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Kompromiss zu A 100: Berlins Grünen droht Glaubwürdigkeitsverlust

Der Kompromiss mit der SPD zur Verlängerung der Stadtautobahn A 100 wird parteiintern als Problem für die eigene Glaubwürdigkeit gewertet. Dennoch wollen Kreisverbände zustimmen.

Von Sabine Beikler

Das meistzitierte Wort bei den Grünen heißt in diesen Tagen „Glaubwürdigkeit“. In den Kreisverbänden des 5300 Mitglieder starken Landesverbandes diskutieren die Mitglieder über das, was die grüne Sondierungsgruppe mit Renate Künast, den Landeschefs Daniel Wesener und Bettina Jarasch sowie den Fraktionsvorsitzenden Volker Ratzmann und Ramona Pop als Kompromiss zum Weiterbau der Stadtautobahn A 100 vorgelegt hat. „Wir müssen aufpassen, nicht unsere Glaubwürdigkeit zu verlieren“, sagt zum Beispiel Franz Schulz, der grüne Bezirksbürgermeister in Friedrichshain-Kreuzberg. Und man hört schärfere Töne. „Es ist unsäglich, dass man vorher aufgemuskelt hat und dann so umfällt“, sagt ein grüner Spitzenpolitiker, der nicht genannt werden möchte.

Solche Bauchschmerzen haben einige Grünen-Mitglieder, die sich zurzeit treffen. Es kristallisieren sich bei den Grünen zwei Strömungen heraus: Die einen glauben fest daran, dass in einer rot-grünen Koalition gute Politik gemacht werden kann. Und dass der Weiterbau der A 100 irgendwie doch noch durch eine Umwidmung der Bundesmittel für Straßenreparaturen und Lärmschutz verhindert werden kann. Volker Ratzmann wird auch nicht müde zu wiederholen: „Es wird keinen Koalitionsvertrag geben, in dem steht, dass die A 100 gebaut wird.“

Das sagte er auch drei Tage vor der Wahl. Der erste Satz der vier Sätze langen Einigung zwischen SPD und Grünen nach den Sondierungsgesprächen dagegen lautet: „Das Projekt 16. Bauabschnitt der BAB 100 wird nicht grundsätzlich aufgegeben.“ Ratzmann sagt, diese Formulierung bedeute ja nicht, dass die Autobahn gebaut werde, sondern „eröffnet Möglichkeiten, die Verlängerung der A 100 zu verhindern“.

Franz Schulz liest diesen Satz anders. „Der sagt was anderes aus als das, was Ratzmann und andere vor der Wahl gesagt haben. Da hilft es mir wenig, wenn ich höre, dass ich den Satz falsch lese.“ Schulz ist einer von vier Grünen, die sich am Dienstagabend auf der Mitgliederversammlung der Friedrichshain-Kreuzberger Grünen der Stimme enthielten. Er fordert Nachverhandlungen bei den Koalitionsgesprächen. Rund 60 Grüne des traditionell linken Kreisverbands aber stimmten für den Kompromiss.

Weiter auf Seite zwei: Warum die Grünen immer noch optimistisch sind.

Franz Schulz, Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg.
Franz Schulz, Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg.

© Kitty Kleist-Heinrich

Auch der Landesvorsitzende Daniel Wesener stammt aus dem Kreuzberger Kreisverband. Er verteidigte vor seinen Parteifreunden die Einigung mit der SPD. Man habe ein „Moratorium“ erreicht, das die realistische Chance biete, die A 100 zu verhindern. Die Grünen würden „nicht als Umfaller“ dastehen. Und er sei froh über die „guten Diskussionen“ in seiner Partei. Allerdings habe man einen „Dissens“ mit der SPD. Denn die Aussage des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit, die A 100 werde dann gebaut, wenn die Umwidmung der 420 Millionen Euro Bundesmittel nicht gelinge, sei nicht abgesprochen gewesen.

Der Berliner EU-Verkehrspolitiker Michael Cramer sprach nicht von einem „Dissens“ mit der SPD, sondern von einer „misstrauensbildenden Maßnahme“. Cramer sagt, er könne mit dem Kompromiss leben, zugleich warnt er seine Partei: „Wenn die SPD sich durchsetzt, würden wir all das brechen, was Künast und Ratzmann vor der Wahl versprochen haben. Wenn wir die A 100 bauen, dann haben wir ein Glaubwürdigkeitsproblem.“

Wie die Kreuzberger zeigt sich auch der Neuköllner Kreisverband mit dem Kompromiss zufrieden – als Zwischenergebnis. „Ich möchte Koalitionsverhandlungen aufnehmen, um dann auszuloten, ob es genug Gemeinsamkeiten gibt für eine stabile Koalition für die nächsten fünf Jahre“, sagte die Abgeordnete Anja Kofbinger, die eines der beiden grünen Direktmandate in Neukölln gewann. Kofbinger zählt zum linken Flügel der Partei. Auch von anderen linken Grünen ist zu hören, sie hätten „keine Schwierigkeiten“ mit dem Kompromiss. „Beide Seiten müssen ja ihr Gesicht wahren.“

Um die Glaubwürdigkeit nicht zu verspielen, schlägt Franz Schulz einen Volksentscheid zur A 100 vor. Den aber will die Grünen-Spitze nicht. „Wir lehnen Volksentscheide ab, die per Akklamation von der Regierung kommen“, sagt Parteichef Wesener. „Die direkte Demokratie beinhaltet die Meinungsbildung von unten nach oben.“ Fraktionschef Ratzmann sagt: „Darüber haben wir in den Sondierungen nicht gesprochen.“

Da erhält die Grünen-Führung immerhin Unterstützung von Michael Efler, Vorstandsmitglied des Vereins „Mehr Demokratie“. Wer eine Volksabstimmung wolle, „muss sich auf die Straße stellen und Stimmen sammeln“. Eine Befragung „von oben per Beschluss“ sei im Sinne der direkten Demokratie abzulehnen.

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