zum Hauptinhalt
Nur ein leerer Teller. Angela Merkel und Chinas Ministerpräsident Li zu Besuch bei der KPM.

© picture alliance / dpa

Kolumne "Meine Heimat": Was Hatice Akyün und Angela Merkel gemeinsam haben

Essgewohnheiten in Anatolien und DDR: Unsere Kolumnistin würde die Bundeskanzlerin gerne mal zum Essen einladen - trotz Helmut Kohls Messer-Gabel-Geschichte.

Die Messer-Gabel-Geschichte von Helmut Kohl über Angela Merkel lässt mich nicht los. Sie erinnert mich an meine Kindheit in Duisburg, an einige deutsche Nachbarn, die auf uns Türken herabschauten und sich als Maß aller Dinge verstanden. Wie sie die Nase rümpften über das kleine Türkenmädchen, das nicht mit Messer und Gabel essen konnte. Und dann das überhebliche Erklären, dass man in Deutschland „so“ esse. Bei meinem ersten gepflegten Dinner musste ich mir von meinem Sitznachbarn heimlich zeigen lassen, welches Besteck man für welchen Gang benutzte.

Kohls Enthüllung ist eine dieser politischen Nullgeschichten, von der, wenn man sie nur breit genug auswalzt, für jeden etwas hängen bleibt. Entscheidend ist, was hinten rauskommt, um den Urheber der kleinen Randnotiz einmal zu zitieren. Und fast wäre ich auch darauf reingefallen. Es geht nämlich gar nicht darum, dass die Bundeskanzlerin nicht mit Messer und Gabel essen konnte, sondern darum, dass man ihr das einfach so abspricht. In der DDR konnte man das eben nicht können. Und in Anatolien erst recht nicht. Meine Frauen-, Minderheiten- und Randgruppen-Solidaritäts-Falle schnappte gnadenlos zu.

Ich fand heraus, dass der Fachbegriff „paradoxe Intervention“ heißt. Es bedeutet, mit dem Gegenteil dessen, was man möchte, zu intervenieren, um das andere zu erreichen. Also Nein sagen, um ein Ja zu kriegen. Nun hat Kohl in einem Rundumschlag so ziemlich seine gesamte Umgebung aus der Bonner Republik niedergemacht, ein anderer hat das in Buchform veröffentlicht und darauf hat er, der Altkanzler, sein Werk neu aufgelegt. Unter Vermarktungskriterien ist das ganz großes Kino. Alle Medien reproduzierten die Meldung, die Gegenmeldungen gleich hinterher und die Stichworte Kanzler der Einheit, großer Europäer, tauchen aus der Versenkung wieder auf. Endergebnis: bestmögliches Trommelfeuer auf allen Kanälen, Kohls verbale Entgleisung relativiert, Kohls Opfer rehabilitiert. Das juristische Begehren der Nichtveröffentlichung machte das eine Buch noch brisanter und das andere interessanter.

Was vorbei ist, nennt man Vergangenheit

Kohl war nie zimperlich, er war entschlossen und leidenschaftlich, wie viele seiner Kontrahenten. Es flogen zwar die Fetzen in der Bonner Republik, aber es gab eine Streitkultur, deren Ausraster das Ringen um Lösungen waren. Wenn ich mir unsere politische Weichspülrhetorik heute anschaue, liegen Welten dazwischen. Es fehlt die Tiefe, Geschwindigkeit ersetzt Orientierung, Sensationslust den Sinn. Wer sich traut, gegen den Strom zu schwimmen, geht als Erstes unter.

Und inmitten dieser Politpossen bekommt eine 17-Jährige den Friedensnobelpreis. In einer Zeit, in der wir eigentlich Politiker bräuchten, die Krisen bewältigen, Kriege verhindern, Regeln aufstellen, kurzum, die Welt retten. Wo sind diejenigen, die Brücken bauen können, weil sie über den eigenen Schatten springen? Das war die andere Botschaft der Woche, die uns hinter dem, was mitgeteilt wird, etwas Zusätzliches sagen will.

Vielleicht bekomme ich einmal die Gelegenheit, Angela Merkel zum Essen zu treffen. Ich würde ihr dann zeigen, wie wir zu Hause alle zusammen aus einer Schale gegessen haben. Ich bin mir sicher, dass eine Ostdeutsche und eine Deutsch-Türkin viel mehr Gemeinsamkeiten haben, als nur, nicht mit Messer und Gabel essen zu können.

Oder wie mein Vater sagen würde: „Gecmise mazi derler.“ Was vorbei ist, nennt man Vergangenheit.

Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. An dieser Stelle schreibt sie immer montags über ihre Heimat.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false