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Berlin: Komische Oper: Bis das Theaterblut spritzt

Wenn einer in der Komischen Oper hinter der Bühne steht und zwei weiche Höcker seine Schultern polstern, dann heißt das, dass er sich gleich eine Pferdehälfte überstülpen wird. Als Kleindarsteller für die Vorderbeine des Vier-Bein-Pferdes.

Wenn einer in der Komischen Oper hinter der Bühne steht und zwei weiche Höcker seine Schultern polstern, dann heißt das, dass er sich gleich eine Pferdehälfte überstülpen wird. Als Kleindarsteller für die Vorderbeine des Vier-Bein-Pferdes. Hinten steckt ein Kollege und leiht dem Pferd die Hinterbeine. "Los, los, das Vier-Bein-Pferd auf die Bühne, und dann das Sechs-Bein-Pferd", brüllt der Inspizient, der für den Ablauf eines Opernabends zuständig ist. Er brüllt, damit ihn die umherwimmelnden Tänzer, Sänger, Pferde und Techniker über die laute Musik hinweg auch verstehen. Abends bekämen die Gäste weder von seinem Gebrüll noch vom Rest der 600 Theaterleute etwas mit, die für sie tragische, lustige, phantastische Geschichten inszenieren. Gestern aber war Tag der offenen Tür in der Komischen Oper. Da durfte sich jeder die Welt des Inspizienten Felix Bierlich, des Requisitenmeisters Karl-Heinz Winkelmann oder der Ballettchefin Sabine Franz einmal aus der Nähe anschauen.

Klar, hinter den roten und goldenen Kulissen sieht alles ein bisschen abgerissen aus: hunderte von Kratzern an den Backsteinmauern im hinteren Bühnenbereich. So was passiert eben, wenn per Fernsteuerung Requisiten wie der zehn Meter lange Drachen auf die Bühne dirigiert werden. Aber - als Theater im Theater - hat auch das Geschehen hinter der Bühne seinen eigenen Reiz: Wenn Ballettmädchen in Spitzenschuhen die Gänge entlang eilen. Oder eine Requisiteuse ein schlappes Stoffschwein durchs Treppenhaus schleppt.

Für das Stoffschwein und andere Bühnenaccessoires ist Requisitenmeister Karl-Heinz Winkelmann zuständig. Seit 36 Jahren ist er im Haus und Herr über Möbelmagazin, Waffenkammer und Pyrotechnik. Er weiß tatsächlich, wo sich noch das letzte Stück unter Zehntausenden wieder findet. Denn jede Oper hat festgelegte Bühnenbilder. Die werden fotografiert und in Ordnern festgehalten. Dort findet sich dann der Vermerk, in welchem Rollwagen das betreffende Möbel gelagert ist.

Winkelmann kennt sich berufshalber auch mit Geschichte aus. Wäre doch peinlich, wenn er dem Hauptmann von Köpenick statt seines Schleppsäbels ein römisches Kurzschwert oder einen mittelalterlichen Zweihänder umschnallen würde. Ein Teil seiner Ausrüstung stammt noch aus der Zeit vor 1947, als die Komische Oper noch das Metropol-Theater war. Den Rest kauft er auf Flohmärkten zusammen. Winkelmann könnte stundenlang erzählen: wie man mit den hochentzündlichen Sporen des Bärlappstrauches Feuerbälle spucken kann oder wie Blutdolche funktionieren (der Schauspieler drückt den Dolch zusammen wie eine Injektionsspritze, bis das Theaterblut durch eine Kanüle in die Dolchspitze fließt). Aber die Besucher haben es eilig, denn sie dürfen an diesem Tag auch im Opernchor mitsingen und beim Training des Balletts zusehen. 26 Tänzer hat die Komische Oper zurzeit. Mit dabei: Ayako aus Japan, Paloma aus Spanien, Anne-Marie aus Australien, Arturo aus Mexiko. Wie die Bühne hat auch der Trainingssaal eine leichte Neigung - die Gasttänzer kippen anfangs immer um bei Drehungen. Untereinander spricht die weitgereiste Mannschaft meist englisch. Hinter den Kulissen ist die Komische Oper eben nicht nur Theater im Theater, sondern auch Welt im Mikrokosmos.

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