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Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. Im Tagesspiegel schreibt sie einmal pro Woche über ihre Heimat.

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Kolumne "Meine Heimat": Oliven kiloweise

Ein neuer türkischer Supermarkt hat in Charlottenburg aufgemacht. Eine liebevolle, zum Verlaufen einladende Oase, findet unsere Kolumnistin Hatice Akyün und analysiert das Kaufverhalten von Türken und Deutschen.

In den Arkaden bei uns in Charlottenburg hat ein neuer Laden aufgemacht. Ein türkischer Supermarkt. Gut, das klingt nicht sonderlich sensationell, glauben doch viele, dass es vor denen in Berlin nur so wimmelt. Aber direkt in meinem West-Berliner Stadtteil, der vor Bürgerlichkeit nur so strotzt, ist das etwas Besonderes. Er ist auch nicht der übliche Krimskrams-Laden an der Ecke, sondern eine liebevolle, zum Verlaufen einladende Oase, deren Sortiment alles bietet, was den Gaumen erfreut.

Bei der Eröffnung wollte ich meine Jutetaschen mit türkischen Köstlichkeiten füllen, blieb aber gleich an der ersten Theke hängen. Dort standen Dutzende Pasten, Cremes, Dips, Käse, Oliven, eingelegtes Gemüse, gefüllte Teigtaschen und Salate. Ich stand in einer Schlange von Kunden, und die Frau, die gerade dran war, eine rot getönte Dame Anfang 50, versuchte sich in Türkisch, was wohl noch von ihrer Kappadokien-Busreise übrig geblieben war. Der junge Mann hinter der Theke schlug vor, auf die übliche Geschäftssprache Deutsch zu wechseln, weil wir in Berlin seien und nicht in Pamukkale. Und während ich überlegte, wie man die Waren den deutschen Kunden besser erklären könnte, kam ein junger Mann an die Reihe. Ab diesem Moment stand der Planet still.

Deutsche kaufen von jedem Aufstrich nur 50 Gramm

Zuerst probierte er in aller Seelenruhe vier Dips und entschied sich anschließend, von jedem Aufstrich 50 Gramm zu bestellen. Nachdem er sich dann ausführlichst über Herkunft, Reifezeit, Einlegeart und Stammbaum der Oliven erkundigt hatte, beschloss er, sich von den grünen und den schwarzen ohne Kern je 10 Stück abwiegen zu lassen.

Während man üblicherweise in gewöhnlichen Supermärkten abgepackte Lebensmittel nach festem Raster in den Einkaufswagen legt, jede Woche einen Kubikmeter Verpackung entsorgen muss, verkaufspsychologisch Lebensmittel an der Frischfleischtheke mit warmem Licht saftig und Gemüse und Obst knackig ausgeleuchtet wird, findet hier beim Türken in den Arkaden ein geradezu anarchistisches Gegenexperiment statt. Eigentlich könnte das herrlich sein, nur darauf muss man sich einlassen können. Denn Türken kaufen nicht in Gramm, sie ordern in Kilos und Kisten.

Türken kommen mit vollgepacktem Kofferraum nach Hause

Wenn meine Mutter sich von meinem Vater zum Einkaufen fahren lässt, kommt sie mit einem vollgepackten Kofferraum nach Hause. Das war bei uns schon immer so, schließlich mussten sechs hungrige Kinder ernährt werden. Warum das allerdings heute, da kein einziges Kind mehr zu Hause wohnt, immer noch so ist, erschließt sich mir nicht ganz.

Außer Gold gibt es nichts, was der Türke hundertgrammweise kaufen würde. Auch würde er niemals Wassermelonen halb und Schafskäse in Scheiben nehmen. Bei Türken gibt es keine Single-Dosengerichte; schon gar nicht verkaufen sie halbe Brote, und zweimal nicht das vom Vortag zum halben Preis.

Den jungen Mann von der Pastentheke traf ich später beim Gemüsestand wieder. Zwei Zwiebeln, eine Stange Lauch, eine grüne Paprika, eine Knoblauchzehe und fünf Zweige Blattpetersilie hörte ich ihn beim Vorbeigehen sagen. Es hätte mich wirklich nicht gewundert, wenn er noch 50 Milliliter Olivenöl bestellt hätte. Aber das gab es zum Glück der Verkäufer nur in Flaschen und Kanistern. Die Bedienung lachte, als ich die Stirn runzelte.

Hier wächst also zusammen, was zusammen kauft. Manchmal ist eine Parallelgesellschaft nicht nur von Nachteil.

Oder wie mein Vater sagen würde: „Tatli yiyelim, tatli konusalim.“ Süß lass’ uns essen, süß lass’ uns reden.

Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. An dieser Stelle schreibt sie immer montags über ihre Heimat.

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