langjähriger Abonnent ich bin, noch nichts Fundiertes in dieser Sache finden können.“ Oder Herr F.: „Der Artikel zeigt leider, dass die Verfasserin überhaupt keine Ahnung hat.“ So befremdend es klingen mag: Es liegt mir mehr, Widerspruch auszulösen und Leute dazu zu bringen, Althergebrachtes zu überdenken und sie ein wenig aus der Reserve zu locken. Unter Gleichgesinnten Gleichgesinntes aufzusagen, empfinde ich als verplemperte Lebenszeit.

"Sie haben zugenommen, oder?"

Da wirkt die Unverblümtheit bis Unverschämtheit meiner türkischen Landsleute wie Balsam auf meine finstere Seele. Nach einer Lesung sagte eine Dame: „Sie haben zugenommen, oder?“ Eine andere gab mir die Telefonnummer ihres Friseurs. Und neulich gesellte sich eine Dame in Kreuzberg an meinen Tisch. Ich saß mit einer Freundin beim Essen, als sie schnurstracks auf mich zukam und sagte: „Sie sind Hatice Akyün, ich habe Sie erkannt.“ Ich wurde sofort rot, sagte ja und schaute verschämt auf meinen Teller. „Ihre Bücher“, fuhr sie fort, „habe ich nicht gelesen und ihren Film nicht gesehen. Freunde sagten mir aber,“ – und dabei rümpfte sie ihre Nase – „dass er ihnen überhaupt nicht gefallen hat.“ Sie meinte es wirklich genau so, ohne Ironie, ohne Bösartigkeit und freute sich wirklich, mich erkannt zu haben.

Aber worauf ich eigentlich hinaus will, ist, dass mich die Zuschriften sehr beglücken. Die herzlichen und wohlwollenden genauso, wie die mahnenden, belehrenden und ebenso die bitterbösen. Ein Freund schenkte mir einen Füllfederhalter. Eine Schriftstellerin benötige ein richtiges Schreibwerkzeug. Bislang habe ich ihn noch nicht benutzt. Vielleicht sollte ich jetzt damit anfangen. Oder wie mein Vater sagen würde: „Sabir acidir, meyvesi tatlidir.“ Geduld ist bitter, die Früchte umso süßer.

Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. An dieser Stelle schreibt sie immer montags über ihre Heimat.

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