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Kommentar: Fürchtet euch nicht!

1989 gab es das Wunder der Wende, weil Menschen furchtlos aufbegehrten.

2009 war das Jahr des Wartens auf die Krisen. Groß angekündigt füllten die Berichte über die Finanzkrise, die Wirtschaftskrise, den Klimawandel und andere Krisen die Berichtsspalten in den Medien. Die Auswirkungen sind bisher nicht so gravierend wie befürchtet. Vielleicht, weil gut auf die Anzeichen reagiert wurde und von Politik und Wirtschaft die richtigen Vorkehrungen getroffen wurden. Die Arbeitslosenzahlen und Insolvenzen sind nicht so dramatisch angestiegen wie vorausgesagt. Doch bei aller Erleichterung fällt es doch schwer, sich darüber richtig zu freuen. Das unterschwellige Gefühl bleibt: diesem Frieden kann man nicht trauen. Mit einem skeptischen Blick schauen viele auf 2010: Vielleicht kommen dann die Krisen mit voller Wucht auf uns zu?

Nun feiern wir Weihnachten. Es wird uns ein Heiland versprochen, ein Kind, das die Welt rettet. Liebliche Krippenbilder stimmen uns ein auf die Friedensbotschaft von Bethlehem: „Fürchtet euch nicht“, ruft der Engel in der Weihnachtsgeschichte den Hirten auf dem Feld zu. „Ich habe euch große Freude zu verkündigen. Der Heiland ist geboren.“ Der Heiland, der Friedensbringer. Ein hilfloses Kind wird geboren. Wie jedes Neugeborene braucht es den Schutz seiner Eltern und seiner Umgebung. Die Eltern aber werden verfolgt und haben kein festes Dach über dem Kopf. Jesus wird hineingeboren in eine Welt voller Krisen und Probleme. Die Friedensbotschaft der Heiligen Nacht steht in krassem Widerspruch zur Realität der Welt. Damals in Bethlehem nicht anders als heute. Sollten die Kritiker der Weihnachtsbotschaft recht behalten, die skeptisch fragen: Können wir diesem weihnachtlichen Frieden trauen?

2009 haben wir voller Dankbarkeit der friedlichen Revolution im Herbst 1989 gedacht und uns an den Mut der Bürgerinnen und Bürger erinnert. Vor 20 Jahren versammelten sich Menschen in der DDR in Kirchen und artikulierten dort ihren Unmut über die SED-Diktatur. Sie waren zunächst nur eine kleine Gruppe. Am 9. Oktober 1989 aber, als Pfarrer Christian Führer beim Schlusschoral des montäglichen Friedensgebets die Türen seiner Kirche öffnete, sah er ein biblisches Wunder. Der Vorplatz schwarz von Menschen und hell von Kerzen. Die Mutigen und die Ängstlichen, die Entschlossenen und die Zögerlichen, alle waren gekommen, weil sie wussten, dass ihnen nur ihre große Zahl eine Chance geben wird. Eltern hatten morgens ihre Kinder verabschiedet und sich so Lebewohl gesagt, dass es notfalls für immer reichen musste. In den Außenbezirken der Stadt standen Panzereinheiten. Das Sankt-Georg-Krankenhaus hatte eine ganze Station für die erwarteten Verwundeten geräumt. 70 000 strömten auf den Innenstadtring. Man musste nicht Christ sein, um Gottes Geist über diesem Zug zu spüren. Ohne Anführer, ohne festgelegte Route, ohne Programm. Vorbei an schreckstarren Polizeiketten. Alle Einsatzpläne waren Altpapier geworden.

Es ist nicht zu viel gesagt, wenn wir im Rückblick bekennen: Was 1989 geschah, ist ein Wunder. Eine friedliche Revolution hatte unser Land bis dahin noch nie erlebt. Die Christen, die erst die Kirchen öffneten und dann den Gang auf die Straße wagten, haben dem Frieden getraut, den das Evangelium Jesu Christi uns verspricht, gegen allen Anschein. Heute haben wir im vereinten Deutschland und im zusammenwachsenden Europa zu einem Frieden gefunden, von dem unsere Väter und Mütter nicht zu träumen wagten.

Die Hoffnung und das Vertrauen auf die Friedensbotschaft von Bethlehem lässt Menschen Mut fassen und handeln. Überall auf der Welt gibt sie Zuversicht, dass Veränderungen möglich sind, auch wenn sie zunächst unmöglich scheinen. Menschen nehmen die Realitäten nicht als schicksalhaft hin. Sie fragen, wer für Krisen verantwortlich ist, wer Ungerechtigkeiten zulässt und Probleme verharmlost. Und sie fragen, was sie selber tun können. Sie mahnen Veränderungen an. Das ist der erste Schritt, um Krisen zu überwinden. Weder die Finanzkrise noch die Klimakrise sind ein dumpfes Schicksal, dass wir ertragen müssen. Wer der Friedensbotschaft Gottes vertraut, der durchbricht das unterschwellige Gefühl der Hilflosigkeit und schenkt neue Hoffnung.

„Fürchtet euch nicht! Ich habe euch große Freude zu verkündigen. Der Heiland ist geboren.“ Die Botschaft der Engel hat bis heute nichts an ihrer Aktualität verloren. Diesem Frieden können wir trauen!

Ich wünsche den Leserinnen und Lesern des Tagesspiegels ein gesegnetes Weihnachtsfest.

Markus Dröge ist Landesbischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz

Bischof Markus Dröge

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