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Im Mittelpunkt. Der Linken-Chefin Gesine Lötzsch galt nach ihrem Kommunismus-Aufsatz besondere Aufmerksamkeit.

© Davids

Kommunismus-Debatte: Rosa und die rote Grundsatzfrage

Beim traditionellen Gedenken für Luxemburg und Liebknecht dominiert die Kommunismus-Debatte. Viele Linke finden die Reaktion anderer Parteien entlarvend – und Egon Krenz stört das niedrige Niveau.

Am Blumenladen auf halben Weg zwischen dem Bahnhof Lichtenberg und der Gedenkstätte der Sozialisten zeigt der Kapitalismus sein menschliches Gesicht: 50 Cent für einen Kaffee und fünf für die Sahne sind human. Auch die Nelkenpreise sind mit 70 Cent pro Stück eher gesunken seit dem letzten Jahr. Und die „Junge Welt“ gibt’s am Sonntagmorgen sogar gratis – „mit Beilooche!“, wie der Verteiler in milieutypischem Sächsisch ruft.

Die angepriesene Beilage mit dem Titel „Das Gespenst“ widmet sich dem Kommunismus von Marx, Engels und Lötzsch. Gesine Lötzsch, die als Parteivorsitzende die Linke mit einem Aufsatz zum Thema groß ins Gespräch gebracht hat – vor allem bei den anderen Parteien, deren Vertreter nun mit großen Worten an Verfassungstreue und Zurechnungsfähigkeit zweifeln. Entsprechend zahlreich sind die Kameras, die sich jetzt aber erst einmal auf den Audi A8 mit Saarbrücker Nummer stürzen, dem Oskar Lafontaine entsteigt. Vor fünf Jahren stand dessen erstmalige Teilnahme am Gedenken für die ermordeten Arbeiterführer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Fokus. Jetzt ist seine Meinung zu Lötzsch gefragt. „Böswillige Kampagne“, sagt Lafontaine und spricht davon, dass die Linke die wirklich wichtigen Themen anpacke, nämlich Bankenregulierung und soziale Gerechtigkeit. Die Betreiber der Infostände ringsum interessieren sich eher für die Weltrevolution und das „Treffen mit Armeegeneral a.D. Heinz Keßler“, für das der „Traditionsverband Nationale Volksarmee e.V.“ wirbt, plus „Festschrift zum 90. Geburtstag“ des letzten, nach der Wende zu mehrjähriger Haft verurteilten DDR-Verteidigungsministers.

Am Rande dieses Biotops steht die Berliner Linken-Abgeordnete Evrim Baba und sagt: „Antikommunismus ist in der Bundesrepublik als Staatsideologie immer noch verbreitet.“ Da die Meinungsfreiheit im Grundgesetz stehe, könne man auch ein Verbot der CSU diskutieren. Schließlich habe deren Generalsekretär ein Verbot der Linken ins Gespräch gebracht, bloß weil die Chefin über Gesellschaftsmodelle nachgedacht habe.

Dann betritt das Spitzenpersonal der Linken die Gedenkstätte. Ko-Chef Klaus Ernst trägt einen Kranz gemeinsam mit Lötzsch und stellt für die Gedenkminute vor den Grabplatten sein selbstzufriedenes Königsgrinsen ab. So wird die Kranzniederlegung tatsächlich würdevoll und feierlich. Nur das Blechgeblase des „Schalmeien- Orchesters Fritz Weineck“ (das war der „Kleine Trompeter“), das vom Eingang her die getragene Lautsprechermusik der Gedenkstätte übertönt, ist etwas zu karnevalesk für den Anlass.

Auf ihrem Rückweg vom Rondell der Gräber halten die Spitzenlinken auch an dem kleinen Gedenkstein für die Opfer des Stalinismus inne, der auf der Wiese gegenüber steht. Später, beim Rausgehen, gibt sich Linken-Landeschef Klaus Lederer gewohnt pragmatisch: „Die Leute in Berlin haben wichtigere Sorgen, als verschlungene Wege zum Kommunismus zu finden.“ Fraktionschef Udo Wolf findet Lötzschs Aktion „nicht besonders geschickt“ und will die Berliner lieber mit einem soliden Wahlprogramm gewinnen als mit der Neuerfindung einer kontaminierten Gesellschaftsordnung. Ansonsten sind sich die Linksfraktionäre einig, dass nach neun Regierungsjahren in Berlin ein kleines Kommunismusgespenst nicht gleich die Wähler verschreckt.

Später kommt – zwischen Tausenden anderen – ohne Kameras und Brimborium die brandenburgische Umweltministerin Anita Tack vorbei, gedenkt der Arbeiterführer ebenso wie der Stalinismusopfer und sagt, dass mal verstärkt über Antikommunismus diskutiert werden müsste. Den habe schon Thomas Mann als „Grundtorheit der Epoche bezeichnet“, ergänzt ihr Begleiter Wolfram Adolphi und erinnert daran, dass kein Geringerer als Bertolt Brecht das „Lob des Kommunismus“ verfasst habe. Ein Glück, dass es in einer Partei Pragmatiker und Visionäre gebe. „Alle Parteien suchen doch.“

Das sollen sie auch weiter tun, findet der Rentner Uwe Grabia, für den „die Diktatur des Geldes“ nicht der Weisheit letzter Schluss ist – erst recht, wenn die Rente zu klein für die Reisefreiheit ist. Grabia wurmt es jetzt noch, dass die Politbürokraten der SED das kommunistisch genannte Experiment DDR derart verhunzt haben, dass nur noch Ampelmann und Grüner Abbiegepfeil salonfähig geblieben sind.

Am Ausgang könnte Grabia das gleich mit Egon Krenz besprechen. Der letzte Politbüro-Hardliner beklagt das „sehr niedrige Niveau der Diskussion“. Es sei doch klar, „dass Kommunismus nicht Pol Pot, Stalin und die Mauer ist“. Dann unterbricht ihn ein alter Mann, der für seine halbwüchsige Enkelin Krenz’ Buch „Gefängnisnotizen“ signiert habe möchte. „Für Sophia. Mit ph.“

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