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Berlin: Komplett-Verriss für Sarrazins Hochschul-Thesen

Die Wissenschaftsexperten der Koalition halten neue Spar-Vorgaben für falsch berechnet – auch Universitäten widersprechen dem Finanzsenator

Von Amory Burchard

und Werner van Bebber

Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) hat mit seinen Sparvorschlägen für die Berliner Universitäten Unmut und Verärgerung auch in der Regierungskoalition hervorgerufen. An den Hochschulen versteht man ebenfalls nicht, dass der Senator neue Vorschläge macht, nachdem bereits zwei der drei großen Universitäten sich verpflichtet hatten, bis 2009 die von Sarrazin verlangten Millionen- Einsparungen zu erbringen. Sarrazin hatte in einem Gespräch mit der „Berliner Zeitung“ gefordert, die drei Berliner Unis (Humboldt-, Freie und Technische Universität) so umzustrukturieren, dass bestimmte Fächer nur noch an einer Hochschule angeboten werden: Eine Universität könne Volkswirtschaft lehren, eine andere Jura. In diesem Zusammenhang behauptete Sarrazin auch, die Berliner Hochschulen kosteten 600 Millionen Euro mehr als Universitäten im Bundesdurchschnitt.

Die Wissenschaftsfachleute im Parlament verstehen nicht, was die Umstrukturierung bringen soll. Benjamin Hoff (PDS) ist sich mit Monika Grütters (CDU) darin einig, dass Sarrazin offenbar nicht weiß, wie die Kosten für Studienplätze berechnet werden. Wenn Berlin 85000 Studienplätze finanzieren wolle, sei eine bestimmte Anzahl von Lehrstühlen zum Beispiel für Jura nötig – ganz gleich, ob diese an einer oder zwei Hochschulen angeboten würden. Hoff empfahl dem Senator, darüber nachzudenken, welche Summen die Universitäten in den vergangenen Jahren bereits eingespart hätten. Bert Flemming, wissenschaftlicher Sprecher der SPD-Fraktion, hält Sarrazin außerdem vor, dass er mit 600 Millionen Euro eine veraltete Zahl in die Debatte gebracht habe. Die Berliner Kosten lägen allenfalls 400 Millionen Euro über dem Bundesdurchschnitt. Volker Ratzmann, Fraktionschef der Grünen, wirft Sarrazin vor, mit seiner neuen Attacke Berlin als Stadt der Wissenschaft schlecht zu reden. Der Senator schrecke jeden ab, der daran denke, nach Berlin zu ziehen – dabei seien Wissenschaft und Kultur die Perspektiven der Stadt.

Sarrazin stelle die falschen Fragen, heißt es an den Universitäten. „Wie viele Studienplätze benötigt eine Stadt, und wie viele Betriebswirte braucht die Region?“ – so müsse man fragen, sagt der Präsident der Freien Universität Dieter Lenzen. Im übrigen sei die Annahme, eine große Fakultät arbeite billiger als drei kleinere, „unsinnig“. Der Präsident der Technischen Universität (TU), Kurt Kutzler, will prüfen, ob Betriebs- und Volkswirtschaftslehre und die Psychologie noch eine Zukunft an der TU haben. Er weist aber darauf hin, dass es „nur zehn Millionen Euro“ bringe, die Geisteswissenschaften an der TU zu streichen: nicht einmal fünf Prozent des TU-Etats. Auf die Berufsschul- und Arbeitslehre-Lehrer, die auch bei den Geisteswissenschaften studieren, könne Berlin nicht verzichten. Sie werden nur an der TU ausgebildet.

Sarrazins Umbaupläne – die Konzentration von bestimmten Fakultäten an einer Hochschule – gehen jedenfalls an die Substanz der Universitäten. Eine Hochschule ohne Jura oder Volkswirtschaft dürfte sich nicht mehr Volluniversität nennen. Laut FU-Präsident Lenzen gehören sie wie auch die Philosophische Fakultät, die Geistes- und Sozialwissenschaften und die Medizin zum „klassischen Universitätskanon“. In manchen Fächern haben die FU und die Humboldt-Universität ihre Angebote seit 1990 abgestimmt. Nicht neue Sparvorschläge seien nötig, sagen die Fachleute, sondern „eine Blaupause“ – ein Konzept für Berlin als Stadt der Wissenschaften. Das jedoch könne Sarrazin nicht liefern.

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