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Macht doch mal wärmer: Nicht jeder mag eiskalte Klimaanlagenluft.

© dpa

Kommentar: Macht die Klimaanlagen aus!

Als am letzten Wochenende in diversen Zügen der Deutschen Bahn die Klimaanlagen ausfielen, war das für viele ein Ärgernis. Nicht für unsere Autorin: Die hatte es gerne mal schön warm - und fordert deshalb ein Ende des Kältewahns.

Ausgerechnet die Deutsche Bahn, denke ich und schaue den Schaffner, der mich gerade aus einem angenehm warm und angenehm leer wirkenden Wagen zurückruft, verständnislos an. Ausgerechnet die, die es in ihrem Kerngeschäft – also mit der Pünktlichkeit – gerne mal nicht so genau nehmen, geben sich hier plötzlich superkorrekt. „Da können Sie nicht rein“, sagt der Schaffner. „Warum nicht?“, frage ich. „Der ist nicht klimatisiert“, sagt er. „Aber ich liebe nicht-klimatisierte ICE-Abteile. Da holt man sich wenigstens keine Erkältung“, sage ich. Fast will er mich jetzt zurückreißen, als sei Gefahr im Verzug. Dabei bin ich nur bereit, mich den Segnungen eines gut aufgewärmten Zugabteils auszusetzen. Niemand wird verklagt, wenn mir plötzlich schlecht wird, das würde ich sogar unterschreiben. Ich bin schon groß und weiß, was mir guttut.

Ausgerechnet die viel und manchmal zu Unrecht gescholtene Deutsche Bahn setzt sich mit derartigen Vorschriften an die Spitze einer wachsenden Bewegung, die Deutschland künstlich kalt macht. Mitten im schönsten Hochsommer! Etwa an diesen wenigen, wenigen Tagen rund um das letzte Wochenende, an denen man endlich mal im dünnen T-Shirt und Sandalen unterwegs sein konnte, wie man es sich den ganzen verregneten Juli lang gewünscht hatte. Beziehungsweise: gekonnt hätte. Wäre da nicht der Kältewahn gewesen.

Ja, sind denn langsam alle verrückt geworden? Natürlich ist es gut, klimatisierte Räume bereitzuhalten für Menschen, die unter großer Hitze wirklich leiden, weil sie alt, krank oder sonst wie anfällig sind. Aber es gibt auch Menschen, die es genießen, wenn es mal ein paar Tage im Jahr schön warm ist. Und die sich wegen der wachsenden Hitzehysterie neuerdings auch bei 30 Grad nur noch mit dem Strickmantel vor die Tür trauen. Gerade bei 30 Grad! Denn ob im Einkaufszentrum oder im Restaurant, im Kino oder beim Arzt, der Trend hat dieses Land und seine Hauptstadt voll im Griff. Jedes Wetter ist eine potenzielle Katastrophe, die es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt, auch jenes Wetter, das früher, als noch nicht überall die Klimaanlagen lärmten, immer gleichmütig als „schön“ bezeichnet wurde, Sonne, blauer Himmel, 30 Grad. Da kann man ja fast froh sein, dass die Schulen aus Finanzmangel nicht gleich mit Klimaanlagen nachgerüstet werden können, sonst müssten die Kinder, statt an ein paar Tagen im Jahr in den für den Rest des Lebens erinnerungswürdigen Jubel über „Hitzefrei“ auszubrechen, bei 16 runtergekühlten Graden bibbernd ihre Mathearbeiten schreiben. Ich weiß, es wäre vernünftig, aber nicht alles, was vernünftig ist, macht das Leben schöner.

Nun ist es in einem Land der Reiseweltmeister ja nicht so, dass man diesen Unsinn nicht von unterwegs schon kennen würde – und dementsprechend bereit sein müsste, gegen die aus den USA herübergeschwappte Klimatisierungswut zu Felde zu ziehen. Ich erinnere mich gut an einen Schaffner in der Long Island Railroad, der mich anguckte, als sei ich verrückt geworden, nur weil ich den Wunsch äußerte, er möge die Klimaanlage etwas runterdrehen und so den Kontrast zwischen 38 Grad Außen- und gefühlten 14 Grad Innentemperatur etwas abmildern; was er natürlich nicht tat, ein dicker Kapuzenpulli mit dem Schriftzug „Montauk“, gekauft für die Rückfahrt, erinnert noch heute an diese Reise. Vieles mehr gäbe es zu berichten: die Nacht in einem Hotel in New Jersey mit zweimaligem Zimmerwechsel, weil sich die Klimaanlage nirgendwo ausschalten ließ. Die zerwühlte Reisetasche in dem eisigen Taxi in Schanghai, aus der plötzlich alles rausgezerrt werden musste, was irgendwie wärmen konnte – kurz bevor es in der Stadt einen Stromausfall gab, weil zu viele Klimaanlagen liefen!

Aber immer stand am Ende solcher Expeditionen in eine kältesüchtige Welt die Heimkehr in einen – wenn man Glück hatte – schönen, warmen Berliner Sommer. Und der soll plötzlich gefährlich sein? So ein Quatsch! Lungenentzündungen sind gefährlich, und die holt man sich unter anderem, wenn man plötzlich und zur Unzeit schrecklich friert. Darum Schluss mit dem Kältewahn, her mit warmen ICE-Abteilen und unklimatisierten Räumen. Damit der Sommer ein echter Sommer bleibt.

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